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Akrobat im Quasi-Montecarlo-Modus

Der Linzer Finanzmathematiker Gerhard Larcher über Zahlentheorie, Linz als Mathezentrum, einschlägige Begabung und Mathematik in der Krebsmedizin.

Eine Krebszelle im Nahaufnahme
Mikroskopfoto einer Krebszelle: Martin Oeggerli

„Gerhard, ich bin dir immer noch dankbar, dass du mir im Unterricht so viel geholfen hast!“, bemerkte seine ehemalige Matheprofessorin bei der 40-jährigen Maturafeier im vergangenen Juni. Der JKU-Finanzmathematiker Gerhard Larcher erwähnt die Begebenheit nur als kleines Aperçu, obwohl sie über ihn sehr viel sagt. Er ist viel zu bescheiden, um so etwas an die große Glocke zu hängen. Auch den Umstand, dass er sein Mathestudium „sub auspiciis praesidentis“ abschloss, erwähnt er nur nebenbei, obwohl mit diesem Prädikat nur die Allerbesten ausgezeichnet werden. Unter der Ägide des Bundespräsidenten kann nur promovieren, wer alle Oberstufenklassen des Gymnasiums sowie die Matura mit Auszeichnung geschafft und jede Prüfung des Fachstudiums mit einem „sehr gut“ bestanden hat. Heute ist Larcher, 58, Vorstand des Instituts für Finanzmathematik und Angewandte Zahlentheorie der Linzer Johannes Kepler Universität.

Auch die Bezeichnung „Angewandte Zahlentheorie“ im Institutsnamen sagt viel über den Mathematiker Larcher aus. „Zahlentheorie ist eigentlich das Abstrakteste in der Mathematik, und doch gibt es dafür oft unerwartete Anwendungen“, erklärt der Forscher. „Da geht es zum Beispiel um die unendliche Zahl Pi 3,1415926..., die das Verhältnis zwischen Durchmesser und Umfang eines Kreises beschreibt. Oder um Primzahlen, die man durch keine andere Zahl teilen kann.“ Auch davon gibt es unendlich viele, wie der griechische Mathematiker Euklid herausfand, der wahrscheinlich im 3. vorchristlichen Jahrhundert in Alexandria, der antiken Stadt des Wissens, gelebt hat.

Egal, ob Larcher von Euklid oder von modernen Mathematikern spricht, er tut es immer mit der gleichen spürbaren Faszination und Bewunderung. So etwa, wenn er über den Russen Grigori Perelman redet, dem es im Jahr 2002 gelungen ist, eines der großen mathematischen Rätsel, die Poincaré‘sche Vermutung, zu beweisen. Mit großer Ehrfurcht redet Larcher auch über das indische Mathematik-Genie Srinivasa Ramanujan (1887–1920). „Der war Auwar todidakt, hat aber die kompliziertesten Formeln einfach hingeschrieben, weil er gesehen hat, dass sie richtig sind.“ Dieses „Sehen“ ist für Larcher die mathematische Begabung.

Wenn er sich doch einmal an anderen misst, dann eher zu seinem Nachteil: Den Wiener Finanzmathematiker Walter Schachermayer, Träger des Wittgenstein-Preises 1998, der höchsten Wissenschaftsauszeichnung, die Österreich zu vergeben hat, sowie Empfänger eines ERC Advanced Grants (2009), der höchsten individuellen EU-Forschungsunterstützung, bezeichnet er als „in der Theorie sicher wesentlich besser als ich“. Einschränkender Nachsatz mit Blick auf die von Larcher 2002 gegründete und inzwischen verkaufte Vermögensverwaltungsfirma „Art in Finance“: „Ich habe allerdings auch praktische Erfahrungen. Ich kann meinen Studenten nicht nur die Theorie vermitteln, sondern auch sagen, wie es wirklich geht.“

Schließlich musste er mit seiner Vermögensverwaltung in der Finanzkrise auch Lehrgeld zahlen und hat dadurch viel gelernt. Nachdem er für seine Kunden einen Kursgewinn von 60 Prozent erwirtschaftet hatte, verlor er durch die Extremspekulationen, die der Krise zugrunde lagen, wieder 40 Prozent. Trotzdem lehnt er die Bezeichnung „böse Spekulanten“ ab, weil Spekulationen und Wetten „das Schmiermittel der Finanzwirtschaft“ seien, ein probates Mittel, um sich gegen extreme Kursverluste zu schützen. Nach der Krise wurden die Regeln der Finanzwirtschaft erheblich verschärft. „Heute ist es nicht mehr so leicht, eine Konzession für eine Vermögensverwaltung zu bekommen wie vor der Krise“, erklärt Larcher.

