Gibt es Leben außerhalb unserer Erde?
Diese Frage beschäftigt uns seit Menschengedenken. Auf dem Saturnmond Enceladus wurden jene Elemente nachgewiesen, die als Bausteine des Lebens gelten. Eine Spurensuche.
Wasser, Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff, Phosphor, Schwefel und Wärme: Nach den Daten, die die Raumsonde Cassini in den vergangenen Jahren vom Saturnmond Enceladus geliefert hat, könnten auf ihm all jene Elemente und Rahmenbedingungen vorhanden sein, aus denen biologisches Leben gebaut wird. Auch Kohlendioxid, Kohlenmonoxid, Methan, molekularer Wasserstoff und Ammoniak dürften auf diesem Mond, der das Zentrum des Saturns auf einer fast kreisförmigen Bahn im Abstand von rund 238.000 Kilometern umrundet, vorkommen. Ein Gemisch, das die Fantasie von Wissenschaftern unterschiedlichster Disziplinen anregt. Was, wenn das Methan, das auf Enceladus nachgewiesen wurde, biologischen Ursprungs ist? Wäre das ein Hinweis auf die Existenz von einfachsten Mikroorganismen auf diesem eigentlich extrem lebensfeindlichen Himmelskörper, der gänzlich mit einer dicken Eisschicht überzogen ist?
Aber alles der Reihe nach: Am 15. Oktober 1997 startete auf Cape Canaveral, Florida, die Raumsonde Cassini. Die amerikanische Weltraumbehörde NASA hatte es sich zum Ziel gesetzt, den Saturn und seine Monde genauer zu erforschen. Von welchen unvorstellbaren Entfernungen wir dabei ausgehen, lässt sich an einer Zeitspanne ermessen: Es dauerte sieben Jahre, bis Cassini ihr eigentliches Ziel erreichte und in den Saturnorbit eintrat. Ausgestattet mit Hightechmessgeräten und modernster Kommunikationstechnik lieferte die Raumsonde danach bis 2017 eine Fülle von Bildern und Daten, die unsere Vorstellungen von Saturn und seinen Monden verändert haben. Enceladus, einer der größten der insgesamt derzeit bekannten 62 Saturnmonde, wurde von Cassini mehrfach angesteuert. Die ersten Vorbeiflüge gab es 2005, das Wissen über den spannenden Saturnmond wurde immer größer. Im Jahr 2017 war die Mission nach 20 Jahren endgültig zu Ende: Cassini wurde kontrolliert zum Absturz gebracht. Die Daten, die sie schickte, beschäftigen Wissenschafter in aller Welt. Enceladus ist wegen der dort vermuteten Bedingungen eines der Zentren des Forschungsinteresses. Der Saturnmond Enceladus ist von einer dicken Schicht mit hochreinem Wassereis bedeckt. Darunter befindet sich ein riesiger Ozean aus Wasser, im Zentrum gibt es einen Gesteinskern. In der südlichen Hemisphäre des Mondes kommt es regelmäßig zu gigantischen vulkanischen Aktivitäten, sogenanntem Kryovulkanismus. Das bedeutet, dass es trotz der Kälte an der Oberfläche im Inneren des Mondes hohe Temperaturen geben muss. Die Geysire speien riesige Fontänen mit Partikeln aus Wasser, Eis und Gesteinsmaterial in die dünne Atmosphäre des Mondes. Die Wissenschafter gehen davon aus, dass diese Fontänen das Material für den sogenannten Enceladus-Ring liefern, für den äußersten regulären Ring des Saturns.
Bei ihren Vorbeiflügen an Enceladus konnten die Messgeräte von Cassini viele Daten über die in den Eisfontänen vorhandenen Partikel einsammeln. Über ein Forschungsprojekt, das sich mit dem Einsatz von Biotechnologie zur Gewinnung von Methan beschäftigte, stieß Christian Paulik, Chemiker an der Johannes Kepler Universität, auf Enceladus und die faszinierenden Erkenntnisse der Cassini-Mission. „Die Astrobiologin Ruth-Sophie Taubner, die bei dem Methanprojekt mitgearbeitet hatte, beschäftigte sich auch mit der Frage, ob auf dem Saturnmond Leben möglich wäre“, erzählt der Leiter des Instituts für Chemische Technologie Organischer Stoffe der JKU über jenen Zufall, der ihn zu einer der spannendsten Forschungsfragen der Menschheitsgeschichte führte. Er und sein Team verfügten über die Expertise und die Geräte, um jene extremen Temperaturen, Luft- und Wasserdrücke oder Salzgehalte nachzustellen, die auf Enceladus vorherrschen könnten.
