Am 13. Oktober 2023 wurde Privatdozentin Dr.in Susanne Schmittat für ihr Paper „Prior Conviction Evidence: Harmful or Irrelevant? A Literature Review“ der Procedural Justice Preis für Nachwuchsforscher*innen verliehen. Wir gratulieren herzlich!
Das Paper behandelt die Frage, ob Angeklagte mit Vorstrafen häufiger als Angeklagte ohne Vorstrafen verurteilt werden. Registerauszüge über Vorstrafen befinden sich regelmäßig in den Verfahrensakten, jedoch werden Vorstrafen mit wenigen Ausnahmen erst für die Strafzumessung relevant und sollten sich somit nicht auf das Urteil auswirken. Entgegen intuitiver Annahmen sind die Ergebnisse experimenteller, meist rechtspsychologischer Studien bezüglich der Auswirkungen von Vorstrafen (prior conviction evidence) auf Schuldurteile jedoch gemischt und teils extrem widersprüchlich.
Die von Susanne Schmittat vorgenommene weitreichende Literaturanalyse führte zu dem Ergebnis, dass der Einfluss von Vorstrafen auf das Urteil von zahlreichen Faktoren und oft auch von einer Interaktion mehrerer Faktoren abhängt. Zum Beispiel können Vorstrafen, die erst wenige Monate alt sind und eine ähnliche Straftat betreffen, die Wahrscheinlichkeit eines Schuldspruches erhöhen. Nicht einschlägige Vorstrafen aus der jüngsten Vergangenheit können sich dagegen positiv für den Angeklagten auswirken. Zusammenfassend zeigte sich, dass die Ergebnisse der analysierten Studien nicht verallgemeinert werden können, da die verwendeten experimentellen Methoden insbesondere hinsichtlich des Untersuchungsmaterials stark variieren und dadurch nur schlecht vergleichbar sind. Somit scheint es vielmehr eine Einzelfallentscheidung zu sein, ob eine vorliegende Vorstrafe einen negativen oder sogar einen positiven Einfluss auf das Urteil haben könnte, was die praktische Relevanz der Forschung stark einschränkt. Susanne Schmittat schlägt daher einen alternativen und integrativen Forschungsansatz vor, um genauer zu untersuchen, unter welchen Umständen Vorstrafen Einfluss auf das Urteil haben können: Zukünftige Studien sollten sich von der isolierten Untersuchung direkter Vorstrafeneffekte lösen und sich verstärkt auf indirekte Effekte konzentrieren, zB ob und wie Vorstrafen sich in eine Schuldgeschichte im Sinne des Story-Modells integrieren oder ob Vorstrafen die Bewertung anderer Beweise verändert (coherence shifting).
Journal of Police and Criminal Psychology 38 (2022), 20–37, doi.org/10.1007/s11896-022-09557-z, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster