Gegenstand und Zielsetzungen des Projekts
Diese Studie nimmt eine vergleichende Bestandsaufnahme des aktuellen Profils und der zukünftigen Entwicklungstendenzen in der deutschen und US-amerikanischen Volkswirtschaftslehre vor. Hintergrund ist die Fragestellung nach einem deutschen Sonderweg in der Ökonomie. Hierfür wurden die derzeit tätigen VWL-Universitätsprofessor_innen in Deutschland (Vollerhebung) und den USA (Stichprobe) mittels einer indikatorenbasierten Typologisierung im Hinblick auf ihr Forschungsprofil sowie auf ihr akademisches und außeruniversitäres Wirkungsspektrum untersucht. In Summe wurden in der Erhebung 1139 VWL-Professor_innen an 102 verschiedenen Standorten erfasst.
Zentrale Ergebnisse des Projekts
- Die soziodemografischen Merkmale zeigen die Unterrepräsentation von Frauen auf Lehrstuhlebene (GER 13,36%, USA 12,81%). Aufgrund der unterschiedlichen Rechtssituation zur altersbedingten Emeritierung weisen die Professor_innen in Deutschland (51 Jahre) einen um 9 Jahre geringeren Altersdurchschnitt auf als jene in den USA (60 Jahre). In Deutschland (89,77%) ist der prozentuelle Anteil inländischer Professor_innen weitaus höher als in den USA (70,83%), was auf eine stärkere Internationalisierung der US-amerikanischen Volkswirtschaftslehre hinweist.
- Die thematische Forschungsausrichtung weißt für beide Länder eine starke Homogenität auf. In beiden Ländern dominieren mikroökonomische Forschungsansätze (GER 51,41%, USA 53,90%). Auch sind die Prozentsätze der als makroökonomisch (ca. 18%) bzw. als themenübergreifend (ca. 16%) eingestuften Personen etwa gleich groß. Unterschiede ergeben sich in den Bereichen der Finanzwissenschaft bzw. Ökonometrie und Statistik – ersterer besitzt in Deutschland, letzterer in den USA eine stärkere Gewichtung. Die paradigmatische Klassifizierung zeigt für beide Länder eine starke Konzentration rund um den neoklassisch geprägten Mainstream (Deutschland 91,61%, USA 93,93%). Forschungen jenseits dieses Spektrums nehmen eine stark marginalisierte Stellung ein, wobei der Anteil heterodoxer Ansätze in Deutschland (3,04%) etwas höher ausfällt als jener in den USA (0,54%). Die Homogenisierung der VWL ist dabei in den USA weiter vorangeschritten als in Deutschland. Bei rund 15% aller Personen innerhalb des Mainstreams konnte eine partielle inhaltliche/methodische Weiterentwicklung, v.a. in den Bereichen der Verhaltensökonomie und Experimentellen Ökonomie festgestellt werden, obgleich diese Modifikation bislang zu keiner Auflösung der bestehenden Gegensätze zwischen Mainstream und Heterodoxie geführt hat. Ein zentrales Spezifikum der deutschen VWL ist das Vorhandensein ordoliberaler Konzeptionen (8%). Bei der US-Erhebung wurde hingegen keine Person mit dieser Strömung in Verbindung gebracht. Jeweils rund ein Fünftel der Professor_innen (GER 18,39%; USA 21,25%) beschäftigt sich seit 2008 mit der Finanz- und Wirtschaftskrise. Der Anteil steigt im Teilgebiet der Makroökonomie (GER 52,34%; USA 63,73%) bzw. bei heterodoxen Ökonom_innen (GER 47,06%; USA 66,67%) deutlich.
- Bei der Ermittlung von Entwicklungstendenzen in der Ökonomie (Kohortenvergleich der Professor_innen) konnten eine Reihe an Trends festgestellt werden: Hinsichtlich der Geschlechterverteilung ist ein über die Zeit hinweg anwachsender Prozentsatz weiblich besetzter Lehrstühle ausmachbar. Bei jüngeren Professor_innen kann sowohl eine Verfestigung der mikroökonomischen Forschungsausrichtung, als auch eine zunehmende paradigmatische Verengung konstatiert werden. Die Präsenz ordoliberaler Ideen in der deutschen Ökonomie wiederum wird zu einem großen Teil von Professor_innen aus älteren Generationen getragen.
- In der innerakademischen Vernetzung zeigt sich die zentrale Rolle des Vereins für Sozialpolitik (VfS) (65% sind Mitglied) für Deutschland. In den USA kommen der American Economic Association (AEA) (64%) und der Econometric Society (40%) wichtige Vernetzungsfunktionen zu. Unter pluralen und heterodoxen Professor_innen fallen dem VfS (83%), der AEA (71%) und der Econometric Society (41%) eine noch bedeutsamere Rolle zu.
