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„Allgemeinmedizin im Fokus – vom Handwerk zur Wissenschaft“

Interdisziplinär ausgebildete Hausärzt*innen sind als erste Ansprechpartner*innen essenziell für die medizinische Versorgungsqualität.

von links: Rudolf Trauner, Erika Zelko, Franz Kiesl, Elgin Drda,  Michael Pecherstorfer, Verena Hahn-Oberthaler, Wolfgang Ziegler; Credit: JKUCredit: JKUvon links: Trauner, Zelko, Kiesl, Drda, Pechstorfer, Hahn, Oberthaler, Ziegler; Credit: JKU
von links: Rudolf Trauner, Erika Zelko, Franz Kiesl, Elgin Drda, Michael Pecherstorfer, Verena Hahn-Oberthaler, Wolfgang Ziegler; Credit: JKU

Der Lehrstuhl für Allgemeinmedizin an der Medizinischen Fakultät der Johannes Kepler Universität Linz sowie die zukünftige Fachärzt*innenausbildung stärken die Akademisierung der Allgemeinmedizin durch Forschung, Lehre und Praxis.
Die neue Publikation „Vom Handwerk zur Wissenschaft“ zeigt die Entwicklungen der Allgemeinmedizin in Oberösterreich von 1745 bis heute.

Die Medizinische Fakultät der JKU stellt sich seit zehn Jahren den Herausforderungen des erhöhten Ärzt*innenbedarfs der kommenden Jahre. Nicht zuletzt, um dem Mangel an Ärzt*innen im niedergelassenen Bereich entgegenzuwirken, werden die Studierenden bereits zu Beginn des Studiums an das Fach Allgemeinmedizin herangeführt und dafür begeistert.

Schon im Vorfeld der Gründung der Medizinischen Fakultät der JKU stand fest, dass in der Lehre ein Schwerpunkt auf Allgemeinmedizin gelegt wird“, sagtElgin Drda, JKU Vizerektorin für Medizin und Dekanin der Medizinischen Fakultät. „Heute, zehn Jahre nach der Gründung, bringen mehr als 65 niedergelassene Allgemeinmediziner*innen ihr theoretisches und praktisches Wissen in die Lehre ein. Durch die Lehrpraxis und das Klinisch-Praktische Jahr lernen Studierende der Medizinischen Fakultät der JKU den Hausärzt*innenberuf sehr früh und direkt vor Ort kennen. Mit dem 2021 etablierten Lehrstuhl für Allgemeinmedizin hat die JKU den entscheidenden Schritt gesetzt – für eine Sichtbarmachung des Berufs Allgemeinmediziner*in auch in der Öffentlichkeit.“

Sichtbarkeit und Wertschätzung für Allgemeinmedizin
Mit der neuen Publikation „Vom Handwerk zur Wissenschaft“ wird die spannende Geschichte der Allgemeinmedizin in Oberösterreich von 1745 bis heute erzählt. Dabei werden auch die weiblichen Pioniere, die das Fach geprägt und weiterentwickelt haben, vor den Vorhang geholt.

„Wer seine Geschichte nicht kennt, kann seine Zukunft nicht gestalten“, sagt Erika Zelko, Leiterin des JKU Instituts für Allgemeinmedizin und Herausgeberin der Publikation. „Mit diesem spannenden Buch wollen wir auch die Sichtbarkeit und die Wertschätzung der Allgemeinmedizin erhöhen.“

Das Buch entstand in enger Abstimmung mit der OÖ. Ärztekammer, der OÖ. Gesundheitsholding, der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), dem Kepler Universitätsklinikum, der Oberösterreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und dem Land OÖ.

Die Allgemeinmedizin ist wohl die Wurzel allen medizinischen Handelns. Erst nach und nach haben sich die einzelnen Spezialisierungen und Fachdisziplinen daraus entwickelt. Mit der Medizinischen Fakultät der JKU und dem überaus wichtigen Institut für Allgemeinmedizin unter Univ.-Prof.in Dr.in Zelko sowie dem neuen Lehrbuch wird diesem Umstand Rechnung getragen, die Bedeutung der Allgemeinmedizin unterstrichen und ein immens wichtiger Beitrag für die zukünftige medizinische Basisversorgung unserer Bevölkerung geleistet“, sagt Wolfang Ziegler, Kurienobmann-Stellvertreter der niedergelassenen Ärzte in der Ärztekammer für Oberösterreich.

