Ländervergleichende Bestandsaufnahme nach 40 Jahren Bonner und Berner Konvention und nach 40 Jahren Vogelschutzrichtlinie sowie Handlungsempfehlungen für die Zukunft
Nachdem im im Vorjahr eine präsente Abhaltung wegen der CoViD19-Pandemies leider nicht möglich gewesen wäre, veranstalteten das Institut für Umweltrecht (IUR) und das Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen, A. & J. Schumacher GbR (INNR) in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Umweltrecht der Universität Prag, gefördert durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt und mit freundlicher Unterstützung des Vereins zur Förderung des Instituts für Umweltrecht nunmehr am 27. und 28. Oktober 2021 an der JKU Linz (Uni-Center) die Netzwerk-Tagung zu internationalen Konventionen des Biodiversitätsschutzes – Ländervergleichende Bestandsaufnahme nach 40 Jahren Bonner und Berner Konvention und nach 40 Jahren Vogelschutzrichtlinie sowie Handlungsempfehlungen für die Zukunft.
Aufgrund der Verschlechterung der CoViD19-Pandemiesituation wurde kurzfristig auf eine hybride Abhaltung umgestellt. Dies erwies sich als treffsichere Entscheidung, da kurz vor der Tagung mehrere ReferentInnen aufgrund der CoViD19-Lage nicht mehr hätten einreisen dürfen.
Block 1: Einführung in die Tagung
Zu Beginn der Tagung überbrachte Frau BM Leonore Gewessler (Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie) per Video ihre Grußbotschaft, in der sie die große Bedeutung des Themas der Tagung hervorhob und derselben einen erfolgreichen Verlauf wünschte.
Nach der herzlichen Begrüßung der TeilnehmerInnen und fachlichen Einführung in das Thema durch Erika M. Wagner und Wilhelm Bergthaler (IUR, JKU) ...
... eröffnete Erika M. Wagner mit ihrem Impulsreferat zur „Eigenrechtsfähigkeit von Naturgütern“ den Reigen der Vorträge dieser Tagung. Sie stellte insb auch die faktischen Hintergründe und die verschiedenen bereits praktizierten Modelle der Eigenrechtsfähigkeit von Naturgütern vor und analysierte diese eingehend, um darauf aufbauend Vorschläge für eine Implementierung in das österreichische Recht zu präsentieren.
Daran anschließend wurde per Video der Vortrag von Alexander Bonde (Generalsekretär der DBU) zum Thema „Artensterben – Neue Aufmerksamkeit für ein lang bekanntes Problem“ präsentiert.
Der erste Block wurde schließlich von Jochen Schumacher (Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen) mit Ausführungen „Zur Geschichte zweier internationaler Konventionen und einer europäischen Richtlinie – Zur Notwendigkeit ihrer Entstehung aus fachlicher und rechtlicher Sicht“ beschlossen. Er ging nach einer einleitenden Darstellung des fachlichen und des rechtlichen Hintergrundes näher auf die Bestimmungen der Bonner und der Berner Konvention sowie der Vogelschutz-Richtlinie ein.
Schließlich wurden die Vorträge des ersten Blocks noch einer eingehenden Diskussion unterzogen.
Block 2: Herausforderung Arten- und Biodiversitätsschutz
Volker Mauerhofer (Mid Sweden University / Universität Wien) stellte in seinem Impulsreferat zum Thema „Vom Stop des Artensterbens zur Umkehr des Biodiversitätsverlustes“ zunächst die Herausforderungen für das Biodiversitätsrecht dar, bevor er rechtliche Wege zur Umkehr des Biodiversitätsverlustes präsentierte. Dabei ging er ua näher auf das neue „Netto-Gewinn“-Prinzip und auf Beispiele rechtlicher Umsetzungsansätze ein.
