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BLACKOUT

Was, wenn der Strom ausfällt?

Von Thomas Brandstetter

In unserer modernen Gesellschaft ist alles perfekt aufeinander abgestimmt. Von Kommunikation über Logistik und Finanzen bis hin zur medizinischen Versorgung greifen elektronische Systeme ineinander, um uns das Leben zu erleichtern. Doch was passiert, wenn all dem mit einem Schlag die Grundlage entzogen wird?

Das Licht ist aus! Gerade als das Buch anfängt, interessant zu werden. Aber eine durchgebrannte Glühbirne kann dem gemütlichen Abend zuhause sicher nichts anhaben. Auf so etwas ist man schließlich vorbereitet. In der Abstellkammer liegt sicher noch irgendwo eine Ersatzbirne. Also vorsichtig durch das dunkle Wohnzimmer zur Tür getappt ... doch siehe da: Auch im Vorraum geht das Licht nicht an. Hmmm. Ein Stromausfall? Ist ja spannend!

Tatsächlich sind Stromausfälle in Österreich gar nicht so selten. Etwa 10.000-mal im Jahr geht hierzulande das Licht aus. Allerdings handelt es sich dabei fast ausschließlich um lokal begrenzte Ausfälle, die im Durchschnitt nur etwa eine Stunde lang andauern – für die meisten Betroffenen also nicht mehr als eine kleine Unannehmlichkeit. Doch die Gefahr eines Blackouts, also eines überregionalen, länger anhaltenden Stromausfalls, schwebt wie das Schwert von Damokles über unserer hochtechnisierten, modernen Gesellschaft. Unsere Lebens- und Arbeitswelten sind nahezu vollständig von elektrisch betrieben Geräten durchdrungen, und kritische Infrastrukturen wie Kommunikation, Transport, Finanz- und Gesundheitswesen sind aufs Engste miteinander vernetzt und damit hochgradig verletzbar. Bei einem längerfristigen Ausfall wäre ein Kollaps der gesamten Gesellschaft wohl kaum zu verhindern.

Ein Blick aus dem Fenster verschafft schließlich Gewissheit: Die Stadt ist dunkel; der Strom ist weg. In einem Fenster gegenüber ist der schwach flackernde Schein einer Kerze zu erkennen. Natürlich! Zurück zum Ursprung. Man wird sich ja wohl von einem kleinen Stromausfall nicht die Laune verderben lassen. Das könnte noch ein richtig gemütlicher Abend werden. Kerzenschein, ein leckerer Snack und endlich etwas Muße zum Reflektieren und Nachdenken ... herrlich! Entschleunigung lautet das Zauberwort. Und das ganze Vorhaben natürlich gleich per WhatsApp mit den Freunden teilen. Oh Moment! Kein Netz.

Die Folgen eines Blackouts für die Telekommunikation im Speziellen und die Versorgung mit Information allgemein wären dramatisch. Während die Festnetztelefonie sofort ausfällt, wären die Mobilfunknetze aufgrund geladener Akkus in den Endgeräten und eventueller kurzfristiger Notstromversorgung der Basisstationen zwar noch eine Weile in Betrieb. Das zu erwartende erhöhte Gesprächsaufkommen würde die Netze jedoch höchstwahrscheinlich binnen weniger Minuten überlasten, bis sie schließlich ganz ausfallen. In einer solchen Situation würde der gute alte Hörfunk zu einer der wichtigsten Kanäle für Information werden. Deshalb empfiehlt der Österreichische Zivilschutzverband, für den Fall der Fälle ein batteriebetriebenes Radio (inklusive Ersatzbatterien!) im Haus zu haben. Und darüber hinaus noch Ersatzbeleuchtungen wie Kerzen und Taschenlampen, eine Ersatzkochgelegenheit sowie Lebensmittel und Getränkevorräte für sieben Tage.

