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Ukraine, Völkerrecht und Neutralität

Völkerrechtsexperte Prof. Sigmar Stadlmeier erklärt im Interview, wo das Völkerrecht eine "rote Linie" zieht.

Sigmar Stadlmeier
Sigmar Stadlmeier

Prof. Sigmar Stadlmeier (Vorstand des JKU Instituts für Völkerrecht, Luftfahrtrecht und Internationale Beziehungen) ist Experte für Völkerrecht und unterrichtet auch an der Theresianischen Militärakademie mit Schwerpunkt Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) in der militärischen Führung.

Wie wahrscheinlich ist für Sie ein Kriegsausbruch?
Sigmar Stadlmeier: Vom Völkerrechtler nicht zu beantworten. Russland ist mit der Krim "durchgekommen", aber die politischen Signale zeigen, dass ein weiteres Vorgehen Russlands nicht mehr hingenommen würde. Fraglich ist, wie viel Präsident Putin politisch riskiert. Nicht nur wir brauchen sein Gas, er braucht noch mehr unser Geld dafür.

Wie verbindlich wäre ein Abkommen, die NATO nicht weiter nach Osten zu erweitern?
Sigmar Stadlmeier: Da wäre die Frage: ein Abkommen zwischen wem? Wenn eine internationale Organisation (NATO) mit einem Staat (Russland) vereinbaren würde, bestimmte andere Staaten nicht aufzunehmen, wäre das wohl ein Vertrag zu Lasten Dritter (= beitrittswilliger Staaten), hätte aber keine unmittelbaren rechtlichen Konsequenzen, weil es kein "Recht auf Beitritt" gibt, das dadurch verletzt werden könnte. Wenn sich die NATO entscheidet, bestimmte Staaten nicht aufzunehmen, dann ist das eben so. Auch ein Beitrittswerber zur EU kann von der EU abgelehnt werden.

Wo würden Sie als russischer bzw. westlicher Verhandlungsleiter die "rote Linie" ziehen?
Sigmar Stadlmeier: Völkerrechtlich ist die "rote Linie" beim Gewaltverbot, Art 2 Ziffer 4 der Satzung der Vereinten Nationen. Androhung oder Anwendung von Gewalt gegen die territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit eines anderen Staates ist die rote Linie im Völkerrecht. Die russische Föderation hat diese rote Linie schon einmal überschritten, als die Krim besetzt wurde.

Könnte Österreich an die Ukraine Waffen liefern, oder würde das gegen die Neutralität verstoßen?
Sigmar Stadlmeier: So lange der UN-Sicherheitsrat nicht tätig wird, gilt klassisches Neutralitätsrecht, das eine Gleichbehandlung der Konfliktparteien durch den Neutralen verlangt. Waffenlieferungen wären bis dahin neutralitätswidrig. Wirtschaftliche Neutralität (North Stream!) ist hingegen umstritten.