„Dieses Buch lebt von der Zusammenarbeit starker Institutionen und ist ein wichtiges Referenzwerk für historisch interessierte Menschen und ein Must-have für angehende Allgemein- und Familienmediziner*innen“, sagtThomas Peinbauer vom Institut für Allgemeinmedizin der JKU. „Mit rubicom und anderen starken Partner*innen und Sponsor*innen ist es gelungen, ein wichtiges Referenzwerk für historisch interessierte Menschen und angehende Mediziner*innen zu schaffen.“
Aber auch für interessierte Lai*innen bietet das Buch unglaublich spannende Einblicke von einfachsten Methoden zur modernen Hightech-Medizin.

„Wir sehen in der Allgemeinmedizin ein ungemeines Potenzial bei jungen Mediziner*innen, die noch studieren bzw. sich in Ausbildung befinden. Die Allgemeinmedizin ist die Basis der Patienten*innenversorgung und hat einen hohen Stellenwert für die ÖGK. Das von der Österreichischen Gesundheitskasse ins Leben gerufene Servicecenter ,Meine eigene Praxis‘ begleitet interessierte Kassenärzt*innen von morgen auf ihrem Weg in den niedergelassenen Bereich. Ich kann allen Medizinstudierenden ans Herz legen, sich beim Servicecenter zu melden und sich in einem kostenlosen Beratungsgespräch zu informieren, welche Möglichkeiten es gibt, sich mit einer Praxis selbstständig zu machen“, betont Michael Pecherstorfer, Vorsitzender des Landesstellenausschusses der ÖGK in OÖ.

Franz Kiesl, Leiter des Fachbereichs Versorgungsmanagement 1, weist auf die vielseitigen Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit der ÖGK hin: „Wir wissen, dass sich die Bedürfnisse der angehenden Mediziner*innen geändert haben. Familienfreundliche Arbeitszeitmodelle und die Zusammenarbeit in interdisziplinären Teams gewinnen stetig an Bedeutung. Als ÖGK bieten wir unseren Vertragsärzt*innen zahlreiche Möglichkeiten für die Karriere in der Kassenmedizin, die viel eigenen Gestaltungspielraum zulassen. Unsere Angebote wie Jobsharing-Modelle, Gruppenpraxen und Primärversorgungszentren liegen im Trend und erfreuen sich steigender Nachfrage.“

Erste Ärztinnen in Österreich und Oberösterreich
Heute ist die Medizin, auch die Allgemeinmedizin, weiblich das war vor und nach 1900 ganz anders. Die Frau stand für die Krankenpflege, der Beruf des Arztes war ganz und gar männlich besetzt. „Für die ersten Frauen, die den Beruf der Ärztin ergreifen wollten, war die Schweiz ein wichtiges Bezugsland, wo an der Universität Zürich auch Frauen Medizin studieren konnten. So auch eine der ersten österreichischen Ärztinnen, die 1897 ihre Praxis in Wien eröffnete. Die erste Ärztin Oberösterreichs kam 1914 in ihre Funktion, die erste Allgemeinmedizinerin Oberösterreichs eröffnete 1920 ihre Praxis in Wels“, weiß Autorin Verena Hahn-Oberthaler von rubicom. Das Buch geht diesen ersten Pionierinnen der Allgemeinmedizin in Oberösterreich nach, zeichnet ihren Weg zwischen professioneller Selbstbehauptung und gesellschaftlicher Akzeptanz der Frau im Beruf der Ärztin nach – ein Weg, der oft gegen den Widerstand der männlichen Berufskollegen zu bewältigen war.

Geschichte der Allgemeinmedizin Oberösterreichs aus Primärquellen
Das Buch greift seine Inhalte zu einem hohen Anteil aus Primärquellen auf und gibt erstmals Einblicke in die Praxis der Allgemeinmedizin Oberösterreichs durch drei Jahrhunderte. Dazu zählt auch der Richtungsstreit zwischen den in Zunft-Gremien organisierten Wundärzten und der kommenden Universitäts-Medizin Mitte des 19. Jahrhunderts, ein Paradigmenwechsel, der auch in Oberösterreich sehr öffentlichkeitswirksam vonstattenging. „Ein Glücksfund war der Nachlass des Allgemeinmediziners Edmund Guggenberger, der als Allgemeinmediziner, vor allem aber als Chronist der oberösterreichischen Ärzteschaft eine Ausnahmeerscheinung war. Fotos aus seinem Nachlass bereichern das Buch, und wie eine Arzttasche auf das Cover des Buches kam, das ist eine ganz eigene Geschichte, die auch mit Edmund Guggenberger zu tun hat“, so der Historiker und Autor Gerhard Obermüllervon rubicom.
Historische und zeitgenössische Porträts von Ärzt*innen vermitteln ein Kaleidoskop des Wandels, dem Beruf des Allgemeinmediziners und der Allgemeinmedizinerin in diesem enormen Zeitraum seit 1745 unterworfen war und gibt auch Einblicke ins Heute.

