Es gibt eine Obsession mit der „linken Identitätspolitik“, so schreibt es der Autor Robert Misik in einem Gastkommentar in der Neuen Zürcher Zeitung, um im weiteren Verlauf die Gegensätzlichkeit zweier Standpunkte als bloß vermeintlich zu enttarnen. Trotzdem seien behauptete Gegenpositionen auch hier vorangestellt: Auf der einen Seite fänden sich angeblich jene, die die soziale Frage ins Zentrum ihrer Überlegungen stellen. Und dann gäbe es die, deren Gedanken zur gerechten Gesellschaft sich um einen angeborenen Identitätsbestandteil zentrieren und ihn gewissermaßen losgelöst betrachten, was also heißt, dass sie zwar Rassismus und Sexismus strukturell erkennen, nicht aber Klassismus. So weit, so einfach. Wer bloß binär denken kann, ist klar im Vorteil, weil man dann nicht mit den Zwischentönen durcheinanderkommt und die eigene Meinung als Position unumstößlich in der Landschaft steht.
Cancel Culture von links, bedrohte Kunstfreiheit, Selbstviktimisierung als Waffe: Die Schlagwörter sind bekannt. Aktuell entzünden sie sich innerhalb des Theaterbetriebs an einer Debatte, ausgelöst durch Rassismusvorwürfe gegenüber dem Düsseldorfer Schauspielhaus: So schilderte der Schauspieler Ron Iyamu Ende März rassistische Äußerungen und Übergriffe in Probensituationen. Dagegen hielt der Dramaturg Bernd Stegemann in einem Text in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wo er die Besonderheit der Probensituation beschreibt: Stegemann sieht die Probe als Ort der Entgrenzung, an dem die Regeln des Alltags eben nicht gelten, ein Möglichkeitsraum gewissermaßen, in dem Kunst und Künstler* innen erst mal frei sind, ohne dass Einzelne diese Freiheit für ihre Zwecke missbrauchen.
Die Frage nach dem Möglichkeitsraum der Probe ist unbedingt zu stellen. Nicht als Argument gegen Safe Spaces, das die Grenzen des Raumes ziemlich eng zieht und so mehr verunmöglicht, als es eröffnet. Sondern als ein Eintreten für das offene Ausverhandeln des Spielfelds als zukünftigen Common Ground, in dem die Realität durch die Körper der Beteiligten als Realitäten stets präsent, aber nicht festgeschrieben ist.
Denn ein Ausblenden dieser Realitäten wäre wie deren Reduktion ins Singular, wäre Überschreibung und gleichzeitige Zurichtung der Körper, Zugriff und Ausschluss, ein Abziehen der – wie Mithu Sanyal in einer Replik auf Stegemann schreibt – „sozialen Haut, (…) die es uns erlaubt, gleichzeitig Teil der Gesellschaft und wir selbst zu sein – unverletzbar, weil eine Verletzung von uns gleichzeitig eine Verletzung der Gemeinschaft wäre“.