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Alles nicht so einfach

Wäre das nicht eine hervorragende Idee? Alle Arbeitssuchenden nehmen und sie in jene Jobs umschulen, die gerade benötigt werden? Auf alle Fälle, aber es gibt da einen Haken.

Von Markus Zottler

WG

Der Ostbahn-Kurti war nie einer, der lange um den heißen Brei herumredete. „Des is jetzt a Liad über mein Voda. Der hot sei Lebtog gorbeitet. Dann is er gstorbn“, kündigt er einmal auf großer Bühne den nächsten Song an. Die Szenerie, die Willi Resetarits’ Alter Ego anschließend musikalisch beschreibt, ist nüchtern, bisweilen düster.

„Wann er ham kummt, is finster Da Tog is vurbei

Er hat tan, wos zum tuan is

Weil des muaß so sei.“

Es ist ein eindrückliches Lied über die „harte Arbeit“, wie man die Form der körperlich besonders fordernden und zeitlich aufwendigen Berufstätigkeit landläufig nennt. Eine Zeit lang schien das Paar unzertrennlich, die „Arbeit“ konnte ohne das Attribut „hart“ nicht existieren. „Er is bald derrisch von da Hock’n. Und er is blind fürs Leb’n“, besingt der burgenländische Alltagsphilosoph den eingeschränkten Horizont des Vaters. Das Lied – der Text stammt aus der Feder Bruce Springsteens und wurde von Günter Brödl „verösterreichert“ – erschien 1989.

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich das Bild der Arbeit deutlich verändert. Nicht nur in der Industrie, deren Produktionsbedingungen einst dafür sorgten, dass Arbeitende „derrisch“ wurden oder „vü huastn“ mussten. Automatisierung und Digitalisierung hinterließen in der Fertigung – und in weiterer Folge übrigens auch im Dienstleistungssektor – große Fußabdrücke. Die Produktivität nahm im Einklang mit immer leistungsfähigeren Maschinen rasant zu, weniger Menschen können heute mehr herstellen. Außerdem bringt ein allgemeiner Trend zu mehr Individualisierung die Säulen des beruflichen Alltags ins Wanken. Hierarchien werden flacher, der Umgangston wird jovialer, Firmen punkten mit „Sei-per-Du“-Kampagnen. Arbeit löst sich immer häufiger von Präsenz, das Privatleben entfernt sich vom Berufsleben. Wenngleich die völlige Trennung zwischen Job und Familie – der dazu passende und leider heute oft ins Lächerliche gezogene Begriff ist „Work-Life-Balance“ – vorerst Utopie bleibt. Arbeit dient schließlich weiter auch dem Zeitvertreib, nicht nur dem Erwerb.

Zweifelsohne aber ist am Arbeitsmarkt viel in Bewegung. Und mit großen Transformationen kommen meist auch erhebliche Sorgen. Für weltweites Aufsehen sorgte etwa ein 2013 formuliertes Thesenpapier der Oxford Martin School. Den Autoren – ein schwedischer Ökonom und ein britischer Informatiker – zufolge würden in den USA nämlich 47 Prozent aller Jobs durch Automatisierung und Computerisierung bedroht sein. Vor dem Ende stünden nicht nur Jobs für schlecht Qualifizierte, sondern auch zunehmend komplexere Tätigkeiten, die sich durch Computeralgorithmen abbilden ließen. Am stärksten gefährdet, so die Autoren, seien Menschen, die Telefonwerbung machen.

Die Aufregung war groß, Reaktionen auf die Dystopie ließen nicht lange auf sich warten. Von der „Pi-mal- Daumen-Studie“ schreibt die deutsche „Zeit“ mit betonter Geringschätzung der Erhebungsmethode. Vom Medium befragte Sozialwissenschaftler*innen verweisen auf die Erkenntnis, dass Menschen nicht automatisch ihre Jobs verlieren, wenn Handarbeit durch Maschinen ersetzt wird. Viel mehr würde eine „Ironie der Automatisierung“ greifen. Sprich: Je höher der Automatisierungsgrad in einer Firma, desto komplexer die Fehlerbehebung. Was zur Folge hätte, dass die Firma nicht weniger, aber anders qualifizierte Mitarbeitende brauchen würde.

„Die Digitalisierung macht das, was noch jede technische Umwälzung tat: Sie löst alte Probleme und schafft neue“, bringt es der Journalist und Publizist Ernst Sittinger in einem Essay über die Arbeit auf den Punkt. Fakt ist: Die Berufsbilder und damit die Anforderungen an die arbeitende Bevölkerung ändern sich dieser Tage so schnell wie noch nie. Zugleich müssen sich auch Arbeitgeber*innen zunehmend in großen Bereichen rasch neu orientieren.

