VON NORBERT TRAWÖGER, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster
Erschienen in der KEPLER TRIBUNE Ausgabe 1/2021, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster
Fehler besitzen die Eigentümlichkeit, sich einzuschleichen. Fehler können sich verheerend, lebensbedrohlich, inspirierend, amüsant oder völlig anders auswirken. Ich erinnere mich, vor Jahren einen Text über ein Konzert mit Nikolaus Harnoncourt und seinem „Concentus Musicus“ geschrieben zu haben. Telefonisch gab ich vor Drucklegung noch in breitem Oberösterreichisch einen mir wichtig erscheinenden und vergessenen Halbsatz zu Mozarts „Vesper“ durch. Am Tag darauf las ich in der Zeitung von Mozarts Vespa. Was umso lustiger war, da ich in gleichem Text und anderem Zusammenhang schon einen roten Ferrari in Stellung gebracht hatte. Ich bin sicher, dass dem hochgeschätzten Musiker in seinem reichen Künstlerleben niemals ein größerer Fuhrpark an italienischen Fahrzeugen unterstellt worden ist. Bis heute amüsiert mich die Auswirkung meiner Mundfaulheit mehr, als dass mir die offenkundige Inkompetenz peinlich ist.
Deutlich sprechen und niemals den Auslaut unterschätzen waren die Lehrinhalte. Manchmal lernt man schneller, als einem lieb ist. Gelegenheit macht Erfahrung, die nur ernst genommen werden muss, um wirksam zu werden. Sich selber nicht immer zu ernst nehmen, aber ernst genug, hilft. Auch wenn diese Gabe bei dem einen oder anderen Mitmenschen den Glauben hervorruft, dass man nicht ernst zu nehmen sei. Gelacht wird nur über die Fehler anderer. Unterschätzt zu werden ist nicht das Schlechteste. Dadurch kann man sich oft unbehelligt seiner Sache widmen und nicht den Erwartungen anderer. Es lebe die Subversion!
Fehler passieren und können gemacht werden. Ob man dabei eine aktive oder passive Rolle einnimmt, ist weniger entscheidend als die Wirkung, die die Abweichung vom Richtigen bzw. dem, was für richtig gehalten wird, auslöst. Wer macht bzw. lässt schon gerne Fehler geschehen? Wer dann sagt, ich entschuldige mich, gibt sich unbewusst selbstherrlich und macht damit den nächsten Fehler, der meist aus Unwissen passiert. Sollte die Entschuldigung ernst gemeint sein, muss man darum bitten. Dies selbstreflexiv zu tun, zeugt vielleicht davon, dass man mit sich selbst im Reinen sein will, aber bezieht in Wirklichkeit niemanden ein. Da entschuldigt man sich ein Leben lang und wird erst nach Jahrzehnten aufgeklärt, dass dies andere für einen tun müssen. Ich bitte dafür um Entschuldigung, Verzeihung oder Pardon. Unwissen schützt nicht vor Fehlern!
„Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa – durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine große Schuld“ habe ich in jungen Ministrantentagen gelernt. Mit der Schuld ist es so eine Sache. Schon kramt man in der Lade, um gute Gründe für seinen Fehler zu finden. Gute Gründe sind nicht unbedingt wahre Gründe! Der Reflex im Windschatten eines Fehlverhaltens befördert oft eine überbordende Kreativität im Finden guter Gründe, eine wahre Schöpfungswut im Erfinden von Rechtfertigungen. Sich ausreden, ohne dabei eine Ausrede finden zu wollen, ist eine weit verbreitete menschliche Kunstform. Die gesteigerte Sonderform ist, Behauptungen aufzustellen, die für sich stehen, aber jeder Grundlage entbehren. Wer sich behaupten will, behauptet einfach, was das Zeug hält, und erhebt es damit zur unhinterfragten Wahrheit. Die Behauptung erhebt sich über alles.
