An der JKU simulierten 200 Studierende aus 70 Ländern einen internationalen Umwelt- und Klimagerichtshof. Sie verhandelten den Ausverkauf von Wasser in Mexiko, den Antrag auf Klimaasyl von Menschen aus Pakistan und Inselstaaten und ob Atomenergie und Gas als grüne Energien gelten sollen. Eine Übung, die die aktuellen Grenzen der globalen Gerechtigkeit aufzeigte – und die Lösungskompetenz der Studierenden.
Woher kam die Idee für ein fiktives Umwelt- und Klimagericht?
Mathis Fister: Das Thema war für die war für die Festival University, eine gemeinsame Sommeruniversität der JKU und Ars Electronica, vorgesehen Das Team und unser Rektor hatten dann die Idee, es in eine Gerichtsverhandlung einzubetten. Denn sonst würden wechselseitig Argumente aufgetürmt werden, wie man den Klimawandel in den Griff bekommen könnte oder auch nicht, und die Diskutantinnen und Diskutanten höchstwahrscheinlich ergebnislos auseinandergehen. Am Schluss sollte also eine gerichtliche Entscheidung stehen, die im besten Fall einen Kompromiss herbeiführt.
Was hat Sie an dieser Idee begeistert?
Fister: Sie ist hochinteressant, weil wir mit unserem aktuellen Grundrechteschutz an Grenzen stoßen. Gerade in Österreich ist es schwierig, „Klimaklagen“ vor den Verfassungsgerichtshof zu bringen. Es gibt viele prozessuale Hürden. Daher war es ein hochinteressantes Experiment, einmal auszuloten, wie wir das Recht weiter entwickeln und einen Hebel bekommen können, um für Individualpersonen Klimaschutz durchsetzbar zu machen. Und: Was wir tatsächlich derzeit nicht haben, ist ein „Weltgericht“: eine zentrale internationale Instanz, die weltweit Fälle entscheiden könnte mit Bindungswirkung für alle Staaten und internationalen Organisationen. Das ist eine enorme Schwierigkeit in der Durchsetzung internationalen Klimarechts.
Herr Bergthaler, Sie haben die Studierenden juristisch beraten. Was war Ihre Motivation mitzumachen?
Wilhelm Bergthaler: Auch mich hat die Idee fasziniert. Dieser Moot Court (siehe Infokasten) unterscheidet sich von den üblichen in zweierlei Hinsicht: Er nimmt erstens eine Rechtsordnung vorweg, die wir noch gar nicht haben: Er tut, als ob das Klimavolksbegehren eins zu eins vom Parlament beschlossen worden wäre und weltweit gelten würde. Diese Ausgangsprämisse ist spannend. Zweitens war es faszinierend zu sehen, wie das von Studierenden weltweit, auch aus betroffenen Ländern, in dieser breiten Perspektive diskutiert wird. Es waren Leute da aus Pakistan, die gerade schreckliche klimabedingte Naturkatastrophen erlebt haben, Leute pazifischer Inseln, die vom den steigenden Meeresspiegel unmittelbar betroffen sind, Leute aus Brasilien, die die Thematik der Abholzung der Urwälder kennen. Es hat mich gereizt, da anwaltliches Prozess-Know-how einzubringen und zu schauen, was die jungen Leute daraus machen. Und dabei sind meine kühnsten Erwartungen übertroffen worden.
Inwiefern? Was hat diesen Moot Court so besonders gemacht?
Bergthaler: Auch bei den vorgegebenen Klimaklagen gäbe es ein archetypisches Narrativ: Da sind die Guten und da die Bösen; da sind jene, die darunter leiden und da die mächtigen Staaten und Unternehmen. Diese Narrative haben die Studierenden eigentlich immer durchbrochen. Es waren alle konstruktiv, es ging immer darum: Wer hat die bessere Lösung für den Klimawandel?
Fister: Das Schöne war, dass Klimaschutz in seiner ganzen Komplexität betrachtet wurde. Es gilt dabei schwierige Abwägungsfragen zu lösen. Ein Grundrechtsgericht ist dazu berufen, diese zu treffen und eine faire Balance zu finden zwischen den Anliegen des Klimaschutzes und mitunter konfligierenden öffentlichen Interessen – und das kann gelingen und ist gelungen.