Auch neues Lehrbuch für Allgemeinmedizin
Neben der Publikation zur Geschichte ist ein weiteres Buch entstanden:
Das neue Lehrbuch der Allgemeinmedizin ist das Resultat einer intensiven Zusammenarbeit der Medizinischen Fakultät der JKU mit den Medizinischen Universitäten Wien, Innsbruck und Graz sowie der Paracelsus Medizinische Privatuniversität und der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften.
Dieses einzigartige Lehrbuch für Studierende der Humanmedizin, soll die allgemeinmedizinische Ausbildung in Österreich verbessern und das Interesse der Studierenden an der Allgemeinmedizin stärken.

Fokus auf Allgemeinmedizin im Studium an der JKU
Die JKU hat Verträge mit mehr als 60 Lehrordinationen abgeschlossen, in denen die Studierenden Erfahrungen im Ordinationsalltag sammeln können. Schon in den ersten beiden Wochen des ersten Semesters absolvieren die Studierenden ein Praktikum in

einer allgemeinmedizinischen Ordination. Neben der Möglichkeit der Famulatur bei Allgemeinmediziner*innen gibt es im Klinisch-Praktischen Jahr besondere Fördermaßnahmen. So stellen die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) und die OÖ. Ärztekammer bei Absolvierung eines vierwöchigen Pflichtpraktikums in einer allgemeinmedizinischen Lehrordination ein Entgelt in Höhe von 900 Euro zur Verfügung – ebenso wie für acht Wochen im Klinisch-Praktischen Jahr. Diese Ausrichtung des Medizinstudiums auf Allgemeinmedizin ist in Österreich einzigartig und setzt innovative Schritte, um die allgemeinmedizinische Versorgungssicherheit auch künftig zu gewährleisten.

Praxisorientiere Lehre
In der praxisorientierten Lehre steht der Mensch im Mittelpunkt. Der Unterricht findet in Kleingruppen (15 Studierende) – sogenannten Track-Praktika – statt. In 90-minütigen Einheiten steht jeweils ein Thema im Fokus – vom Abhören des Thorax mit dem Stethoskop bis hin zu komplexen Themen wie etwa Gewalt in der Familie. Geübt wird an Schauspieler*innen. Diese Track-Praktika erstrecken sich vom ersten bis zum zehnten Semester. Dazu gibt es noch die Basismodule, in denen die Grundlagen und die Theorie der Allgemeinmedizin gelehrt werden. „Die Idee ist, dass wir versuchen, alle Themen einzubringen, die in der allgemeinmedizinischen Praxis oft vorkommen“, sagt Erika Zelko. „Auch wenn sie irgendwann Chirurg*innen oder Internist*innen sind, wissen sie dann, was alles im niedergelassenen Bereich gemacht werden kann. Sehr wichtig ist auch der Unterricht in den niedergelassenen Praxen, wo die Studierenden nahe am Wohnort die Allgemeinmedizin kennenlernen können. Das wäre ohne unsere Lehrordinations-Inhaber*innen nicht möglich.“

Zukunftsfitte Allgemeinmedizin
„Allgemeinmedizin ist eine ,Kontext-Medizin‘, um in einem sehr hybriden Umfeld für die Menschen Zusammenhänge herzustellen, das wird auch in der Medizin immer wichtiger“, sagt Erika Zelko. „Mitten in der digitalen Transformation, in der wir als Gesellschaft stecken, und vor der Herausforderung der Künstlichen Intelligenz wird unsere ,Kontext-Medizin‘ an Position und Stärke gewinnen.“ Technologie tendiere zur Fragmentierung, Allgemeinmediziner*innen nehmen den ganzen Menschen als Individuum mitsamt seinem persönlichen Umfeld in den Blick: „Nicht nur die Diagnose steht im Mittelpunkt, sondern der Mensch“, so Zelko.

Eines der kommenden Leuchtturm-Projekte wird die „Digitale Campus-Ordination“ sein. Sie soll den Studierenden eine patient*innen-zentrierte Lehre ermöglichen, in der die Versorgung der Patient*innen sowie Lehre undForschung in den realen ärztlichen Alltag einfließen können. So könnten im echten Versorgungs-Zusammenhang Kooperationen eingeübt, für Patient*innen Therapiepläne erstellt und Patient*innen längere Zeit auch von Studierenden begleitet werden. Das Zusammenspiel der Studierenden mit bereits praktizierenden Ärzt*innen soll für einen ersten Know-how-Transfer sorgen, und das mitten im Studium.