Ein Denkanstoß zum „wording“ in der Klimakrise
VON THOMAS MOHRS
Erschienen in der KEPLER TRIBUNE Ausgabe 3/2022, öffnet in einem neuen Fenster
Im Mai 2022 fand in der JKU der oberösterreichische Umweltkongress statt. Thema: „ERD-reich oder BODEN-los?“ Geboten wurden spannende fachwissenschaftliche Beiträge, die buchstäblich tiefgehende Einsichten in die fundamentale, existenzielle Bedeutung eines „gesunden“, fruchtbaren Bodens samt seiner zahllosen Mikroorganismen vermittelten. Bitte: fundamentale, existenzielle Bedeutung auch für uns Menschleins! Neben dem Wasser ist der Boden wahrscheinlich die wertvollste und gleichzeitig immer knapper werdende planetare Ressource.
Im Rahmen der Tagung wurde der Boden aber auch leichthin als „Dienstleistung für den Menschen“ deklariert. Im Begriff „Dienstleistung“ schwingt aber bereits wieder diese menschliche Hybris mit, dass der Boden dafür da ist, ihm, dem Menschen, Dienste zu leisten. Der Mensch ist der Maßstab – jedenfalls maßt er sich das seit jeher an, bildet es sich ein. Dabei ist er in erster Linie ein Wirtstier für Milliarden von Mikroben, ist als „Holobiont“ unauflöslich verwoben mit dem „unsichtbaren Netz des Lebens“ (Martin Grassberger), von diesem vollständig abhängig.
Naturgemäß war beim Kongress im Mai ständig die Rede von der „Umwelt“, dem „Umweltschutz“ und dem „Naturschutz“. Hier „Mensch“, da „Umwelt“; hier „Mensch“, da „Natur“. Die Begriffe wurden nicht reflektiert, nicht hinterfragt. Aber diese gängigen Differenzierungen erscheinen mir längst als irreführend, in letzter Konsequenz gefährlich, selbstzerstörerisch.
Wir erleben es jetzt bereits wieder, in der Zeit der drohenden Energiekrise infolge des Ukraine-Kriegs. Jetzt wird die „Umwelt“ erst einmal hintangestellt, weil es jetzt schließlich um Wichtigeres geht, um Wirtschaft vor allem, um Wachstum, Wachstum, Wachstum, aber auch darum, dass wir alle weiter wie gehabt konsumieren, heizen, warm und schön lange duschen, nach Belieben mobil sein, in den Urlaub fliegen können usw. Kohle und Kernkraft werden mal eben rehabilitiert, fossil fuels sind schlagartig wieder okay. Als gäbe es keine übergeordnete, um ein Vielfaches bedeutsamere globale Klimakrise. Business .&.lifestyle first!
Dabei wissen wir im Grunde alle um unsere „kognitive Dissonanz“: Wir wissen, dass wir mit unserem (westlichen) Lebensstil die „Umwelt“ und die „Natur“ zerstören – und damit eben unsere eigenen Lebensgrundlagen. Folglich uns selbst. Dennoch leben wir – jedenfalls in den westlichen „Zuvielisationen“ – fröhlich weiter, so als stünden uns drei, vier, fünf Planeten zur Verfügung. In krasser Diskrepanz zu den aktuellen, schreienden headlines: „Dürre in Europa. Italien trocknet aus“ (FAZ, 17. Juli 2022).
WIESO schafft es das selbsternannte „animal rationale“, der selbsternannte „homo sapiens“ nicht, endlich vom Reden ins Tun zu kommen, zumindest ein halbwegs vernünftiges, tatsächlich nachhaltiges Leben im Einklang mit den noch vorhandenen Lebens- und Überlebensbedingungen zu führen? Behält am Ende doch der alte Konrad Lorenz recht, der in seinem letzten SPIEGEL-Interview 1988 orakelte: „Der Mensch, dieses blöde Vieh, ist zu dumm fürs Überleben.“? Aber soll das das letzte Wort sein? Finden wir uns damit ab?
Sprache ist bekanntlich ein mächtiges Instrument. Vielleicht sollten wir also in Zeiten der Klimakrise auch über unser angemessenes, zeitgemäßes „wording“ nachdenken. Wie wäre es also, wenn wir nicht mehr von „Umwelt“ reden – denn eine „Umwelt“ gibt es im strengen Sinne nicht.–, sondern von „Mitwelt“? Und wenn wir uns auch endgültig von der Differenzierung zwischen „Mensch“ und „Natur“ verabschieden würden? Wir SIND Natur, und zwar zu exakt 100. Prozent, mit allen unseren kulturellen und technologischen „Errungenschaften“. Und – frei nach Üxküll.– mit unserer globalisierten Merk- und Wirkwelt (wobei man im Hinblick auf die „Merkwelt“ eher skeptisch sein kann).
