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Alkohol ist doch eine Lösung

Wenn es plötzlich eine Methode gibt, mit der Kohlendioxid in Alkohol verwandelt werden kann, muss man aufpassen, nicht ins Boulevardeske zu verfallen. Aber „Die Welt retten in der Vollfett’n“ würde der Forschung der Arbeitsgruppe um Wolfgang Schöfberger vom Institut für Organische Chemie der Johannes Kepler Universität Linz nicht gerecht werden. Deswegen so:

Die Aufgabe, die sich das Team aus Österreich, Deutschland, Indien und China gestellt hat, lässt sich recht einfach formulieren: Unsere Atmosphäre ist voll mit CO2. Das wollen wir dort aber nicht haben, weil es absolut gar nicht gut für unser Klima ist. Also machen wir aus dem CO2 doch einfach etwas, was weniger klimaschädlich und noch dazu nützlich ist. Alkohol zum Beispiel.

Bevor sich jemand große Hoffnungen macht: Es geht tatsächlich nicht darum, eine neue Quelle für Schnaps, Wein oder Bier zu erschließen. Die Versorgung der Bevölkerung mit Trinkalkohol war kein Anliegen von Schöfberger und seinem Team (da ist Österreich ja sowieso schon recht gut ausgestattet). Es geht um das wesentlich weniger sexy klingende Problem der „elektrochemischen CO2- Reduktion“. Was nichts anderes bedeutet, als dass man das Kohlendioxid als Rohstoff für die Herstellung von nützlichen Chemikalien wie Alkohol verwendet.

Darunter versteht man in der Chemie übrigens alle organischen Verbindungen an deren Kohlenstoffatome eine oder mehrere Hydroxygruppen gebunden sind. Was zugegebenermaßen wesentlich weniger attraktiv klingt als etwa „Gin Tonic“ oder „ein großes Bier“. Und man sollte auch immer skeptisch sein, wenn einem Chemikerinnen und Chemiker Alkohol anbieten. Denn das, was wir normalerweise zum Vergnügen trinken, nennt sich „Ethanol“ und ist nur einer von vielen Alkoholen im Arsenal der chemischen Forschung. „Methanol“ gehört auch dazu – und den sollte man definitiv nicht trinken.

Sowohl Ethanol als auch Methanol sind aber sehr gut geeignet, um als Treibstoff und in Brennstoffzellen eingesetzt zu werden. Sie können viel Energie speichern, und das ist der Punkt, um den es geht. Anstatt CO2 bei der Produktion von Energie in die Atmosphäre zu pusten und dabei das Klima zu schädigen, holen wir es wieder aus der Luft heraus und speichern damit Energie. Mehr Energie, weniger CO2: Vor dieses verlockende Ziel hat die Natur aber einen Berg namens „Aktivierungsenergie“ gesetzt.

Das Molekül Kohlendioxid besteht, wie der Name ja auch schon andeutet, aus einem Kohlenstoffatom und zwei Sauerstoffatomen. Will man daraus etwas anderes machen, muss man es also auseinandernehmen und neu zusammensetzen. Soll daraus Alkohol werden, braucht man dafür auch noch Wasserstoff. Es nützt jetzt aber nichts, einfach CO2 in ein Glas voll Wasser zu geben und darauf zu hoffen, dass es sich in Alkohol verwandelt.

Damit die notwendige chemische Reaktion stattfinden kann, braucht es Energie; nur dann sind die einzelnen Atome bereit, sich voneinander zu trennen und neu zu verbinden. Die kann man natürlich einfach hineinstecken, zum Beispiel in Form von elektrischem Strom. Ist die Barriere der Aktivierungsenergie überwunden, findet die Reaktion statt. Bei der Umwandlung von Kohlendioxid zu Alkohol ist diese Barriere allerdings sehr hoch. Dazu kommen weitere Probleme: Kohlendioxid wird nicht in einer magischen Verwandlung zu Alkohol; die Reaktion hat mehrere Zwischenschritte - und wenn sie dabei quasi falsch abbiegt, kommt am Ende kein Ethanol oder Methanol raus, sondern irgendwelche anderen Chemikalien, die man nicht brauchen kann.

Will man den Prozess tatsächlich sinnvoll und wirtschaftlich zur Reduktion des CO2-Gehalts in der Atmosphäre einsetzen und dabei nützliche Brennstoff e wie Ethanol oder Methanol erzeugen, muss man einerseits einen Weg finden, die Aktivierungsenergie zu verringern. Und andererseits genau kontrollieren, wie die Reaktion abläuft, sodass am Ende nur das entsteht, was auch entstehen soll. Genau das ist der Arbeitsgruppe um Wolfgang Schöfberger gelungen.

Die Aktivierungsenergie kann man sich tatsächlich wie einen Berg vorstellen. Man muss die Ausgangsstoff e quasi irgendwie auf den Gipfel bringen. Dann fallen sie von selbst auf der anderen Seite hinunter ins Tal, wo sie als der Stoff ankommen, der das Ziel der Reaktion ist. Je nach Höhe des Berges kann das aber sehr viel Energie benötigen, und ein Weg, diese zu verringern, ist ein sogenannter „Katalysator“.

