Damit setzten sie einen wichtigen Schritt in Richtung mehr Nachhaltigkeit im Bereich Soft-Robotik.
Leistungsstarke künstliche Muskeln für den Einsatz in der Robotik, die biologisch abbaubar sind, hat ein Forscherteam aus Österreich, Deutschland und den USA entwickelt. Mit diesen aus Gelatine, Öl und Biokunststoff bestehenden "Aktuatoren" bauten sie einen kompostierbaren Robotergreifer, der mit kommerziellen Roboterarmen kompatibel ist, berichten die Forscher im Fachjournal "Science Advances". Sie sehen darin einen Schritt hin zu mehr Nachhaltigkeit im Bereich Soft-Robotik.
Martin Kaltenbrunner und sein Team von der Abteilung Physik der Weichen Materie und dem "LIT Soft Materials Lab" der Johannes Kepler Universität Linz arbeiten bereits seit Jahren daran, bewegliche Maschinen und Roboter mit weichen Werkstoffen zu bauen. So sollen etwa aus Gel bestehende Bauteile, die ein elektrisches Signal in eine Bewegung umwandeln (Aktuatoren), ermöglichen, dass Roboter und Mensch eng und sicher interagieren können.
Dabei wird Nachhaltigkeit auch im Bereich Soft-Robotik immer wichtiger. Erst im Vorjahr haben die Linzer Forscher*innen eine vollständig biologisch abbaubare Hydrogel-Tinte auf Gelatinebasis sowie ein 3D-Druckverfahren für deren Verarbeitung entwickelt, mit denen sich formstabile, sehr bewegliche komplexe Aktuatoren drucken lassen. Das Material kann mehrmals wiederverwendet und am Ende seiner Lebensdauer gefahrlos entsorgt werden.
Nun haben Kaltenbrunner und sein Team gemeinsam mit Wissenschafterinnen und Wissenschaftern um den Österreicher Christoph Keplinger vom Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart (Deutschland) und der University of Colorado (USA) einen elektrisch angetriebenen künstlichen Muskel entwickelt - den sie HASEL (Hydraulically Amplified Self-healing ELectrostatic actuator) nennen. Der Muskel besteht aus einem mit Pflanzenöl gefüllten Kunststoffbeutel mit zwei integrierten Elektroden. Wird an diese Elektroden Hochspannung angelegt, verschieben elektrostatische Kräfte das Öl im Inneren des Beutels. Durch ein- und ausschalten des Stroms wird das Öl hin- und hergeschoben und der Beutel zieht sich zusammen und erschlafft wieder - ähnlich wie ein echter Muskel.
Ein solch ein einzelner Aktuator ist rund sechs Zentimeter breit und zwei Zentimeter hoch. Je nachdem, wie viel Gewicht im Labor daran hängt, zieht sich so ein künstlicher Muskel bis zu 17 Prozent, also etwa drei bis vier Millimeter zusammen. "Schaltet man viele Einzelaktuatoren in Serie oder parallel kann man entweder den Hub oder die Gesamtkraft erhöhen - ähnlich wie bei Muskelfasern", erklärte Kaltenbrunner.
Um eine leitfähige, weiche und vollständig biologisch abbaubare Elektrode zu entwickeln, die auch Hochspannung standhält, setzten die Linzer Forscher*innen auf eine Mischung aus Gelatine und Salzen. Im nächsten Schritt fand das Forscher*innenteam einige biologisch abbaubare Kunststoffe wie Biopolyester oder Polylactide mit guter Materialverträglichkeit mit den Elektroden und hoher Leitfähigkeit. Die HASEL konnten sich - bei mehreren tausend Volt - bis zu 100.000 Mal zusammenziehen und wieder entfalten, ohne dabei kaputt zu gehen oder an Leitfähigkeit einzubüßen.
"Die Performance der biologisch abbaubaren künstlichen Muskeln ist damit so hoch wie jene von Aktuatoren aus nicht biologisch abbaubaren Materialien - was einen wichtigen Schritt hin zu mehr Nachhaltigkeit im Bereich der Soft-Robotik darstellt", so Kaltenbrunner. Er sieht sie als "idealen Baustein für zukünftige biologisch abbaubare Roboter, weil sie leicht in verschiedene Systeme integriert werden können". Das demonstrierten die Wissenschafter*innen, indem sie einen an einen konventionellen Roboterarm integrierten Greifer mit mehreren solcher künstlichen Muskeln ausgestattet haben.
Sind die künstlichen Muskeln irgendwann beschädigt oder funktionieren nicht mehr richtig, können sie einfach in der Biotonne entsorgt werden. Unter kontrollierten Bedingungen würden sie sich innerhalb von sechs Monaten vollständig abbauen. Die Erstautor*innen der Publikation, Ellen Rumley vom Max-Planck-Institut und David Preninger von der JKU Linz sehen in solchen biologisch abbaubaren Komponenten eine "nachhaltige Lösung, insbesondere für Einweganwendungen bei medizinischen Behandlungen, für Such- und Rettungseinsätze und beim Umgang mit gefährlichen Substanzen. Anstatt am Ende der Produktlebensdauer auf Mülldeponien zu landen, enden die Roboter der Zukunft auf dem Kompost".