Anderen die Schuld zu geben ist allerdings ein Leichtes, den Fremden, den Impfstofflieferantinnen, denen, die Impfstoffreste wegschmeißen wollten, den Ghostwritern wissenschaftlicher Arbeiten oder denen mit mangelndem Erinnerungsvermögen, den Müttern, die ihre Kinder so derart unmenschlich behandeln, dass sie sich wünschen, dass sie in einem sicheren Land aufwachsen, den Nichtmaskenträger* innen, denen, die keinen Abstand halten und keine Nähe suchen, denen, die hysterisch sind, Bill Gates, Donald Trump und den Tirolern (hier gendere ich bewusst nicht!), den Nichtverschwörungspraktikern, den Achtlosen, denen, die das Wir verachten und das Ich über alles stellen … Alles, was recht ist, was für eine Litanei, dürfen Sie gerne denken. Mit Recht und Gerechtigkeit ist es so eine Sache! Und es richtig zu machen und anderen recht mitunter ein Spagat, der nicht machbar ist.
Nicht selten hört man vom gänzlichen Fehlen einer Fehlerkultur in unseren Breiten. Sind wir doch ehrlich, wo Menschen zugange sind, existieren und passieren unentwegt Fehler. Wir leben in einer Fehlerkultur, nur die Fehlerumgangs- bzw. die Fehlererkenntniskultur ist sehr marginal entwickelt. Die Abweichung ist schlichtweg notwendig, um lebendig zu sein, falsch- oder erst recht richtigzuliegen. Dabei rede ich noch gar nicht von kreativen Prozessen in Kunst oder Forschung. Fragen Sie bei Einstein, Curie oder Miles Davis nach, wohin sie ohne Fehler gelangt wären. Wenn nichts passiert, dann passiert nichts. Fehler sind ein ganz wesentlicher Bestandteil des Treibstoffgemischs für Fortschritt.
„Keinen Gedanken verschwende auf das Unabänderbare“, schrieb Bert Brecht. Er hat recht, nicht selten beschäftigen wir uns mit Dingen, die ohnehin nicht mehr zu ändern sind. Doch noch öfter kommen wir gar nicht auf die Idee, eine haben zu können, um etwas zu ändern, für etwas aufund einzustehen. Wir machen den Fehler, erst gar nichts zu machen, weil wir gar zuschauen, wegschauen, eh nichts machen können. Die Unterlassung ist eines der größten Felder, auf dem wir Menschen Fehler machen.
Dann tritt ein siebzehnjähriger Schulsprecher namens Theo Haas auf und nennt die Dinge unprätentiös und deutlich beim Namen. Es kann nicht sein, dass sich jemand hinter dem Recht versteckt und sagt: „Wir handeln doch nur, wie das Gesetz es vorschreibt.“ Er sagt uns mit klarer, unaufgeregter Stimme, dass er „Recht muss Recht bleiben“ nicht mehr hören könne: „Wenn das Recht nicht für die Menschen und Kinder ist, muss es geändert werden. Das ist unsere Pflicht, aufzustehen und zu sagen, das geht so nicht, alles andere ist ein Fehler.“
Ich denke an die in Linz geborene Doro Blancke und ihre Flüchtlingshilfe. „Egal, wo ich bin, ob in Österreich oder im Ausland, ist es mir wichtig, den Dialog im Sinne der Menschen auf der Flucht im Auge zu behalten und Ungerechtigkeiten und Menschenrechtsbrüche aufzuzeigen. Ein großes Anliegen besteht auch darin, die bewusst geschürten Ängste vor dem ‚Fremden‘ zu dezimieren“, liest man auf ihrer Website: Dafür sind Dialog, Austausch und das Kennen der Fakten von großer Bedeutung. Was sie letztendlich immer wieder antreibt, ist die Liebe zum Menschen, ihr Glaube an die Gerechtigkeit und das „Getragensein im WIR“. Theo Haas und Doro Blancke nenne ich hier stellvertretend für viele Menschen, die aufstehen, die Dinge beim Namen nennen und nicht nur das Wort ergreifen. Ihre Courage ersetzt nicht unsere eigene, aber ihr Mut erinnert uns daran und ermutigt uns im besten Fall, nicht den menschlichen Kardinalfehler des Unterlassens zu begehen.
Die Frage ist, welche Fehler darf man sich erlauben und welche erlauben wir uns einfach. Ganz unbehelligt. Es gilt die Unterlassungsvermutung!