„Ein Katalysator ist ein Stoff, der die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion erhöht, ohne selbst dabei verbraucht zu werden“, hat der deutsche Chemiker Wilhelm Ostwald erklärt, und der sollte wissen, wovon er redet. Denn er hat 1909 den Nobelpreis für Chemie für seine Arbeit über die Katalyse bekommen. Was damals noch nichts mit den Katalysatoren zu tun hatte, die wir heute in unsere Autos einbauen. Die funktionieren aber nach genau diesem Prinzip: Die Verbrennungsmotoren erzeugen ungesunde Chemikalien wie Stickoxide oder Kohlenstoffmonoxid. Die würde man gerne in ungiftigere Stoffe wie Wasser oder Stickstoff umwandeln. Das muss schnell und effizient geschehen, und deswegen verwendet man Metalle wie Platin oder Palladium als Katalysator. Anstatt aus einem Stoff A direkt einen Stoff B zu machen, wird zuerst aus A mit Hilfe eines weiteren Stoffes (dem Katalysator) ein Zwischenprodukt erzeugt, dass sich dann ein weiteres Mal zu B umwandelt. Der Katalysator wird dabei nicht verbraucht, weswegen wir in unsere Autos auch nur Benzin oder Diesel tanken müssen und kein Platin.

Den richtigen Katalysator für eine bestimmte Reaktion zu finden ist nicht einfach. Das, was die Arbeitsgruppe um Wolfgang Schöfberger entwickelt hat, ist ein sogenannter Cobalt-Corrol-Komplex. Das klingt kompliziert, ist es auch: Corrole sind ringförmige Gruppen von Stickstoff- und Kohlenstoffatomen, in deren Mitte in diesem Fall ein Atom des Elements Cobalt sitzt. Dieses Metall wird zum Beispiel bei der Herstellung von Akkus verwendet; man fndet es aber auch in unserem Körper, wo es ebenfalls das Zentrum einer ringförmigen Corrole bildet, die „Cobalamin“ heißt und uns besser als „Vitamin B12“ bekannt sind.

Mit Cobalt allein war es beim neuen Katalysator aber noch nicht getan. Das Corrol musste noch weiter modifiziert werden. Man hat zum Beispiel eine Chemikalie eingebaut, die sich „Triphenylphosphan“ nennt, außerdem auch noch Polyethylenglycol und ein wenig Fluor. Der chemisch korrekte und offizielle Name des Katalysators ist tatsächlich deutlich komplizierter als „Cobalt-Corrol-Komplex“ (siehe „Der unaussprechliche Katalysator“ unten).

Es dreht sich aber alles um das Cobalt-Atom, das inmitten all dieser anderen Atome des Corrol-Komplexes sitzt wie eine Spinne in ihrem Netz. Und es kommt darauf an, wie das Cobalt-Atom dort sitzt, also auf die räumliche Konfiguration. All die Atome sind ja in Wahrheit nicht die kleinen bunten und durch schwarze Balken verbundenen Kügelchen, als die sie uns in den Lehrbüchern der Chemie gerne präsentiert werden. Sondern Teilchen, die aus einem elektrisch positiv geladenen Atomkern und einer mit elektrisch negativ geladenen Elektronen gefüllten Hülle drum herum bestehen. Und die schwarzen Balken sind die elektromagnetischen Kräfte, die diese geladenen Objekte aufeinander ausüben und so zusammenhalten (oder abstoßen). Verändert man die Anzahl oder Konfiguration der Elektronen in der Hülle eines Atoms, dann ändert man auch die Art und Weise, wie es mit anderen Atomen in Kontakt treten kann.

Das Cobalt-Atom nimmt nun abwechselnd Elektronen auf und gibt sie wieder ab. Dabei ändert es seine Position im Ring. Liegt es etwa gerade zwischen den Stickstoffatomen des Corrol-Komplexes, dann ist das die optimale Position, um zwei seiner Elektronen an das Kohlendioxid weiterzugeben. Durch den Verlust der negativ geladenen Teilchen spürt es aber nun die elektromagnetische Kraft der übrigen Atome auf eine andere Art und kippt wieder zurück in die Ecke, wo das Triphenylphosphan sitzt. Das macht es dem Cobalt leichter, wieder zwei neue Elektronen aufzunehmen, es bewegt sich wieder zwischen die Stickstoffatome, und alles beginnt von vorne. Der von außen zugeführte elektrische Strom, der ja aus nichts anderem besteht als aus Elektronen, sorgt dafür, dass die Vorräte nicht ausgehen. Das Cobalt-Atom wackelt also hin und her und drückt dem Kohlendioxid immer neue Elektronen auf, ohne selbst dabei verbraucht zu werden. Mit den zusätzlichen Elektronen kann sich das Kohlendioxid nun viel schneller in Alkohol umwandeln.