„Rekordzahlen“, egal, ob positiv oder negativ

Das führt uns auf direktem Wege zur verzwickten Situation am österreichischen Arbeitsmarkt. Zur beschriebenen, im Tempo ohnehin beeindruckenden Bewegung der Berufe gesellte sich im vergangenen Jahr schließlich eine weltweite Pandemie hinzu. Letztere führte den österreichischen Arbeitsmarkt binnen Wochen in historische Zeiten. Ständig hören und lesen wir von „Rekordzahlen“, egal, ob diese positiv oder negativ konnotiert sind. Zunächst schlug Corona auch ökonomisch mit voller Wucht zu: 588.200 Personen waren in Österreich Ende April 2020 ohne Job, so viele wie noch nie. Nur eineinhalb Jahre und einen bemerkenswerten wirtschaftlichen Aufschwung später prägt eine gibt es Leute, die Arbeit nachfragen, diese Qualifikation aber nicht mitbringen“, erklärt René Böheim im Gespräch. Der Forscher konstatiert also ein Auseinanderklaffen von nachgefragten und angebotenen Fähigkeiten und sieht ergänzend dazu ein regionales Mismatch. Böheim: „Die Jobs sind nicht immer dort, wo die Leute wohnen. Klassisches Beispiel: Die Hoteliers in Tirol suchen die Arbeitslosen in Wien.“

Zur Entstehung dieses Auseinanderklaffens habe laut Böheim aber eine Form von „Polarisierung“ mehr beigetragen als regionale Aspekte. Wie der Wissenschaftler das begründet? „Alles, was routinisiert werden kann, wird weniger, Jobs, die spezielle Tätigkeiten umfassen, werden relativ mehr – das ist die Polarisierung.“ Noch anschaulicher werden Böheims Gedanken anhand eines von ihm ausgewählten Beispiels aus der beruflichen Praxis. „Es reicht als Staplerfahrer nicht mehr, einfach nur Stapler fahren zu können“, sagt Böheim. „Sie müssen auch mit einer digitalen Lagerhaltungssoftware umgehen können und vermutlich passabel Englisch sprechen, weil Bestandslisten auf Englisch geführt werden.“

Warum sich die Arbeitslosen nicht einfach umschulen lassen können

Wie es überhaupt zu diesem ausgeprägten Mismatch kam? Dazu gibt es nur Annahmen. Eine davon wurzelt in gar nicht allzu ferner Vergangenheit. „Es gab Arbeitsmarkt-Öffnungen“, erzählt René Böheim, „und damit verbunden einen Angebotsschock. Dieser hat das Arbeitsangebot durcheinandergebracht und die Firmen haben mehr oder weniger gut drauf reagiert.“ Eine Hypothese ist, so Böheim, dass die neuen Arbeiterinnen und Arbeiter „nicht aufs Land hinausfinden“. Dadurch entstehe ein Ungleichgewicht. Böheim: „Sie kommen in die Metropolen, sie kommen nach Wien, nach Graz, nach Linz – aber dort, wo viele Jobs gesucht werden, dort sind sie nicht. Deswegen bleiben in der Peripherie Jobs vakant.“

Zu diesen allgemeingültigen Feststellungen lohnt in Sachen Fachkräftemangel auch der Blick mit der Lupe. In nahezu jeder Branche lassen sich zusätzliche Eigenheiten finden. Fragen Sie beim AMS etwa nach den letzten Arbeitsstellen der arbeitslos vorgemerkten Bäcker, finden sich nur wenige, die jüngst tatsächlich als Bäcker arbeiteten. Das heißt: Arbeitslose Bäcker bewerben sich auch deswegen nicht auf offene Bäcker-Stellen, weil sie den Beruf zwar wohl irgendwann einmal gelernt haben, ihn aber schon lange nicht mehr ausüben. Im Tourismus wiederum führte die Corona-Krise dazu, dass ausländische Saisonniers seltener ins Land kommen. Weil es Einreisebestimmungen nicht ermöglichen oder weil sich zuvor in Österreich Arbeitende während der Krise beruflich umorientierten. Es fehlen der Branche also schlichtweg die obligaten Neuzugänge. „Ein Drittel“, so schlüsselte es AMS-Chef Johannes Kopf Ende Juni auf, seien „nicht gekommene EU-Bürger“. Ein weiteres „Drittel“ entfällt auf fehlende „Berufseinsteiger beziehungsweise Wiedereinsteiger aus dem Inland“. Das letzte Drittel der nun fehlenden touristischen Neuzugänge kam laut Kopf im Normalfall aus „verschiedener Herkunft“, etwa aus der AMS-Vormerkung. In Summe kann man im Tourismus also festhalten: Das Arbeitskräftepotenzial sinkt bei gleichzeitig stark angelaufener Wirtschaft, die Zahl der offenen Stellen explodiert. Bleibt immer noch die Frage: Warum lassen sich nicht einfach die Arbeitslosen im Land gezielt und in andere Zahl die Berichterstattung: 114.000 offene Stellen sind Anfang Oktober 2021 beim Arbeitsmarktservice (AMS) gelistet. Sie ahnen es: So viele wie nie zuvor. Zwar wurden vom AMS im September zum dritten Mal in Folge mehr als 40.000 offene Stellen pro Monat vermittelt, knapp ein Drittel der angebotenen Jobs bleibt aber auch nach drei Monaten unbesetzt. Viele Betriebe haben also tatsächlich massive Probleme, passende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden.