- Die Analyse der außerakademischen Vernetzung legt offen, dass auf der Ebene der unterstützenden Politikberatung („policy support“) für Deutschland das CESifo München (120 Nennungen), das IZA Bonn (74), das Center for European Policy Research (56) sowie das ZEW Mannheim und das DIW Berlin (je 39) die quantitativ bedeutendsten Institutionen darstellen. In den USA sind neben dem NBER (283) mit dem IZA Bonn (63), dem CEPR (54) und dem CESifo (45) ebenfalls europäische Institutionen bedeutsam. Anders als in Deutschland weisen US-Ökonom_innen wiederum nennenswerte Verbindungen zu den Forschungsabteilungen von internationalen (wirtschafts-)politischen Organisationen und Notenbanken auf. Auf der Ebene der aktiven wirtschaftspolitischen Einflussnahme („policy involvement“) konnten für Deutschland v.a. neo- bzw. ordoliberale Akteursnetzwerke (z.B. Walter Eucken Institut, Kronberger Kreis, F.A. Hayek Gesellschaft, INSM), in geringerem Ausmaß aber auch keynesianisch geprägte Expert_innengruppen (z.B. Keynes Gesellschaft, Hans-Böckler Stiftung) identifiziert werden. Im Unterschied dazu weisen Professor_innen in den USA kaum Verbindungen zu advokatorischen Think Tanks auf.
- US-Ökonom_innen positionieren sich (wirtschafts-)politisch bevorzugt über öffentliche Briefe und politische Wahlempfehlungen. Eine personenzentrierte Auswertung der Briefe und Wahlempfehlungen (Zeitraum 2008 bis 2016) ergibt eine klare politisch-ideologische Blockbildung aus demokratisch und republikanisch orientierten Ökonom_innen, wobei der demokratische Block deutlich größer ausfällt. Gegensätzlich verhält es sich mit Blick auf die wirtschaftspolitische Think Tank-Landschaft in den USA, wo Think Tanks der ideologischen Mitte und noch stärker jene im konservativen und libertären Spektrum eine stärkere Vernetzung aufweisen.
- Bezüglich der wirtschaftspolitischen Beratungstätigkeit gibt es beträchtliche institutionelle und personell-ideologische Unterschiede zwischen den beiden Ländern. So sind in Deutschland die wichtigsten permanenten Beratungsgremien (Sachverständigenrat, wissenschaftliche Beiräte beim BMF und BMWi) politisch unabhängig. Gleichzeitig macht eine personenzentrierte Auswertung dieser drei Gremien ihre bemerkenswerte ordoliberale Schlagseite sichtbar. Bspw. konnten bei ca. 46% der gegenwärtigen Gremienmitglieder direkte Verbindungen zu deutschen ordo-/neoliberalen Netzwerken festgestellt werden, wohingegen nur zwei Personen mit keynesianisch-alternativen Institutionen verbunden sind. In den USA wiederum unterstehen die zwei wichtigsten wirtschaftspolitischen Beratungsorgane (Council of Economic Advisers, National Economic Council) unmittelbar dem Präsidenten. Zusätzlich gibt es mit der Congressional Budget Office und dem dort ansässigen Panel of Economic Advisers auch eine wichtige wirtschaftspolitische Beratungsinstitution auf Seiten der US-Legislative.
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Publikationen
Beyer, Karl M. / Grimm, Christian / Kapeller, Jakob/ Pühringer, Stephan (2017): Der deutsche Sonderweg im Fokus: Eine vergleichende Analyse der paradigmatischen Struktur und der politischen Orientierung der deutschen und US-amerikanischen Ökonomie., öffnet eine Datei ICAE Working Paper Series No. 71.
Beyer, Karl M./ Grimm, Christian/ Kapeller, Jakob/ Pühringer, Stephan (2018): Netzwerke, Paradigmen, Attitüden. Der deutsche Sonderweg im Fokus. Paradigmatische Ausrichtung und politische Orientierung von deutschen und US-amerikanischen Ökonom_innen im Vergleich, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster. FGW-Studie, Neues Ökonomisches Denken 07a
Beyer, Karl/ Grimm, Christian/ Kapeller, Jakob/ Pühringer, Stephan (2018): Die VWL in Deutschland und den USA - eine länderverleichende Untersuchung, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster. FGW-Impuls, Neues Ökonomisches Denken 07a
Projektdetails
Das Projekt wird durch das Forschungsinstitut für gesellschaftliche Weiterentwicklung (FGW) finanziert.
Projektleitung
Jakob Kapeller
Projektmitarbeit
Christian Grimm
Stephan Pühringer
Karl Beyer
Kontakt
Projektdauer
09/2015 – 06/2017