Wackelnder Cobalt macht Alkohol aus Kohlendioxid. Aber nur, wenn der pH-Wert des Wassers, in dem die Reaktion stattfindet, genau richtig ist. Das war eine weitere wichtige Erkenntnis der Forscherinnen und Forscher: Ein klein wenig sauer muss es sein. Bei einem pH-Wert von 6,_ – also so sauer wie etwa Mineralwasser – läuft alles nach Plan. Noch saurer darf es nicht sein und auch nicht weniger. Bei einem pH-Wert von 8 – was leicht seifigem Wasser entspricht – entsteht kein Alkohol mehr, sondern nur Kohlenmonoxid, was in Sachen Klimaschutz leider wenig hilfreich ist.

All die faszinierende Chemie findet momentan aber nur im Labor statt. Bis man damit tatsächlich die Atmosphäre von CO2 säubern kann, wird noch ein wenig Zeit vergehen müssen. An der Ruhr-Universität Bochum und am Fraunhofer Institut in Oberhausen wird gerade erst damit begonnen, aus der Entdeckung von Schöfbergers Team ein kommerziell einsetzbares Produkt zu entwickeln. Und wenn es dann so weit ist, wird man damit zwar das Weltklima auch nicht im Alleingang retten können – aber mit der elektrochemischen Umwandlung von CO2 in Alkohol auf jeden Fall einen Beitrag zu einer sauberen Energieversorgung und zum Klimaschutz leisten. Prost!

Der unaussprechliche Katalysator

Das, was im Zentrum der Entdeckung der Forschergruppe um Wolfgang Schöfberger steht, hat einen wahrhaft unaussprechlichen Namen. Der Katalysator, der die Umwandlung von Kohlendioxid zu Alkohol erst möglich macht, trägt die offizielle chemische Bezeichnung „Cobalt-Triphenylphosphine 5,10,15-tris(2,3,5,6-tetrafluoro-4-(MeO-PEG_7_)thiophenyl- Corrol“.

Natürlich nicht aus Spaß an komplizierten Namen, sondern aus gutem Grund. Gerade in der Chemie ist es von großer Bedeutung, das wirklich eindeutig klar ist, womit man es zu tun hat. Es kommt nicht nur darauf an, die beteiligten chemischen Elemente zu benennen. Man muss auch angeben, wie viele Atome ein Stoff enthält, welche der Atome mit anderen Atomen verbunden sind, und auf welche Art diese Verbindung stattfindet.

Wie genau das zu erfolgen hat, wurde von der „International Union of Pure and Applied Chemistry“ (IUPAC) exakt und verbindlich festgelegt. Das führt, gerade bei großen Molekülen, die aus vielen Atomen bestehen, zu sehr langen und komplexen Bezeichnungen. Außerhalb der Wissenschaft wird aber meist ein sogenannter „Trivialname“ verwendet. Deswegen sagen wir „Alkohol“ statt „Ethanol“, „Wasser“ statt „Oxidane“ oder „Titin“ zu einem Protein, dessen chemisch korrekter Name aus insgesamt 189.819 Buchstaben besteht und in dieser Hinsicht Rekordhalter unter den chemischen Verbindungen ist (Wer es genau wissen will: Der Name beginnt mit „Methionylthreonylthreonylglutaminylarginyl…“ und endet auf „...isoleucine“). Für den neu gefundenen Katalysator existiert noch kein Trivialname. Aber sollte er einmal in großem Maßstab zum Einsatz kommen, wird sich das mit Sicherheit ändern.  

 

Elizabeth Fulhame: Das Gespenst einer Frau  

Der Name „Katalyse“ steht für eine durch einen Hilfsstoff beschleunigte chemische Reaktion und geht auf den schwedischen Chemiker Jöns Jakob Berzelius zurück, der dieses Wort im Jahr 1836 erstmals in diesem Zusammenhang verwendete.

Die ersten gezielten chemischen Experimente dazu fanden aber schon vier Jahrzehnte zuvor statt. Durchgeführt hat sie die Schottin Elizabeth Fulhame. Über ihr Leben ist kaum mehr als die Tatsache bekannt, dass sie mit dem Arzt Thomas Fulhame verheiratet war. Und im Jahr 1794 ein Buch mit dem Titel „An Essay on Combustion“ veröffentlichte. Sie wollte metallische Gewebe aus Gold und Silber herstellen, und ihr Buch beschreibt die dabei ausgeführten chemischen Experimente. Unter anderem erklärt sie darin, dass bestimmte chemische Reaktionen („Redoxreaktionen“, wie man dazu in moderner Sprache sagen würde) nur in Anwesenheit von Wasser ablaufen können, und das Wasser dabei nicht verbraucht wird. Oder anders gesagt: dass Wasser als Katalysator einiger dieser Reaktionen dient.

Ihre grundlegende Arbeit wurde allerdings weitestgehend ignoriert und schnell vergessen. Was durchaus auch daran lag, dass Fulhame eine Frau war, wie sie in ihrem Buch auch selbst schreibt: „Manche sind so ignorant, dass sie mürrisch und still werden angesichts aller Dinge, die auch nur den Anschein von Gelehrsamkeit erwecken, in welcher Form sie auch erscheinen. Und sollte dieses Gespenst die Form einer Frau haben, sind die Qualen, die sie erleiden, wahrhaft bedrückend.“