Wie lauteten die Spielregeln?
Fister: Wir haben drei Ausgangsfälle überlegt. Dann haben wir der Fantasie der Studierenden Raum gelassen, sie konnten den Sachverhalt weiter ausfüllen. Und wir mussten eine Rechtsgrundlage schaffen: Daher ist eine eigene Charta mit innovativen, deutlich fortentwickelten Umwelt- und Klimagrundrechte entstanden. Mit dieser wurde auch das fiktive internationale Umwelt- und Klimagericht eingesetzt. Wir haben es verfahrensrechtlich nicht zu kompliziert gemacht, damit der Prozess auch für juristische Lainnen und Laien bewältigbar ist. Nur ein Bruchteil der Studierenden waren Juristinnen und Juristen, die meisten kamen aus anderen Disziplinen.
Viele Studierende waren also gar keine Jurist:innen. Wie hat das die Vorbereitung auf den Moot Court beeinflusst?
Bergthaler: Das war sehr spannend. Natürlich wäre die rein formaljuridische Argumentation nicht allen offen gestanden. Das war aber auch gar nicht erforderlich, weil die fiktive Umweltkonvention mit sehr einfachen Postulaten gearbeitet hat. Es wurde daher nie formalistisch argumentiert – weil das einen Naturwissenschaftler*innen oder Soziolog*innen nicht überzeugt. Dass man etwa sagt, das Argument ist in dieser Phase nicht zulässig, oder herumtut, ob etwas eine Suggestivfrage ist oder nicht. Es war also das juristische Gehirn gefordert, sich auf der Sachebene mit den Problemen auseinander zu setzen. Der interdisziplinäre Ansatz war aber richtig. Ich habe bei einem Einführungscoaching einen Greenwashing-Fall gegeben: Studierende mussten sich als Konzernsprecher melden, denen ich eine interne Botschaft gegeben habe, wie es wirklich ist und was nach außen zu vertreten ist. Da hat man gesehen, wie sie mit unglaublicher Auffassungsgabe mit diesem Konzern-Sprech, diesen PR-Narrativen, spielen können, sie aber auch durchschauen. Man hat gesehen, wie naturwissenschaftliche Faktentiefe und soziologisches Gespür dafür, was ein G’schichtl ist, und der Arbeit der Jurist*innen, die daraus ein juristisches Argument und ein Recht ableiten, hier zusammenspielen.
Vor dem fiktiven Gericht wurden Fälle zu Wasser, Migration und Energie verhandelt. Wie haben die Studierenden in den jeweiligen Rollen dabei argumentiert?
Fister: Beim ersten Fall ging es um den Ausverkauf von Wasser durch die mexikanische Regierung. Die Beschwerde an das Gericht war darauf gerichtet, diesen Ausverkauf zu untersagen. Die Antragsteller*innen haben argumentiert: „Wir haben ein Recht auf den Zugang zu Wasser. Wir sitzen völlig auf dem Trockenen, wir drohen zu verdursten.“ Von Seiten der Regierungsvertreter*innen wurde argumentiert: „Wir brauchen diese großen Infrastrukturprojekte und Kooperationen mit internationalen Konzernen, um Geld für künftige grüne Infrastrukturprojekte zu lukrieren.“ Am Ende wurde entschieden, dass den Antragsteller*innen der Zugang zu Wasser im Umfang ihres Bedarfs zu gewähren ist, aber mit überschüssigem Wasser international Handel betrieben werden darf. Beide Seiten haben die Entscheidung als Sieg gefeiert.
Und in den beiden anderen Fällen?