„Die Erde hat Mensch“, diagnostiziert der Naturphilosoph Harald Lesch, aber die Erde wird mit Sicherheit auch diesen „Infekt“ überstehen. Erdgeschichtlich gesehen ist die Spezies „homo“ jedenfalls nicht mal ein Wimpernschlag. Und erdgeschichtlich gesehen wäre demnach das selbstverschuldete Verschwinden dieser ephemeren Spezies vom Planeten allenfalls eine Randnotiz wert – sofern nach dem Verschwinden des Menschen noch jemand Randnotizen schreiben könnte. Isabella Uhl-Hädicke stellt in ihrer „Psychologie der Klimakrise“ geradezu gebetsmühlenartig die Frage: „Warum machen wir es nicht einfach?“ Und strapaziert tausendfach den Begriff „Umwelt“. Ernsthafte Frage: Was würde sich an der Botschaft des Buches ändern, wenn der Begriff „Umwelt“ konsequent durch den Begriff „Mitwelt“ ersetzt würde? Vieles, denke ich, und Grundlegendes. Denn die „Mitwelt“ lässt sich nicht auslagern, nicht zu einer getrennten Dimension zurechtbiegen, um die man sich kümmern kann, aber nicht zwingend muss. Bei „Mitwelt“ bin ich immer selbst MIT gemeint, kann mich nicht entziehen. „Mitwelt“ betrifft immer auch MICH, es geht um MEINE Interessen, MEIN Wohlergehen, MEINEN Arsch. Sprache ist ein mächtiges Instrument.
Natürlich ist auch dieser „Mitwelt“- Ansatz in letzter Konsequenz anthropozentrisch, einfach, weil es – frei nach Hans Jonas – um die nachhaltige Erhaltung „echten menschlichen Lebens“ auf der Erde geht. Aber vielleicht geht „Mitwelt“ gerade deswegen mit einer anderen motivationalen Kraft einher als „Umwelt“, die sich ebenso schön und leicht externalisieren lässt wie „Natur“.
Pointierter formuliert: Beim Mitweltschutz geht es nicht darum, irgendeine seltene Krötenart in irgendeinem „unberührten“ Biotop in Brandenburg zu retten, in deren Lebensraum – wider alle Vernunft – eine gigantische Autofabrik hingepflanzt wird (die der Betreiber ein Jahr nach der Eröffnung dann als „Milliardengrab“ bezeichnet). Beim Mitweltschutz geht es um das GANZE („deep ecology“), um die Einsicht, dass wir auf diesem Planeten, diesem winzigen Staubkörnchen im Weltall, in EINER gemeinsamen großen Biosphäre leben, deren megakomplexe Zusammenhänge, Interdependenzen, Langzeitfolgen für uns dämliche Primaten – „Wissenschaft“ hin oder her – mit Sicherheit nicht zur Gänze zu überschauen und schon gar nicht abschließend zu beurteilen sind. Weshalb wir uns in dieser Sphäre (eigentlich) vorsichtig bewegen sollten, mit Bedacht, mit Achtsamkeit. Und wahrscheinlich geht es auch um eine gewisse Spiritualität.
In diesem Zusammenhang sei an Hans Jonas’ (als wissenschafts- und vor allem wirtschaftsfeindlich gebashte) Forderung erinnert, bei anstehenden wissenschaftlichen und technologischen Innovationen der schlechten Prognose den Vorrang vor der guten zu geben. Rückblickend können wir sagen, dass die Jonassche „Heuristik der Furcht“ und die mit ihr einhergehende Vorsicht und Zurückhaltung in vielen Fällen wohl die bessere, weisere Ratgeberin gewesen wäre. Jetzt drohen wir jedenfalls einen verdammt hohen Preis für all unseren „Fortschritt“ bezahlen zu müssen.
Vielleicht ist das mit dem „wording“ trivial oder kleinkariert, eine allzu spitzfindige, überflüssige Petitesse. Mag sein. Aber vielleicht ist das veränderte „wording“ auch geeignet, eine Änderung der Wahrnehmung, dadurch eine Änderung des Bewusstseins und dadurch eine Änderung des Verhaltens zu bewirken.
Also: „Mitwelt“ statt „Umwelt“! Um endlich das Meer zwischen Reden und Tun zu überwinden. Solidarisch, MITeinander.