Welche Erklärung hat er für den mathematischen „Hotspot“ Linz? „Das liegt an der Dynamik hier, ausgehend von ein paar wirklich starken Leuten, die hier was weitergebracht haben.“ Er nennt Bruno Buchberger, Professor für Computermathematik an der Johannes Kepler Universität, einen der meistzitierten Forscher seines Fachs, unter anderem Gründer des Research Institute for Symbolic Computation (RISC) sowie des Softwareparks Hagenberg im Mühlviertel. Weiter nennt er Heinz Engl, langjähriger Professor für Industriemathematik an der Kepler Universität und seit 2011 Rektor der Wiener Universität. Und er erwähnt den Numeriker Ulrich Langer, Leiter des Instituts für Numerische Mathematik an der JKU. Gute Forscher wie diese haben es offenbar leichter, weitere gute Leute anzulocken. So reiste Engl im Jahr 2000 extra nach Salzburg, um Larcher zu einem Wechsel zu überreden: „Ich möchte Sie in Linz haben.“

Heute ist die Universität Wien österreichweit die Nummer eins in der „reinen Mathematik“, aber Linz ist zweifellos führend im Bereich der angewandten Mathematik. Im Jahr 2005 gab es eine internationale Evaluierung des Fachs in Österreich. Im Bericht der Evaluierungskommission heißt es explizit, Linz sei „eines der Zentren der angewandten Mathematik in Europa“. Mit ausschlaggebend für dieses Ergebnis ist auch ein entsprechendes Umfeld an dynamischen Unternehmen in Oberösterreich, welche die Szene durch eine starke Nachfrage nach Absolventen beleben. Larcher nennt vor allem die VOEST, aber auch die lokale Bankenszene, dann florierende Technikunternehmen wie die Kraftfahrzeugschmiede KTM oder den chinesisch-österreichischen Flugzeugkomponenten- Hersteller FACC. „Das beste Studium für einen jungen Menschen ist heute technische Mathematik. Die Absolventen werden uns aus der Hand gerissen“, berichtet Larcher.

Dazu kommt, dass das Land Oberösterreich in puncto Forschungsförderung als „extrem aufgeschlossen“ gilt. Larcher selbst hat im Jahr 2014 mit dem Aufbau eines Spezialforschungsbereichs (SFB) begonnen, der ihm nach strenger Auslese vom Wissenschaftsfonds FWF zuerkannt worden war. Jährlich werden nur ein bis maximal zwei solcher SFBs genehmigt. Den ausgewählten Forschern winkt eine Förderung von vier Millionen Euro für die ersten vier Jahre und nach erfolgreicher Evaluierung nochmals vier Millionen für weitere vier Jahre. 2014 wurden aus einer langen Reihe von Bewerbern in einem mehrstufigen Verfahren nach einem internationalen Hearing zwei Projekte ausgewählt, eines für Krebsforschung an der Medizinischen Universität Wien, das zweite war Larchers Forschungsprojekt mit dem Titel „Quasi-Monte-Carlo-Methoden – Theorie und Anwendung“.