Was für ein herrlicher Morgen! Selten so gut geschlafen. Aber der Strom scheint immer noch weg zu sein. Naja ... dann erst einmal sehen, was draußen los ist. Keine Straßenbahn – das war klar. Aber die Leute nehmen das offensichtlich gelassen. Kein Wehklagen, keine Panik. Doch was war das für ein fürchterlicher Knall? An der Kreuzung vorne sind zwei Autos zusammengestoßen. Was für ein Schreck! Aber es dürfte gerade noch einmal glimpflich ausgegangen sein. Und da hört man auch schon den Einsatzwagen kommen. So schnell? Nein, die fahren woanders hin. Genau genommen hört man in der Ferne aus allen Richtungen Sirenen. Das verheißt nichts Gutes ...

Unmittelbar nach einem Stromausfall ist in größeren Städten mit chaotischen Zuständen im Straßenverkehr zu rechnen. Ampeln und Schrankenanlagen fallen aus, was nicht nur zu Staus, sondern auch zu einer Häufung von Verkehrsunfällen führt. Das wiederum behindert die Einsatzkräfte, die nun vermehrt zur Notrettung und Brandbekämpfung ausrücken müssen. Nicht nur aufgrund der Situation auf den Straßen, sondern auch, weil viele Menschen zum Kochen und zur Beleuchtung auf offene Flammen zurückgreifen müssen und das allgegenwärtige Improvisieren in den unterschiedlichsten Lebensbereichen zusätzliche Unfälle aller Art zur Folge hat.

Abwechslung hin oder her, langsam wir es ungemütlich. Was, wenn der Strom nicht zurückkommt? Und vor allem: Was ist mit den Menschen, die auch vorher schon auf Hilfe angewiesen waren?

Natürlich ist auch das Gesundheitswesen unmittelbar von Elektrizität abhängig. Die meisten Arztpraxen und Apotheken können ohne Strom nicht arbeiten und würden bei einem Blackout geschlossen werden. Auch Dialysezentren sowie Alten- und Pflegeheime müssten zumindest teilweise geräumt werden. Außerdem wäre damit zu rechnen, dass Arzneimittel bereits im Laufe der ersten Woche knapp werden, da sowohl der Verkauf als auch der Vertrieb pharmazeutischer Produkte insgesamt zurückgeht. Besonders betroffen wären die von einer funktionierenden Kühlkette abhängigen Substanzen wie Insulin, Blutspenden oder Dialysierflüssigkeiten. Krankenhäuser dagegen sind in der Regel darauf ausgerichtet, mithilfe von Notstromaggregaten zumindest für einige Tage einen eingeschränkten Betrieb aufrechtzuerhalten. So warten etwa am Kepler Universitätsklinikum 13 Dieselaggregate darauf, im Falle eines Blackouts die Stromversorgung zu übernehmen. Damit könnte in kritischen Bereichen wie Operationssaal oder Intensivstation die Versorgung lückenlos fortgesetzt werden, während die vorgewärmten Aggregate nach etwa 15 Sekunden auch an die Stationen wieder Strom liefern würden. Sind die Dieselvorräte aber erst einmal aufgebraucht, wird es am gesamten Campus dunkel.

Einer, der weiß, wie es sich anfühlt, wenn während einer medizinischen Behandlung der Strom ausfällt, ist Meinhard Lukas. Der Rektor der Johannes Kepler Universität Linz (JKU) ist aufgrund einer chronischen Nierenerkrankung auf eine tägliche Bauchdialyse angewiesen und hat die Schrecken eines Stromausfalls am eigenen Leib erlebt. Bei der Bauchdialyse, die der Patient selbst mit einem mobilen Gerät durchführen kann, handelt es sich um einen hochsterilen Prozess, der keinesfalls unterbrochen werden darf. „Ich war gemeinsam mit meiner Frau auf Urlaub in St. Johann, als während der Dialyse im Hotel plötzlich der Strom ausfiel“, erzählt Lukas. Das Gerät ist zwar mit einem Akku ausgestattet. Dessen Kapazität reicht jedoch nur aus, um eine halbe Stunde zu überbrücken – zu wenig, um die Behandlung sicher abzuschließen. Somit begann ein Wettlauf gegen die Zeit, der fünf Minuten vor Ablauf der Frist gerade noch zum Guten gewendet wurde. Mit Hilfe seiner Frau ist es Lukas gelungen, per Telefon einen Techniker zu verständigen, der die Stromversorgung im Hotel wiederherstellte. Andernfalls hätten erhebliche gesundheitliche Schäden gedroht. „Ohne meine Frau hätte ich keine Chance gehabt“, sagt Lukas. „Die Hilflosigkeit beim Ausfall des Gerätes war schlimm. Da habe ich erst eine Ahnung bekommen, was es bedeutet, von einer lückenlosen Stromversorgung abhängig zu sein.“