Unter dem Titel „Herausforderung Biodiversität und Artenschutz auf EU-Ebene“ erhielten die ZuhörerInnen von Alexander Just (Europäische Kommission, Generaldirektion Umwelt) Informationen aus erster Hand. Er stellte nicht nur die verschiedenen Regelungssysteme näher vor, sondern ging auch näher auf die Auslegung mehrere Bestimmungen der FFH-RL durch den EuGH ein. Zudem konnte er den kürzlich veröffentlichten „Leitfaden [der Europäischen Kommission] zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der FFH-Richtlinie“ präsentieren.
Nach einer weiteren Fragerunde und der wohlverdienten Mittagspause mit strikt biologischen Köstlichkeiten folgten die Länderberichte zur Umsetzung in der Praxis, und zwar
- für Deutschland von Franziska Heß (Baumann Rechtsanwälte, Würzburg, Leipzig),
- für Österreich von Wilhelm Bergthaler (IUR, JKU)
und schließlich
- für Tschechien von Milan Damohorsky (Karls Universität Prag).
Auch diese Beiträge wurden wieder eingehend diskutiert.
Block 3: Mechanismen für den Erfolg
Christoph Sobotta (Rechtsreferent im Kabinett der Generalanwältin Juliane Kokott, Gerichtshof der Europäischen Union, Luxemburg) brachte in seinem Impulsreferat über „Naturverträglichkeitsprüfung (FFH-VP), EuGH-Rechtsprechung und die Bedeutung des Verschlechterungsverbots“ die betreffenden Probleme auf den Punkt und konnte aufgrund seines „Insider-Wissens“ wesentliche Hinweise zur Lösung dieser Probleme etwa in Zusammenhang mit bestandskräftigen Genehmigungen geben.
Daran anschließend ging Daniela Ecker (IUR, JKU) in ihrem Impulsreferat über „Herausforderungen und Stolpersteine der NVP“ nach einem kurzen Überblick über die europarechtlichen Vorgaben zur NVP umfassend auf die einzelnen Phasen der NVP (Screening/Vorprüfung – Verträglichkeitsprüfung – Alternativenprüfung – Interessenabwägung und Ausgleich) ein. Dabei widmete sie ua der europarechtlich korrekten Ausweisung, der Relevanz von Eingriffen außerhalb eines Schutzgebiets, kumulativen Auswirkungen, der Interessenabwägung, „vorgezogenen“ Maßnahmen und der globalen Kohärenz breiten Raum.
Auch diese beiden Vorträge wurden näher diskutiert.
Block 4: Junges Forum
Im letzten Block des ersten Tages lieferte zunächst Tina Teucher (Sustainable Matchmaker) unter dem Titel „Bedeutung der UN-Dekade „Ecosystem Restoration“ für die Umsetzung von Biodiversitätsschutzzielen“ den ersten fachlichen Input.
Daran anschließend präsentierte Michaela Krömer (Rechtsanwaltskanzlei | Krömer) ihren Input unter dem Titel „Globale Beispiele zur Eigenrechtsfähigkeit von Naturgütern“.
Auf der Basis dieser beiden Beiträge konnte schließlich das Planspiel „Biodiversität am Wort“ unter dem Motto „Wer soll die Hüterin der Biodiversität sein?“ durchgeführt werden. In der tiefgehenden, aber auch erfrischenden Diskussion meldeten sich nicht nur die „arrivierten“ TeilnehmerInnen der Tagung zu Wort, sondern auch zahlreiche SchülerInnen und Studierende, die zuvor in einem eigenen Workshop gebrieft worden waren. Die unterschiedlichen Sichtweisen garantierten einen lebhaften Meinungs- und Erfahrungsaustausch.
Der erste Tag der Tagung wurde schließlich mit einem gemütlichen Beisammensein mit hervorragender biologischer Verköstigung und qualitativ hochstehender Musik der Jazz/Pop/Soul-Formation „First Avenue“ beschlossen. Angesichts des gediegenen Ambientes fiel das Netzwerken richtig leicht.
