Die 32. Jahrestagung der Gesellschaft Junge Zivilrechtswissenschaft findet vom 27.–29.09.2022 an der Johannes Kepler Universität statt und steht unter dem Generalthema
Nachhaltigkeit im Privatrecht
Nachhaltigkeit ist die womöglich größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Zwar ist das Bedürfnis, sowohl gegenwärtigen als auch kommenden Generationen adäquate Lebensbedingungen bieten zu können, längst im gesellschaftlichen Bewusstsein und damit im politischen und wissenschaftlichen Diskurs angekommen. Nichtsdestotrotz haben die bisherigen Anstrengungen noch nicht den angestrebten Erfolg gezeitigt. Aus heutiger Sicht geraten einerseits das Bestreben, den gegenwärtig erlangten Wohlstand nicht wieder aufgeben zu müssen, andererseits aber der Wunsch nach einer angemessenen Zukunftsperspektive regelmäßig miteinander in Widerstreit. Zwar ist eine nachhaltige Entwicklung als Leitbild allgegenwärtig und sind zumindest einzelne Ziele deutlich formuliert, doch ist bislang noch völlig offen, wie die ersehnten Ergebnisse zu erreichen sind.
Ein allein auf das öffentliche Recht zentrierter Ansatz hat bekanntlich als Reaktion auf die „Tragik der Allmende“ versagt. Zwar bedarf es selbstredend auch unmittelbarer staatlicher Lenkung in Form von Geboten und Verboten. Damit aber die Normunterworfenen danach trachten, ihre Interessen von sich aus unter bestmöglicher Wahrung des Gemeinwohls zu verfolgen, muss eine wirksame Nachhaltigkeitsstrategie auch im Alltagsleben der Menschen ankommen. Nicht zum ersten Mal soll also das Privatrecht auch ordnungspolitische Vorstellungen verwirklichen, während es gleichzeitig seine Kernaufgabe, einen gerechten Interessensausgleichs zwischen den an einem konkreten Rechtsverhältnis beteiligten Parteien zu schaffen, nicht vernachlässigen darf.
Auf unserer 32. Tagung wollen wir uns damit befassen, was die Privatrechtswissenschaft beitragen kann, damit Innovation, Fortschritt und Sicherung des Lebensstandards in ökologisch und sozial verantwortungsvoller Weise stattfinden. Wir wollen die erst kürzlich eingemahnte „ökologische Analyse des Zivilrechts“ vorantreiben und versuchen, die Früchte einer solchen Betrachtung möglichst kohärent und widerspruchsfrei in die Privatrechtsdogmatik einzubetten.
In Anerkennung der enormen Vielfalt und Breite dieses Generalthemas seien nachfolgend – als erster Denkanstoß und keinesfalls als abschließende Aufzählung – einige Ideen skizziert. Auch Einreichungen zu nicht genannten, einschlägigen Themengebieten sind selbstredend herzlich willkommen!
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Nachhaltigkeit im Vertragsrecht
Zunächst gerät zunehmend das klassische Schuldrecht als Mittel zur Beförderung von Nachhaltigkeitsinteressen in den Blick: Öffentlich-rechtliche Regelungen zur Emissionsreduktion machen „Ausstoßrechte“ in Zertifikatform zur begehrten Handelsware. Produktbezogenes Umweltrecht erlegt den Herstellern neue Anforderungen etwa im Hinblick auf die Haltbarkeit oder die Ressourceneffizienz ihrer Produkte auf, während die Hersteller die Haltbarkeit ihrer Produkte zunehmend genauer festlegen. Oftmals bringt ein „grünes Image“ Wettbewerbsvorteile, ohne dass den getätigten Werbeversprechen belastbare Fakten gegenüberstünden. Wie sind Rechtsgeschäfte im Emissionshandel privatrechtlich einzuordnen? Wie geht das Privatrecht mit herstellerseitigen Haltbarkeits- und Nachhaltigkeitsanforderungen um? Wie können betroffene Verbraucher oder Mitbewerber auf sogenanntes „Greenwashing“ reagieren?
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Nachhaltigkeit und Verbraucherschutz
Im Online-Handel hat sich eine liberale „Retouren-Politik“ etabliert. Gesetzliche Widerrufs- oder Rücktrittsrechte erlauben es Verbraucherinnen und Verbrauchern, unüberlegt bestellte Waren einfach und vielfach auch kostenlos zurückzusenden. Die hinzukommenden Versandwege und der zusätzliche logistische Aufwand stehen dabei mit Nachhaltigkeitserwägungen in massivem Widerspruch. Oftmals vernichten Versandunternehmen neue oder neuwertige retournierte Waren. Begünstigen Widerrufs- und Rücktrittsrechte diese Entwicklung? Wie kann das Zivilrecht – de lege lata et ferenda – das Spannungsfeld von Verbraucherschutz und Nachhaltigkeit auflösen? Können und sollten verbraucherrechtliche Regelungen in bestimmten Bereichen auch auf einen Bewusstseinswandel hinwirken?
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Nachhaltige digitale Transformation
In einer vermehrt digitalisierten und automatisierten Welt begegnen uns vernetzte Systeme, autonome Fortbewegungsmittel und künstliche Intelligenzen. Eine sinnvolle und nachhaltige digitale Transformation kann aber nur gelingen, wenn es im digitalen Raum klare rechtliche Rahmenbedingungen gibt und es auch dort nicht zu einem freien Spiel der Kräfte kommt. Wie gehen wir mit den Herausforderungen um, die sich beim digitalen Vertragsabschluss und dessen automatisierter Abwicklung, beim Einsatz künstlicher Intelligenz und autonomer Systeme ergeben? Was kann das Privatrecht leisten, damit die Erträgnisse einer digitalen Transformation sozial und gerecht verteilt werden und externe Kosten in erster Linie ihren Verursacher treffen?
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Nachhaltigkeit entlang der Lieferkette
Die in den sogenannten Ländern des globalen Nordens konsumierten Güter ziehen vom Rohstoff bis zum Enderzeugnis eine lange Spur. Entlang der Wertschöpfungskette kommt es zur Anwendung verschiedener Rechtsordnungen mit unterschiedlichen Standards. Unternehmen, die entlang ihrer Lieferkette besonders drastische Verletzungen von Menschenrechten oder besonders gravierende Umweltschäden verursachen oder dulden, können dafür zunehmend vor nationalen Gerichten zur Verantwortung gezogen werden. Welche (zivil-)rechtlichen Konsequenzen ergeben sich für die Unternehmen durch die Stärkung von Sorgfaltspflichten in globalen Lieferketten? Und können Unternehmen zu mehr Transparenz hinsichtlich ihrer Lieferketten angehalten werden?
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Umwelthaftungsrecht und Klimaklagen
Als Folge zu zaghaft empfundener legislativer Aktivität sollen zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen auch die Richterinnen und Richter in die Bresche springen. Ein ehedem grundrechtlich inspirierter Auftrag an den Gesetzgeber liefert der Rechtsprechung zunehmend das Substrat für konkrete und aktuell greifbare Ansprüche gegen Private. Klimaklagen richten sich nicht länger nur gegen Staaten, sondern es sollen sich – so die Idee – auch Unternehmen vor Zivilgerichten für die von ihnen verursachten Schäden an Allgemeingütern verantworten. Wie sehr eignet sich das Umwelthaftungsrecht zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen? Lassen sich bei Klimaklagen Kausalitätsketten darstellen? Werden durch das Haftungsrisiko die erwünschten Lenkungseffekte erzielt? Und ist in rechtsstaatlich vertretbarer Weise überhaupt möglich, Privatrechtssubjekte für Klimaschäden haftbar zu machen?
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Private Enforcement und Rechtsdurchsetzung
Dem Zivilverfahrensrecht kommt eine Schlüsselfunktion zu, damit das materielle Recht seine verhaltenssteuernde Wirkung entfalten kann. Neben öffentlich-rechtlichen Steuerungsmechanismen rückt auch in Europa seit geraumer Zeit verstärkt die private kollektive Rechtsdurchsetzung in den Fokus. Vorläufiger Schlusspunkt dieser Entwicklung ist die vom europäischen Gesetzgeber unter dem Eindruck des Dieselskandals verabschiedete Verbandsklagen-Richtlinie, die neben dem Abbau von Rechtsschutzdefiziten und einer Verbesserung des Individualrechtsschutzes (procedural justice) darauf abzielt, über eine Effektuierung der Durchsetzung von Verbraucherrechten die Einhaltung öffentlich- und privatrechtlicher Vorgaben zu befördern. Können verfahrensrechtliche Instrumente einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten? Welche Bedeutung hat dabei das Zusammenspiel von public und private enforcement?
Bewerbung
An wen?
Bewerbungen bitte bis 15.04.2022 an: fabian.spendel@jku.at
Inhalt
Bewerbungen sollen enthalten:
• ein anonymisiertes Exposé von etwa 500 Wörtern und
• einen Lebenslauf.
Bei erfolgreicher Bewerbung
• 20-minütiges Referat in deutscher Sprache
• Veröffentlichung als Beitrag im Tagungsband
Fragen
• Fragen ohne Bezug zum Thema:
gjz-linz(at)jku.at
• Fragen in Bezug auf die eigene Bewerbung:
fabian.spendel(at)jku.at