„Wir sind der Frage nachgegangen, ob unter den Bedingungen auf Enceladus einfache Mikroorganismen leben könnten“, erläutert Paulik. Der Chemiker war dabei Teil eines interdisziplinären Teams, an dem neben den Linzern auch die Gruppe um Simon Rittmann vom Department für Ökogenomik und Systembiologie der Universität Wien, die Universitäten Hamburg und Bremen sowie die Krajete GmbH, ein Unternehmen, das Energie aus Mikroorganismen herstellt, beteiligt waren.
In einem ersten Schritt machte sich das Team auf der Erde auf die Suche nach einfachsten Lebensformen, die überhaupt mit extremen Temperaturen, Drücken oder Salzkonzentrationen umgehen können. Mit jenen Bedingungen also, die auf Enceladus vermutet werden. Ins Auge gefasst wurden Mikroorganismen der Gruppe Archaea. Sie verstoffwechseln Wasserstoff und Kohlendioxid und halten hohem Druck und hohen Temperaturen stand. Konkret wurde von den Kollegen in Wien der Stamm Methanothermococcus okinawensis ausgewählt. Diese einfache Lebensform kommt in der japanischen Tiefsee vor und ist damit bestens an ein lebensfeindliches Umfeld angepasst. „Dieser Stamm erschien für unsere Untersuchung sehr gut geeignet“, erzählt Paulik. Doch auch wenn man um die Robustheit von Methanothermococcus okinawensis wusste, gab es noch einige Hürden zu nehmen. Schließlich müssen die Mikroorganismen sehr vorsichtig aus den Tiefen des Meeres geborgen und dann unter Atmosphärendruck gelagert werden. „Man weiß ja nicht, ob und wie schnell sich diese einfachen Lebensformen an den Normaldruck gewöhnen und ob sie danach noch hohen Druck aushalten“, schildert Paulik die Herausforderung. Der Versuch klappte, Methanothermococcus okinawensis konnte schließlich für die Simulation der auf Enceladus herrschenden Bedingungen verwendet werden.
In den Linzer Labors haben Paulik und seine junge Kollegin Patricia Pappenreiter, die ihre Masterarbeit über das Thema verfasst hat, die Mikroorganismen Temperaturen zwischen 0 und 90 Grad Celsius ausgesetzt. Dazu kam Druck, der sich in der Bandbreite von 40 bis 100 bar bewegte. Zum Vergleich: Auf der Erde herrscht auf Meereshöhe normalerweise ein Luftdruck von einem bar. Der Salzgehalt des Wassers wurde mit unter vier Prozent – ähnlich unserer Meere – angenommen. Der pH-Wert des Wassers lag bei den Versuchen zwischen 8,5 und 13,5 und war damit im basischen Bereich. „Außerdem haben wir die Stämme mit Wachstumshemmern konfrontiert: Formaldehyd und Schwefelwasserstoff“, berichtet der Chemiker. Das Ergebnis: Methanothermococcus okinawensis hat das alles überstanden, die Mikroorganismen konnten auch in diesem lebensfeindlichen Umfeld überleben und sich weiterentwickeln.
„Wir konnten zeigen, dass die Mikroorganismen das vorhandene Kohlendioxid zu Methan verstoffwechseln“, sagt Paulik. Die Schlussfolgerung: Einfache Mikroorganismen, wie sie es bei uns auf der Erde gibt, könnten auch unter den vermuteten Bedingungen auf Enceladus existieren. Das in den Eisfontänen des Saturnmonds vorkommende Methan könnte demnach biologischen Ursprungs sein – es dürfte ein Stoffwechselprodukt von einfachsten Lebensformen sein.
„Es ist unheimlich spannend, dass das alles bei uns im Chemielabor funktioniert“, ist Paulik von dem Forschungsprojekt fasziniert. Die Frage, ob es da draußen im All wirklich Leben gibt, will er in ihrer ganzen Tragweite aber lieber nicht durchdenken. Nur so viel: „Es ist nicht mehr auszuschließen, dass es woanders einfache Lebensformen geben könnte.“ Der letzte Beweis fehlt aber noch. Schließlich weiß niemand, ob die Verhältnisse, die die Wissenschafter mit dem einfachen Archaea-Stamm simuliert haben, auf Enceladus tatsächlich herrschen.
Der Linzer Forscher und seine Kolleginnen und Kollegen wollen sich nun auch anderen Planeten und Monden zuwenden: „Es gibt ja noch viele Exoplaneten, deren Strukturen und Bedingungen für einfache Lebensformen möglich wären.“