Zehntausende IT-Fachkräfte fehlen den Unternehmen ebenso wie eine Vielzahl an Handelsangestellten, Tourismusbeschäftigten oder Lkw-Lenker* innen. Tischlereien monieren, dass man Aufträge ablehnen müsse, weil keine passenden Arbeitskräfte gefunden würden. Der Fachkräftemangel, schon geraume Zeit vor der Corona-Krise in vielen Betrieben ein Thema, rückt ins Zentrum einer breiten öffentlichen Debatte. Und lässt die Wirtschaftstreibenden im Land zurzeit besorgter in die Zukunft blicken, als es die wegen Corona nachhaltig gestörten Lieferketten (Stichwort: Chipmangel!) tun. Die Frage, die sich besonders häufig auftut und außergewöhnlich emotionale Reaktionen hervorruft: Warum können derlei viele offene Stellen nicht besetzt werden, wenn es zugleich eine noch immer recht stattliche Zahl von arbeitslosen Menschen gibt?

Antworten dazu bekommt man von René Böheim. Der Ökonom arbeitet an der JKU am Institut für Volkswirtschaftslehre und forscht dort unter anderem zum Thema Arbeitsmarkt. Eine der zentralen Thesen des Wissenschaftlers: Die Malaise am heimischen Arbeitsmarkt habe in erster Linie mit einem vorherrschenden „Mismatch“ zu tun. „Auf der einen Seite gibt es Nachfrage für Beschäftigte, die ein bestimmtes Qualifikationsprofil mitbringen sollen. Auf der anderen Seite Massen umschulen? Etwa auf Pflegekräfte? Immerhin einer jener Berufszweige, der zweifelsohne als „zukunftssicher“ gilt und für die gesamte Gesellschaft immens an Bedeutung gewinnt. Aktuelle Jobprognosen lesen sich dramatisch: Alleine bis 2030 sollen österreichweit 70.000 Pflegekräfte fehlen. Nur, um den bisherigen Betreuungsgrad halten zu können.

Nun, kaum jemand kann derlei Fragen besser beantworten als Brigitte Aulenbacher. An der JKU firmiert sie als Vorständin des Instituts für Soziologie, über die Grenzen Österreichs hinaus gilt sie als gefragte Gesprächspartnerin zum drängenden Thema des sich abzeichnenden Pflegenotstands. Ausbildungen zu diplomierten oder vergleichbaren Tätigkeiten im Pflegebereich, beginnt die Expertin, seien durchwegs „lange, intensive Ausbildungen, die eine gute Schulbildung voraussetzen“. Ginge man ohne gute Schulbildung in die Pflege, sei das „sicher nicht der vielversprechendste Weg zur Beseitigung des Fachkräftemangels“.

Der Blick in die Arbeitsmarkt-Statistik unterstreicht indes, dass Arbeitslosigkeit noch immer primär schlecht Ausgebildete betrifft: Von den Ende September vorgemerkten 270.000 Arbeitslosen – exklusive Schulungsteilnehmer*innen – haben 118.000 als höchsten Abschluss jenen einer Pflichtschule. Die Qualifikation der arbeitslosen Menschen sei wiederum „träger“ als die Transformation am Arbeitsmarkt, sagt Ökonom René Böheim. Das forciere das zuvor beschriebene Mismatch.

Einfache Antworten gibt es nicht mehr

Um Menschen zu bewegen, in der Pflege zu arbeiten, müsse aber auch abseits der Qualifizierung einiges getan werden, sagt Brigitte Aulenbacher. So gelte es dringend, die Berufe nicht nur „symbolisch, sondern auch materiell anzuerkennen“. Aulenbacher in sehr deutlichen Worten: „An Gehaltssteigerungen führt nichts vorbei. Auch eine Arbeitszeitverkürzung halte ich für unumgänglich.“ Denn es sei längst bekannt, dass die Intensität im Pflegebereich viel zu hoch sei. Seit dem Ausbruch der globalen Corona-Pandemie wird das noch augenscheinlicher. In einer Umfrage von Arbeiterkammer, Ärztekammer und dem Gewerkschaftsbund gab knapp die Hälfte der befragten Pflegekräfte an, ans Aufhören zu denken.