Fister: Da spielten Studierende einen Antragsteller aus der Südsee, dessen Insel unterzugehen droht, und eine Antragstellerin aus Pakistan. Vor dem Hintergrund des Meeresspiegelanstiegs und der großräumigen Überschwemmungen haben beide argumentiert, dass ihre Heimat bald unbewohnbar sein wird, und das Recht auf Klimaasyl beansprucht, das im Ergebnis (mit langer, differenzierender Begründung) auch gewährt wurde. Im dritten Fall ging es darum, ob Atomenergie und Gas als grüne Energiequellen einzustufen sind - unsere Charta sieht einen Anspruch auf Zugang zu grüner Energie vor. Wie die Charta war auch das Gericht streng und hat letztlich verneint, dass Atom und Gas grüne Energiequellen im Sinne der Charta sein können.
Die Studierenden verhandelten mit den Themen ja gewissermaßen ihre eigene Zukunft. Was war der emotionalste Moment, den Sie dabei erlebt haben?
Bergthaler: Das war sehr spannend. Natürlich wäre die rein formaljuridische Argumentation nicht allen offen gestanden. Das war aber auch gar nicht erforderlich, weil die fiktive Umweltkonvention mit sehr einfachen Postulaten gearbeitet hat. Es wurde daher nie formalistisch argumentiert – weil das einen Naturwissenschaftler*innen oder Soziolog*innen nicht überzeugt. Dass man etwa sagt, das Argument ist in dieser Phase nicht zulässig, oder herumtut, ob etwas eine Suggestivfrage ist oder nicht. Es war also das juristische Gehirn gefordert, sich auf der Sachebene mit den Problemen auseinander zu setzen. Der interdisziplinäre Ansatz war aber richtig. Ich habe bei einem Einführungscoaching einen Greenwashing-Fall gegeben: Studierende mussten sich als Konzernsprecher melden, denen ich eine interne Botschaft gegeben habe, wie es wirklich ist und was nach außen zu vertreten ist. Da hat man gesehen, wie sie mit unglaublicher Auffassungsgabe mit diesem Konzern-Sprech, diesen PR-Narrativen, spielen können, sie aber auch durchschauen. Man hat gesehen, wie naturwissenschaftliche Faktentiefe und soziologisches Gespür dafür, was ein G’schichtl ist, und der Arbeit der Jurist*innen, die daraus ein juristisches Argument und ein Recht ableiten, hier zusammenspielen.
Vor dem fiktiven Gericht wurden Fälle zu Wasser, Migration und Energie verhandelt. Wie haben die Studierenden in den jeweiligen Rollen dabei argumentiert?
Fister: Beim ersten Fall ging es um den Ausverkauf von Wasser durch die mexikanische Regierung. Die Beschwerde an das Gericht war darauf gerichtet, diesen Ausverkauf zu untersagen. Die Antragsteller*innen haben argumentiert: „Wir haben ein Recht auf den Zugang zu Wasser. Wir sitzen völlig auf dem Trockenen, wir drohen zu verdursten.“ Von Seiten der Regierungsvertreter*innen wurde argumentiert: „Wir brauchen diese großen Infrastrukturprojekte und Kooperationen mit internationalen Konzernen, um Geld für künftige grüne Infrastrukturprojekte zu lukrieren.“ Am Ende wurde entschieden, dass den Antragsteller*innen der Zugang zu Wasser im Umfang ihres Bedarfs zu gewähren ist, aber mit überschüssigem Wasser international Handel betrieben werden darf. Beide Seiten haben die Entscheidung als Sieg gefeiert.
Und in den beiden anderen Fällen?
Fister: Da spielten Studierende einen Antragsteller aus der Südsee, dessen Insel unterzugehen droht, und eine Antragstellerin aus Pakistan. Vor dem Hintergrund des Meeresspiegelanstiegs und der großräumigen Überschwemmungen haben beide argumentiert, dass ihre Heimat bald unbewohnbar sein wird, und das Recht auf Klimaasyl beansprucht, das im Ergebnis (mit langer, differenzierender Begründung) auch gewährt wurde. Im dritten Fall ging es darum, ob Atomenergie und Gas als grüne Energiequellen einzustufen sind - unsere Charta sieht einen Anspruch auf Zugang zu grüner Energie vor. Wie die Charta war auch das Gericht streng und hat letztlich verneint, dass Atom und Gas grüne Energiequellen im Sinne der Charta sein können.