Schon drei Tage ohne Strom. Seit gestern kommt kein Tropfen Wasser mehr aus der Leitung. Und für die Tanklaster, bei denen man sich einen Kanister mit Trinkwasser auffüllen lassen kann, wird es schon bald kein Benzin mehr geben, wie es heißt. Sollen wir dann das Wasser aus dem Fluss trinken? Keiner weiß, wie es weitergehen soll. Und Lebensmittel werden sowieso knapp. Ganz abgesehen davon, dass ohnehin kein Geld da ist, um sie zu bezahlen.

Ohne Strom ist auch das Finanzsystem unmittelbar vom Zusammenbruch bedroht. Zwar sind Banken gesetzlich verpflichtet, sich auf Stromausfälle vorzubereiten, und verfügen deshalb über entsprechende Backup-Systeme zu Datensicherung sowie Notstromgeneratoren, um ihren Betrieb kurzfristig aufrecht erhalten zu können. Einem längeren Blackout hätten jedoch auch sie nichts entgegenzusetzen. „Ohne Strom können Banken nicht operieren“, sagt Professor Teodoro Cocca vom Institut für betriebliche Finanzwirtschaft der JKU. „Das hat unmittelbare Auswirkungen auf das Wirtschaftssystem und damit auf fast jeden Bereich des täglichen Lebens.“ Ohne die Möglichkeit zur elektronischen Zahlung würde außerdem die Nachfrage nach Bargeld rasant steigen und könnte wohl bald nicht mehr gedeckt werden. Schließlich führen wir nur einen minimalen Bruchteil unseres Vermögens, im Schnitt etwa 150 Euro, in der Geldbörse mit uns. Cocca zufolge wären die Menschen im Katastrophenfall wohl gezwungen, auf den Gütertausch zurückzugreifen. „Da bieten sich natürlich zunächst einmal die Edelmetalle an“, so der Finanzwirtschaftsexperte. „Wie man allerdings mit Gold eine Flasche Mineralwasser bezahlen soll, ist wieder eine ganz andere Frage.“

Im Radio heißt es, dass ganz Europa vom Blackout betroffen ist. Und natürlich, dass fieberhaft an der Behebung der Schäden gearbeitet wird. Man soll die Hoffnung nicht aufgeben. Leichter gesagt als getan. Über die Atomkraftwerke sagen sie gar nichts. Nur auf der Straße hört man Gerüchte von ausgefallenen Kühlungen und bevorstehenden Kernschmelzen. Auch das noch. Sind wir womöglich schon verstrahlt? Und wie konnte das alles überhaupt passieren?

„Wirklich große Stromausfälle gehen immer auf eine Verkettung mehrerer Ereignisse zurück“, sagt Johannes Reichl vom Energieinstitut der JKU. Unsere Stromnetze sind so redundant aufgebaut, dass sie nicht allein durch die Unterbrechung einer einzigen Leitung oder den Ausfall eines einzelnen Kraftwerks zum Kippen gebracht werden können. Mögliche Ursachen für einen großflächigen Blackout wären gezielte Hackerangriffe oder Naturkatastrophen. Einer der bisher größten Ausfälle in Europa geht dagegen auf eine eigentlich planmäßige Abschaltung zurück. 2006 wurde in Deutschland eine Starkstromleitung über die Ems unterbrochen, um dem Kreuzfahrtschiff „Norwegian Pearl“ die sichere Ausfahrt aus der Werft zu ermöglichen. Eine halbe Stunde später fiel in weiten Teilen des Kontinents der Strom aus. Betroffen waren zehn Millionen Menschen von den Niederlanden bis Portugal. Selbst in Marokko waren die Auswirkungen noch spürbar.