Block 5: Praxisbeispiele
Gut ausgeruht bekamen die TeilnehmerInnen der Tagung zu Beginn des zweiten Tages gleich unter dem Titel „Habitat- und Artenschutzrecht bei Projekten“ zahlreiche Praxisbeispiele präsentiert.
- Aus Deutschland berichtete Anke Schumacher (Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen),
- aus Österreich Mario Pöstinger (OÖ Umweltanwaltschaft),
- aus der Schweiz Friedrich Wulf (Pro Natura, Basel)
und abschließend
- aus Tschechien Vojtech Stejskal (Karls Universität Prag).
Block 6: Praedatorenschutz und Entschädigungsrecht
Einem auch praktisch höchst bedeutsamen Thema war der vorletzte Block der Veranstaltung gewidmet.
In seinem höchst engagierten Impulsreferat warb Klaus Rheda (Staatssekretär im Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft und Energie des Landes Sachsen-Anhalt) nachdrücklich um „Akzeptanz für den Artenschutz“. Er stellte dabei insb den Praedatorenschutz und die Entschädigungspraxis betreffend den Wolf in Sachsen-Anhalt dar. Sachlich fundiert konnte er zahlreiche unbegründete Vorurteile ausräumen und Möglichkeiten für ein sinnvolles Mit- bzw Nebeneinander von Nutztierhaltung und Beutegreifern aufzeigen.
Darauf folgten die nicht weniger engagierten Länderberichte
- für Österreich von Erika M. Wagner (IUR, JKU),
- für Slowenien von Leo Šešerko (Hochschule für Umweltschutz, Velenje)
und
- für die Slowakei von Michaela Skuban (Staatliche Naturschutzbehörde, Slowakei).
Wie zu erwarten boten die Referate dieses Blocks trotz der vorgerückten Zeit viel Diskussionsstoff.
Block 7: Handlungsaufträge an Gesellschaft und Politik
Im letzten Block der Tagung wagten die Referenten schließlich noch eine Bestandsaufnahme bzw einen durchaus kritischen Blick in die Zukunft.
Zunächst warf Thomas Potthast (LS Ethik, Geschichte und Theorie der Biowissenschaften und Internationales Zentrum für Ethik in den Biowissenschaften [Universität Tübingen] sowie Präsident von Euronatur – Stiftung Europäisches Naturerbe) die Frage „Welche Zukunft hat die Biodiversität?“ auf. Er wies dabei eindrucksvoll ua darauf hin, dass gerade beim Thema Biodiversität eine Fokussierung auf „5 vor 12“ kontraproduktiv sein kann. Vielmehr solle eine (auch bittere) Realistik statt einer Apokalyptik als „mindset“ dienen. Er machte auch klar, dass es nicht um die Frage „Mensch oder Natur“ geht, sondern dass die Bedürfnisse von Menschen und Natur zu befriedigen sind und auch befriedigt werden können.
Abschließend stellte sich noch Ferdinand Kerschner (IUR, JKU) den Fragen „Was haben wir erreicht? Woran scheitern wir? [sowie] Was muss besser werden?“. Er verwies auf die anhaltende drastische Verschlechterung der Biodiversität und den fehlenden maßgeblichen Willen zur Änderung. Nach seiner Analyse, welche Optionen jede/jeder Einzelne hat, und was auf nationaler Ebene, auf EU-Ebene und auf internationaler Ebene besser werden muss, kam er zum Schluss, dass auf allen Ebenen ein Umbau der Gesellschaft erforderlich ist. In diesem Sinne forderte er zusammenfassend die Naturschützer aller Länder auf, sich zu vereinigen.
Mit einer eingehenden Schlussdiskussion und einem (versöhnlichen und vermittelnden) Ausblick von Erika M. Wagner ging die höchst spannende Tagung schließlich zu Ende.
Aufgrund des großen Publikumsinteresses werden die Ergebnisse der Tagung Anfang 2022 in einem eigenen Tagungsband publiziert. Eine Fortsetzung der Tagung im Frühjahr 2023 ist bereits angedacht …