In Abwandlung des Begriffs „Monte- Carlo-Methoden“, die auf einer zufälligen Auswahl basieren, beschreibt der Ausdruck „Quasi-Monte-Carlo- Methoden“ eine durch Vorauswahl von Merkmalen geprägte Methode, um sich einer zu eruierenden Größe anzunähern. Bei einer Meinungsumfrage zum Beispiel kann man die Parteipräferenzen von 1000 nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Wahlberechtigten eruieren. Genauer hingegen wird das Ergebnis, wenn man in einem zweiten Durchgang eine gewisse Vorauswahl der 1000 zu befragenden Personen nach Alter, Geschlecht, Bildungsgrad, Wohnort etc. vornimmt. Das nennt man „Quasi-Monte- Carlo-Methode“. Beide Verfahren waren auch gefragt, als Larcher und seine Mitarbeiter in den vergangenen Jahren spezielle Berechnungen anstellten, um die Erzeugung eines möglichst perfekten Vakuums im Teilchenbeschleuniger CERN in Genf zu erreichen. Jedenfalls hat Larchers Forschungsprojekt auch die im Vorjahr durchgeführte Evaluierung bestanden und damit nochmals vier Millionen lukriert. Und das Land Oberösterreich hat nochmals eine Million draufgelegt. Die von Larcher und seinen Kollegen entwickelten Quasi-Monte-Carlo- Methoden lassen sich aber nicht nur auf Fragestellungen der Teilchenphysik und der Finanzwirtschaft anwenden, sondern auch in der Krebsmedizin – beispielsweise bei der Bestrahlung eines Hirntumors. Wenn ich etwa wissen will, welche Strahlungsrichtung die besten Ergebnisse erzielt, kann ich – natürlich nur am Computermodell – versuchen, die Strahlen aus verschiedenen Richtungen einzuschießen, um am Ende nur jene Richtungen zu nehmen, entlang derer die Krebszellen am wirksamsten getroffen und das umliegende Gewebe am wenigsten in Mitleidenschaft gezogen werden. Ich mache natürlich nicht nur 1000 rein zufällige Tests, sondern wende wiederum Quasi-Monte-Carlo- Methoden an. Das heißt, dass ich mir zuerst ein genaues Bild von Lage und Ausbreitung des Tumors mache, mir anschaue, wo es Hohlräume gibt, wo dichteres Gewebe oder Knochen, die einen Teil der Strahlung abfangen, etc.

„Der Mix aus beidem – Zufall und Quasi-Monte-Carlo – bringt die besten Ergebnisse“, erklärt der Forscher. Wie ist Larcher überhaupt zur Mathematik gekommen, gab es ein Erweckungserlebnis? „Nein“, sagt er, „es Auwar einfach die Lust“. Als Zwölfjähriger verschlang er Werke des Wissenschaftsautors Egmont Colerus, die er im Bücherregal seines Vaters entdeckt hatte. Darunter waren Titel wie „Vom Einmaleins zum Integral. Mathematik für jedermann“ oder „Von Pythagoras bis Hilbert: Die Epochen der Mathematik und ihre Baumeister“. Besonders fasziniert war der Salzburger Gymnasiast von den Geheimnissen, die sich hinter den Zahlen verbergen. Für „eine ganz wichtige Sache“ hält Larcher die Mathematik-Olympiade, an der er regelmäßig zwischen dem 14. und 17. Lebensjahr teilgenommen hatte. „Das stachelt den Ehrgeiz an“, meint Larcher. Manchmal kommt noch eine faszinierende Lehrerpersönlichkeit als besonderer Motivator hinzu. „Das könnte ich gar nicht sagen, ich hatte nette, aber mathematisch nicht auffällige Lehrer“, erinnert sich Larcher. Sein Mathestudium an der Universität Salzburg fasst er mit dem Attribut „zwar wenig Forschung, aber von der Lehre her sehr gut“ zusammen. Für ihn ist der Begriff „Pauker“ kein Schimpfwort, im Gegenteil. Für die Basics könne ein Pauker sehr vorteilhaft sein.

Die Kür komme erst danach, wenn es, nicht wie in der Mittelschule ums Rechnen, sondern um die eigentliche Mathematik, den Beweis, ginge. Wie erklärt er sich den hohen Anteil an schlechten Mathenoten und die oftmaligen Klagen, Mathe wäre für viele Schüler und Eltern ein „Angstfach“? Larcher ist nicht der einzige Professor seines Fachs, der meint, viele Mathelehrer verstünden die Grundregeln der Mathematik selber nicht gut genug, um sie plausibel zu erklären. „Zu uns kommen aus den Mittelschulen ja nur die Besten, aber selbst die haben zuweilen Nachschulung nötig. Manche können nicht einmal Bruchrechnen.“