Als Ursache wurden damals eine zusätzliche, unerwartete Belastung durch eine erhöhte Einspeisung von Windkraft-Strom sowie fehlerhaftes Management bei der Umverteilung der Stromlast ausgemacht. Für Reichl, der sich in seiner Forschung vor allem mit dem Aspekt der Versorgungssicherheit von Stromnetzen auseinandersetzt, ist das „Norwegian Pearl“-Unglück ein symptomatisches Beispiel für eine allgemeine Fehlentwicklung. „Unsere Netze sind auf wenige, große Kraftwerke ausgelegt“, sagt der Forscher. Der Trend hin zu erneuerbaren Energien hat aber zur Folge, dass immer mehr kleine Solar- und Windkraftwerke an der Stromerzeugung beteiligt sind, deren Leistung starken und nur schwer vorhersehbaren Schwankungen unterliegt. Die daraus resultierende Instabilität erfordert es immer öfter, aktiv ins Netz einzugreifen, um Überlastungen zu verhindern. Schließlich müssen Verbrauch und Produktion zu jeder Sekunde identisch sein. „Wir sind gerade dabei, ein System zu entwickeln, das nur bei Sonnenschein gut funktioniert“, so Reichl. „Was fehlt, ist ein Masterplan.“

Nach knapp zwei Wochen ohne Elektrizität ist von der öffentlichen Ordnung nicht mehr viel übrig. Schwarzmärkte sind mittlerweile der Normalfall; auf der Straße gilt das Recht des Stärkeren. Die Polizei ist heillos überfordert oder überhaupt, so scheint es manchmal, in Auflösung begriffen. Auch das Militär ist weit davon entfernt, Herr der Lage zu sein. Nur das gelegentliche Aufflackern von Hilfsbereitschaft und Zusammenhalt zwischen den Menschen gibt einem noch Hoffnung, dass diese Katastrophe doch noch zu bewältigen sein könnte. Die wichtigste Frage ist inzwischen, wem man in dieser Welt noch trauen kann.

 Wie Menschen auf einen schweren Blackout reagieren, wird man erst dann mit Sicherheit wissen, wenn es einmal soweit sein sollte. Dennoch kann die Notfallpsychologie aus kleineren Vorfällen in der Vergangenheit lernen. „Aus amerikanischen Studien zu begrenzten Katastrophen wie Hurrikans oder den 9/11-Anschlägen wissen wir, dass es sich bei den Vorstellungen von extremer Panik, Plünderungen, Gewalt und Chaos wohl eher um Mythen handelt“, erklärt Olga Kostoula vom Institut für Pädagogik und Psychologie der JKU. „Zumindest in der ersten Phase eines solchen Ereignisses verhalten sich die meisten Menschen zumeist rational und versuchen, sich zu organisieren und auch anderen zu helfen.“ Es gibt jedoch auch Theorien, die vorhersagen, dass die Hilfsbereitschaft abnimmt, je länger die Katastrophe andauert. „Hier sind es vor allem Frauen, ältere Menschen und Angehörige kultureller Minderheiten, die nach längerer Zeit über einen deutlich geringeren Zugang zu den knappen Ressourcen verfügen.“

Sie haben es tatsächlich geschafft! Nach 14 Tagen Chaos und Entbehrung erwacht die Stromversorgung langsam wieder zum Leben. Die Erleichterung ist groß, so wirklich zum Jubeln ist aber keinem zumute. Zu tief sitzt der Schock, und zu viele Opfer sind zu beklagen. Und auch wenn uns der Wiederaufbau neuen Mut geben wird: Die Welt wird wohl nie wieder so werden, wie sie war.