Jahrelang bestimmten die großen Tech-Konzerne aus den USA, wohin die Reise geht. Jetzt ist ihre Macht angezählt und China geht sowieso seinen eigenen Weg. Nutzt Europa seine Chance?
Können Sie sich noch an Facebook erinnern? An das soziale Netzwerk, von dem Sie niemals zugeben würden, wie viel Zeit es verschlingt? Zu dem längst nicht mehr nur die blaue Seite gehört, über die junge Menschen heute die Nase rümpfen, sondern auch Instagram und WhatsApp? Wissen Sie noch?
Dann vergessen Sie das Ganze besser gleich wieder: Facebook heißt seit ein paar Wochen Meta, und Meta hat zum Einstand gleich einen ziemlichen Bauchfleck hingelegt. Innerhalb eines Tages brach der Aktienkurs um 22 Prozent ein, das Unternehmen war auf einen Schlag um 230 Milliarden US-Dollar weniger wert. Noch nie zuvor hat es einen solchen Absturz gegeben – und schuld daran ist die Europäische Union. Zumindest indirekt.
Die EU hat sich in den vergangenen Jahren zum Regulator der Technologie-Welt entwickelt. Es nervt zwar, jedes Mal, wenn wir auf eine neue Website kommen, über deren Cookie-Bedingungen nachdenken zu müssen, aber es hat seine Wirkung. Ganz so einfach ist es für die großen Technologie-Unternehmen jetzt nicht mehr, wirklich alles über uns zu erfahren, zu speichern und zu nutzen. Die Richtung, in die nun auch die US-Regierung drängt, ist klar: Big Tech wie Google und Facebook sind zu groß geworden. Ihre Daten geben ihnen zu viel Macht, ihr Wissen verschaff t ihnen einen Informationsvorsprung und ihr wirtschaftlicher Erfolg die Mittel, um Innovation einfach aufzukaufen, vor allem aber: um zu forschen. In Dimensionen, wie sich das auch viele europäische Universitäten nicht vorstellen können.
Allerorts ist deshalb nun von Regulierung zu lesen, vom Zerschlagen sogar, vom Schutz der Privatsphäre und mehr Transparenz. Apple, das selbst zu den Riesen zählt, reagiert vorausschauend: Apps, die auf Apple-Handys laufen, dürfen nun nicht mehr automatisch sämtliche Daten ihrer Nutzer*innen sammeln. Seit dies e um ihre Einwilligung dazu gefragt werden, sagt nur mehr ein Viertel der Menschen: Klar, sammle doch, ich hab ja nichts zu verbergen. Für ein Unternehmen wie Meta bedeutet das, dass es plötzlich mit sehr viel weniger Daten gefüttert wird, ohne die es seinen Werbekund*innen nicht mehr versprechen kann, dass es die roten Turnschuhe mit den Engelsflügeln genau jenen Menschen zeigt, die auf rote Turnschuhe mit Engelsflügeln stehen. Das war’s dann mit dem Geschäftsmodell. Da gerät ein Aktienkurs dann schon einmal ins Rutschen.
Von Europa aus wird diese Entwicklung mit einer gewissen Genugtuung gesehen, manchmal sogar mit Häme. Sind die USA jetzt also auch selbst draufgekommen, dass der Überwachungskapitalismus, wie ihn die US-Wirtschaftswissenschaftlerin Shoshana Zuboff auf den Punkt gebracht hat, die Demokratie gefährdet und vielleicht sogar die Wirtschaft? Europa, das mit der Radikalität des Silicon Valley nie sehr viel anfangen konnte, sieht sich bestätigt. Und ein bisschen stimmt es ja auch: Statt der versprochenen Demokratisierung von Wissen und wirtschaftlichen Möglichkeiten haben die neuen Technologien zunächst vor allem Monopole hervorgebracht, die dem Rest der Welt diktieren, wie es läuft.
Amazon, zum Beispiel, steht in den USA mittlerweile für gigantische 50 Prozent des Online-Handels, 88 Prozent aller mobilen Online-Suchen laufen über Google und unvorstellbare drei Viertel aller Summen, die 2021 global in Online-Werbung investiert wurden, landeten bei nur drei Unternehmen: Google, Facebook und Amazon.
Es gibt kein einziges europäisches Unternehmen, das in diesen Sphären auch nur kurz aufgeblitzt. Europa hat diese und viele weiter e Entwicklungen versäumt. Die Rolle, den Tech-Zauber zu regulieren, war immer nur eine Notlösung. Die Hoffnung, das Regulativ auch auf China auszudehnen, ist längst verpuff t. China hat die US-Riesen draußen gelassen und mit Alibaba, Baidu und Weibo seine eigenen herangezogen, die es jetzt brutal reguliert, weil auch sie zu mächtig geworden sind. Die Technologie- Welt hat sich also auch geografisch aufgeteilt und die aktuellen geopolitischen Entwicklungen geben keinen Anlass dazu, zu glauben, dass sich das in absehbarer Zeit ändert.
Was aber bedeutet das für Europa? Tut sich da plötzlich eine Lücke auf? Gibt es neue Chancen, jetzt, wo die bisher Großen im Begriff sind, etwas Macht einzubüßen? Wo alte Geschäftsmodelle nicht mehr automatisch weiter Geld drucken und die Welt insgesamt vielleicht wieder etwas kleiner wird?
Entschieden ist das alles nicht, aber es besteht die Gefahr, dass Europa auch die nächste Runde wieder verschläft. Der große Vorteil der US-Konzerne dabei ist, dass sie alle zusammen längst auch in Bereichen aktiv sind, die gar nicht unbedingt zu ihrem Kerngeschäft zählen. Immer wieder geht dabei etwas schief, ohne dass deshalb das große Ganze ins Straucheln gerät. Immer wieder verabschiedet sich zum Beispiel einer der Riesen davon, ein selbstfahrendes Auto zu entwickeln oder seine eigene Währung ins Leben zu rufen. Aber sie alle forschen, sie alle investieren und sie tun das mit einem gigantischen finanziellen Polster. Facebook hat allein im vergangenen Jahr zehn Milliarden US-Dollar nur in die Entwicklung seines Metaverse investiert, einer Art digitaler Parallelwelt, in der wir uns als Avatare bewegen, studieren und tratschen, vor allem aber auch shoppen können sollen. Und das war erst der Anfang. Googles Erfolge in der Entwicklung von Robotern und Künstlicher Intelligenz kennen wir aus den irren Videos von tanzenden Dingern, die sich wie Menschen bewegen. Bei Amazon ist es nicht mehr der Online-Handel, der am schnellsten wächst, sondern sein Cloud-Service AWS. Und eigentlich alle Big-Tech-Unternehmen arbeiten parallel dazu an ihren eigenen Quantencomputern.
Europas Rolle kann es nicht sein, die Fortsetzung ihrer Dominanz einmal mehr zu akzeptieren und dann zu versuchen, Entwicklungen eben aufzuholen. Es ist geopolitisch nachvollziehbar, wenn die EU jetzt Chipproduzenten nach Europa holt. Schlauer aber wäre es, aus der freien Forschung heraus die nächste Generation von Chips zu entwickeln und mit ihr die Lieferketten und Abnehmer*innen. Schlauer wäre es auch, jenen Forscher*innen und Unternehmer*innen, die Durchbrüche schaffen, Gründe zu geben, doch in Europa zu bleiben. Europa muss deshalb nicht zum neuen China werden, es braucht aber auch nicht das Anhängsel der USA zu sein. Dazwischen gibt es strategischen Spielraum, den es nutzen kann – wenn es das will.