Neben der körperlichen Belastung und schlechten Entlohnung würde noch erschwerend dazukommen, dass Arbeitende in der Pflege zunehmend ihre „hohen, professionsethischen Ansprüche nicht mehr erfüllen können“, wie die Soziologin Aulenbacher erklärt. Das habe unter anderem mit einer Mehrung von „Dokumentationsarbeiten“ zu tun. Brigitte Aulenbacher: „Beschäftigte sagen, dass sie in erster Linie Anforderungen erfüllen müssen, die mit Ökonomisierung zusammenhängen. Das kostet viel Zeit.“ Schlussendlich sei es entscheidend, die Personalschlüssel und damit verbunden die Betreuungsschlüssel zu ändern. Nur so könne man, begleitend mit einer höheren Entlohnung, Pflegeberufe attraktivieren und in weiterer Folge auch besetzen.

Ein Aspekt, der in der Pflege bereits vermehrt auftritt, aber auch in anderen Bereichen des Arbeitsmarktes Niederschlag findet: „Freiwilligenarbeit gewinnt an Bedeutung“, erzählt Aulenbacher. Das sei einerseits gut, da es, so die Wissenschaftlerin, wichtig sei, „dass die Zivilgesellschaft Verantwortung übernimmt“. Andererseits dürfe das Ehrenamt „nicht zum Lückenbüßer werden“. Es sei schon auffällig, dass die Freiwilligkeit in einer Zeit enormen Aufwind verspürt, in welcher der Sozialstaat in eine „schwierige Finanzlage“ geriet.

Just in dieser schwierigen Lage, so viel sollte mittlerweile klar sein, ist es also umso herausfordernder, Antworten für scheinbar einfache Arbeitsmarktfragen zu geben. Will man ein Gefühl für die Entwicklung der Arbeit und des heimischen Arbeitsmarktes gewinnen, gibt es prinzipiell zwei Herangehensweisen. Die eine ist, Visionen zu denken, Prognosen und Ableitungen zu treffen. Die andere ist, Realitäten feinfühlig aufzuspüren und abzubilden. Längst haben nämlich Betriebe begonnen, Machtverschiebungen zu begreifen. Sie orientieren sich um, bewegen sich im Wettbewerb um geeignete Arbeitskräfte. Unternehmen gehen in der Suche offensiver vor und lassen dabei auch selbst oder von manch Interessenvertreter*innen auferlegte Dogmen hinter sich. Erste Frisörbetriebe, Gaststätten und Installateure beginnen, Arbeitszeiten zu verkürzen, und etablieren Vier Tage-Wochen in ihren Belegschaften. Besonders progressive – wahlweise auch besonders stark unter Druck stehende – Unternehmen versuchen sich dabei sogar am vollen Lohnausgleich. Das heißt: Weniger Arbeitsstunden bei gleichbleibender Bezahlung. Unternehmen werden künftig „einiges an Zauber aufführen, um junge, qualifizierte Leute zu finden“, fasst es AMS-Chef Kopf im „Standard“ zusammen. Auch die demografische Entwicklung sorgt für anstehende Bewährungsproben. Schon 2022 wird etwa laut einer Prognose der Statistik Austria die Anzahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter nach langem Anstieg in Österreich wieder sinken. Zum ersten Mal seit 46 Jahren werden weniger Menschen zwischen 15 und 64 Jahren in Österreich leben als im Jahr davor. Das heißt, Betriebe müssen künftig ein noch größeres Augenmerk auf Frauen – dort ist die Erwerbsbeteiligung immer noch deutlich geringer als bei Männern – und die Talente der Älteren legen. Auch eine Form von beständiger Migration scheint unumgänglich, um die Dynamik des Wirtschaftsstandorts erhalten und die entstehenden Bedürfnisse im Sozialbereich befriedigen zu können. Für 2022 prognostiziert das Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO, dass 75 Prozent der zusätzlich geschaffenen Beschäftigung auf ausländische Staatsbürger*innen entfallen werden. Nicht zuletzt muss endlich ernsthaft versucht werden, eine Kultur des lebenslangen Lernens zu etablieren.

Nur eines, das scheint trotz manch Unkenrufs in der wissenschaftlichen Vergangenheit in turbulenten Tagen wie diesen sicherer denn je: Die Arbeit, sie wird uns nicht ausgehen.