Der Erfolg von (kooperativer) Arbeit beruht auf einem gemeinsamen Verständnis der betroffenen Abläufe durch die beteiligten Personen. Dieses gemeinsame Verständnis wird der Theorie von Strauss zufolge durch die ständige und unbewusste Durchführung von Tätigkeiten zur Abstimmung mit anderen Individuen erreicht. Beim Auftreten von Situationen, die von den Beteiligten als komplex und problematisch wahrgenommen werden, müssen nach Strauss bewusst dezidierte Aktivitäten der Abstimmung und zum Erreichen einer gemeinsamen Sichtweise durchgeführt werden. Sowohl die Identifikation der Notwendigkeit von Abstimmungsaktivitäten als auch deren Durchführung werden maß- geblich von den individuellen Wahrnehmungen der beteiligten Personen beeinflusst. Auf diesen Aspekt geht Strauss nicht ein, so dass auch Arbeiten, die sich bei der Entwicklung von Instrumenten der Unterstützung der Abstimmung auf dessen Arbeiten beziehen, die individuelle Dimension nicht explizit berücksichtigen. Wird diese individuelle Dimension ignoriert, so hat dies negative Auswirkungen auf das Arbeitsergebnis. Ziel dieser Arbeit ist deshalb die Unterstützung der Abstimmungsprozesse über Arbeitsabläufe unter ex- pliziter Berücksichtigung der Bedürfnisse der beteiligten Individuen. Zu diesem Zweck werden Methoden aus der Theorie der mentalen Modelle nach Johnson-Laird mit den Anforderungen aus der Abstimmung von Arbeitsabläufen zusammengeführt.
Um die Abstimmung zu unterstützen, setzt der hier vorgestellte Ansatz die kooperative Bildung und Diskussion diagrammatischer Modelle ein. Dieser Zugang ist aus der Theorie der Bildung und Veränderung mentaler Modelle abgeleitet. Die Externalisierung der mentalen Modelle in Form von diagrammatischen Modellen ist nach Seel ein Weg zur Reflexion und Kommunikation derselben und ermöglicht so die Entwicklung einer gemeinsamen Sichtweise auf den kooperativen Arbeitsablauf. Methodisch baut die Arbeit auf Strukturlegetechniken und Concept Mapping auf, welche sich zur Externa- lisierung mentaler Modelle eignen. Die dort vorgeschlagenen Methoden werden unter Bezugnahme auf die Abstimmung von individuellen Sichtweisen auf Arbeitsabläufe zu- sammengeführt. Wesentlich für die kooperative Anwendung ist deren Durchführung auf einer durch mehrere Personen unmittelbar und gleichzeitig manipulierbaren Modellierungsoberfläche. Die entwickelte Methodik wird deshalb durch ein Tabletop Interface – eine horizontale Interaktionsoberfläche mit rechnerbasierten Unterstützungsfunktionen – zu einem Instrument ergänzt, mit dem die Durchführung von Abstimmungsaktivitäten unterstützt werden kann.
Das Tabletop Interface ermöglicht die kooperative Bildung von Modellen mittels physischen Bausteinen, die auf der Interaktionsoberfläche platziert werden. Das Modell kann so unmittelbar und simultan von mehreren Personen erfasst und manipuliert werden. Technologisch basiert das System auf der Identifikation der Bausteine mittels Markern, die durch eine Kamera in Echtzeit erfasst werden. Die erfasste Information wird durch das System interpretiert, so dass Aktivitäten zur Modellbildung identifiziert werden können. Die Darstellung von Information zum erstellten Modell erfolgt durch Rückprojektionauf die Interaktionsoberfläche und einen Bildschirm, der als erweiterter Ausgabekanal für nicht auf der Oberfläche darstellbare Information dient. Durch zusätzliche Rechnerun- terstützung werden kooperationsunterstützende Maßnahmen wie die Wiederherstellung vergangener Modellzustände ermöglicht. Die persistente Ablage der erstellten Modelle erfolgt als Topic Map, einem standardisierten Datenformat zur flexiblen Repräsentation semantischer Netze, das eine Wieder- und Weiterverwendbarkeit der erstellten Modelle gewährleistet.
Die Effektivität der Unterstützung von Abstimmungsaktivitäten durch das System wird im Rahmen einer empirischen Untersuchung untersucht. Dabei wird die Verwend- barkeit des interaktiven Systems selbst, dessen Nutzen bei der Abstimmung mentaler Modelle sowie letztendlich die Auswirkungen bei der Durchführung von Abstimmungsaktivitäten in Arbeitsprozessen untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass das Werkzeug verständlich und benutzbar ist und das Instrument in seiner Gesamtheit sowohl positive Wirkungen auf die Kooperation zwischen den beteiligten Personen hat als auch die Bildung einer gemeinsamen Sichtweise auf den betrachteten Arbeitsablauf hat.