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Kepler Salon
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„Es muss doch mehr als alles geben“

Norbert Trawoeger im Kepler Salon
© Volker Weihbold

Von NORBERT TRAWÖGER

„Es muss doch mehr als alles geben“, hat uns die Keramikkünstlerin Charlotte Wiesmann einen Satz von Dorothee Sölle in den Kepler Salon gesetzt. Ein Kunstwerk, das temporär gedacht war wie der Salon selbst. Der Satz blieb, da er bleiben musste und es die Freunde des Kepler Salon ermöglicht haben. Die Freunde haben es für möglich gehalten, dass dieser weltweit einzigartige Möglichkeits- und Vermittlungsort über das Kulturhauptstadtjahr hinaus Bestand hat. Als geniale Erfindung der Kulturhauptstadt war er nur für Linz09 gedacht. Der Salon blieb, da es unmöglich schien, einen charismatischen Raum für Möglichkeiten wieder herzugeben. Das Charisma eines Raums, wenn es ein solches gibt, mag an seiner idealen Lage, stimmigen Beschaffenheit und geeigneten Bauart liegen, kommt wohl aber nie zum Erblühen, wenn dieses Charisma nicht durch den Menschen erdacht, beatmet und belebt wird. Orte werden durch deren Nutzung und Bewohnung imprägniert. Forschungen haben ergeben, dass jedes Schallereignis im umgebenden Material gespeichert wird. Ein faszinierender Gedanke, dass wir das in Jahrhunderten Gesprochene und Gedachte im Mauerwerk erlauschen können – als würden wir eine Muschel ans Ohr legen und glauben, das Rauschen des Meeres zu hören. Es ist nicht das Meer. Es sind vielmehr die Geräusche aus der Umgebung, die sich in der Muschel verstärken. Der Hohlkörper des Schneckengehäuses wirkt akustisch wie eine Resonanzkammer. Es lässt uns nichts anderes als das umgebende Jetzt hören. Entscheidend ist das Leben, das in Räumen steckt, nicht das Vergangene, das gar nicht für die Nachwelt gedacht war. Was interessiert uns der Ehekrach im Hause Kepler, der im Salongemäuer stecken könnte? Wenngleich ich als Musiker gestehen muss, dass ich einiges dafür geben würde, eine Improvisation des Orgelrockstars Anton Bruckner im nahen Alten Dom nachhören zu können.

Sich das Unvorstellbare vorzustellen, stärkt die Fantasie – und schon sind wir wieder bei den Möglichkeiten, die Raum in und um uns brauchen, um sich ausbreiten zu können. Der Kepler Salon ist so ein unerhörter Ort. Eine Kostbarkeit, ein Raum mitten in der Stadt, in einem 500 Jahre alten Haus, wo vor 400 Jahren noch zufällig einige Jahre lang ein weltberühmter Universalgelehrter gelebt hat. Der Salon wirkt wie eine Muschel, ist eine Resonanzkammer, ein Erfahrungsraum, in dem wissende auf neugierige Menschen treffen und damit Offenheit für Möglichkeiten schaffen. Wer es wissen will, wird auf Neugier genauso wenig verzichten können wie auf den Zweifel, der im Kepler Salon auch ein gutes Refugium findet. In einem solchen Möglichkeitsraum wird es menschlich. Ohne Zweifel auszukommen, verheißt Lähmung wie die in unseren Breiten wieder häufiger anzutreffende „Mia san mia“-Haltung. „Die Evolution, die schon im Kosmos beginnt, ist zu vielfältig, um durch die Einfälle einer Gegenwart sabotiert zu werden“, muss man mit Alexander Kluge entgegenhalten. Die Gegenwart, die versichern will, wer wir sind und wen ein „wir“ genau umfasst, ist zum Implodieren verurteilt. Es ist keine Gegenwart der Möglichkeiten, zumindest nur eine, die exklusiv alle anderen zu nicht beachtenswerten Unmöglichkeiten degradiert.

Zum Gründungsgedanken des Salons gehören niedrigschwelliger Zugang, freier Eintritt, freie Platzwahl und freie Gedanken, denen widersprochen werden kann. Der Salon eignet sich podestlos wenig für Hierarchisierung, es ist kein Ort der Belehrung, aber einer, der gegensätzliche Haltungen und Meinungen aushält, ohne sie auflösen zu müssen, und der im besten Fall Wissen anbietet, was sich von Meinungen wesentlich unterscheidet. Respekt ist eine Übung, keine Verordnung, wie man Augenhöhe nicht anordnen kann. Der Salon ist ein Trainingsplatz für Horizonterweiterung, die auch erst an der Bar bei einem frisch gezapften Bier stattfinden kann. Die Ausbildung, die ich im Salon genossen habe, hätte ich an keiner Universität dieser Welt erfahren können. Ich erfuhr von Themen, von denen ich gar nicht wusste, dass man darüber nachdenken kann, und von Dingen, von denen ich viel zu viel zu wissen glaubte und bemerkte, dass ich in Wirklichkeit nichts davon verstand.

„Es muss doch mehr als alles geben“, erinnert uns Sölle. Dies ist kein Aufruf, der neoliberales oder wie immer geartetes Endloswachstum rechtfertigen und befeuern will, das auf Kosten anderer geht, das ausschließt oder nur Privilegierte zu bevorzugen weiß. Es ist eine Erinnerung daran, dass es alles gibt, das über uns hinausreicht, uns hinausführt ins Offene, wo der Zauber zur Möglichkeit wird, wo wir uns im Menschlichen begegnen. Dies in Zeiten, in denen die Freiräume beständig enger und gerechtfertigt werden müssen. Zehn Jahre durfte ich diese Wunderkammer durch durchaus turbulente Zeiten führen, die eine Stabilität in der Trägerschaft der Johannes Kepler Universität Linz gefunden hat. Ein Raum ist ein Raum ist ein Raum – und ist nichts ohne Menschen. Was bleiben wird und ist, sind unendliche viele Begegnungen mit Menschen, diese haben wunderbare Spuren im Salon und an mir hinterlassen, die mich nie verlassen werden. Es gibt vielen zu danken für diese Dekade meines Lebens, meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, den Freundinnen und Freunden, den Komplizinnen und Komplizen, den Ermöglicherinnen und Ermöglichern, Ihnen allen. Wir sind der Salon. Es lebe der Kepler Salon, es leben die Möglichkeiten, die auch Unmöglichkeiten als künftige Möglichkeiten erachten. Ich sage Danke, adieu und es war mir eine Ehre. Alles und mehr ist möglich, wenn wir es zu denken wagen.