Anlässlich der Publikation eines Sammelbandes zu den verfahrensrechtlichen Grundlagen der Volksgerichtsverfahren, die der Aufklärung von NS-Euthanasieprogrammen dienen sollten, fand Ende April am Campus der JKU eine Vortrags- und Diskussionsveranstaltung statt.
Dekan Bergthaler wies in seiner Begrüßung auf die juristische Verantwortung hin, die Nachkriegsjustiz aufzuarbeiten. Prof.in Lyane Sautner betonte die Bedeutung und die interdisziplinäre Ausrichtung des Forschungsschwerpunkts Procedural Justice, der in diesem Projekt gut sichtbar würde.
Als Herausgeber und Leiter des Projektes am Institut für Strafrechtswissenschaften fasste Siegmar Lengauer einleitend die wesentlichen Ergebnisse zusammen: Die damaligen Rechtsgrundlagen für die Verfolgung und Beurteilung pontenzieller Euthanasie Verbrechen könne als „tauglich“ beurteilt werden. Neben Personal- und Materialmangel in der Nachkriegszeit bedeuteten aber unklare Zuständigkeiten, die weitgehende Abhängigkeit von teilweise unverlässlichen Zeugenaussagen und der geringe Einfluss der Schöffen auf die Entscheidungsfindung ernstzunehmende Herausforderungen.
Im Hauptvortrag berichtete Oberstaatsanwalt Thomas Will anschließend über die Tätigkeit der 1958 geschaffenen „Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltung zur Aufklärung Nationalsozialistischer Verbrechen“ in Ludwigsburg, Baden-Württemberg. Diese Zentralstelle führte bisher 7694 Vorermittlungen durch. Seit der Gründung sind 18688 Verfahren wegen nationalsozialistischer Verbrechen anhängig. Öffentliche Aufmerksamkeit erregte etwa das Verfahren gegen John Demjanjuk; das Vorermittlungsverfahren der Zentralen Stelle ergab hierfür, dass dieser an der Ermordung von mindestens 29.000 Menschen mitgewirkt habe. Mittlerweile schränke das hohe Alter der Täter*innen den Kreis mehr und mehr ein.
In der abschließenden Podiumsdiskussion wies Peter Eigelsberger von der Dokumentationsstelle Hartheim auf die „nur wenigen Verurteilungen für die 30000 Opfer“ der Tötungsanstalt hin. Auf die ganz praktischen Schwierigkeiten, zehntausende Verfahren in dieser Zeit zu führen, verwies Claudia Kuretsidis-Haider von der Dokumentationsstelle des österr. Widerstandes (DÖW). Hinsichtlich der Aufarbeitung kritisierte die DÖW-Forschungsleiterindie die aktuelle Regelung der Landesarchive, dass Akteneinsicht nur mehr mit einem besonderen Nachweis des wissenschaftlichen Interesses möglich sei. Johannes Dietrich unterschied in seinen Ausführungen eindrücklich den „Befehlsnotstand“, eine Zwangslage des Täters die zur Straffreiheit führen kann, und dem "Handeln auf Befehl". So könnten sich Täter in Sonderkommandos, die persönlich erlebt haben, dass es keine ernsthaften Folgen hatte, sich einem Tötungsbefehl zu entziehen, später nicht mehr auf einen vermuteten Notstand ausreden. Anders sei es etwa bei jungen weiblichen Pflegekräften in Hartheim, die sich von mächtigen Vorgesetzten einschüchtern ließen.
Der „äußerst lesenswerte Sammelband“ (Bergthaler) ist im Jan Sramek Verlag erschienen.