Die Studierenden verhandelten mit den Themen ja gewissermaßen ihre eigene Zukunft. Was war der emotionalste Moment, den Sie dabei erlebt haben?
Bergthaler: Mir bleibt der Klimafluchtfall besonders in Erinnerung. Eine Teilnehmerin aus Pakistan hat unmittelbar die Folgen der Unwetter- und Flutkatastrophen geschildert. Das ist nicht nur die akademische Ebene, die wir sonst gewohnt sind, sondern da sind Studierende gewesen, die ganz unmittelbar betroffen sind, aber dennoch in der Lage waren, das in einem rationalisierten Diskurs abzuhandeln. Da war eine Unmittelbarkeit spürbar, die ich noch bei keinem Moot Court erlebt habe.
Fister: Es war zu spüren, wie sehr sich die Studierenden mit ihrem Standpunkt identifiziert haben. Die Vorbereitung war akribisch, die Standpunkte waren fest. Sie wurden mitunter auch vehement vertreten, aber niemals unsachlich. Ich habe schon am ersten Tag gesagt, dass man die Zukunft der Welt möglichst rasch in die Hände der kommenden Generation legen sollte. Sie begegnet der Problematik mit dem richtigen Augenmaß.
Wie stehen die Chancen für eine tatsächliche Gründung eines solchen Gerichtshofes?
Fister: Es ist eine politische Mammutaufgabe, so etwas auf den Weg zu bringen. Solche Gerichte könnten nur auf der Grundlage eines völkerrechtlichen Abkommens geschaffen werden. Und ein solches kommt nur zwischen solchen Staaten zustande, die auch mitmachen und sich der Jurisdiktion eines solchen Weltgerichts unterwerfen. Wir hoffen natürlich, dass die Zeit bald reif ist für so etwas, aber die Realität und Erfahrung zeigt uns, dass das Prozesse sind, die bisher über Jahre und Jahrzehnte gingen. Die Hoffnung liegt also vor allem wieder auf der kommenden Generation und dass diese die Dinge beherzt und entschlossen angeht.
Wie realistisch ist, dass weltweit gelingt, woran man auf nationaler Ebene scheitert? Das österreichische Klimaschutzgesetz ist ausgelaufen, rechtlich bindende Zielvorgaben für die Bundesländer fehlen aktuell.
Bergthaler: Das Zusammenspiel, was gelingt global und was national, geht nicht immer linear. Bei den Menschenrechten etwa war da zunächst ausgehend von einigen Teilen der Welt eine zündende Idee, die nicht mehr aufzuhalten war. Das Klimaschutzrecht wird von vielen nationalen Gerichten und Höchstgerichten immer wieder mit bahnbrechenden Urteilen vorangetrieben. Der Zug ist nicht mehr aufzuhalten, er rollt schon. Die Hoffnung ist, dass die Idee nicht mehr aus der Welt zu bringen ist, dass sie alle Rechtsbereiche erfasst.
Welche Lehren nehmen Sie persönlich vom Moot Court mit?
Fister: Wir haben gesehen, welchen Beitrag das Recht und die Gerichte leisten können, um dem Klimawandel zu begegnen. Freilich: Es ist nur ein Beitrag. Die Gerichte können das Klima nicht alleine retten. Aber wir haben gesehen, dass wir einen Schritt weiter kommen würden, wenn wir ein solches Gericht und „stärkere“ Grundrechte im Bereich Umwelt und Klima hätten. Die Hoffnung ist, dass die mit diesem Gedanken infizierten Studierenden, die die Komplexität des Klimaschutzes in seiner ganzen Breite diskutiert haben, das in ihre Heimatländer mitnehmen und dort weiter vorantreiben.
Bergthaler: Erstens: internationaler Austausch. Es bringt sehr viel, wenn auch unmittelbar betroffene Länder in den Diskurs eingebunden sind. Es soll keine Debatte nur in den akademischen Zirkeln der westlichen Universitätswelt sein, es muss global diskutiert werden. Zweitens: interdisziplinärer Austausch. Nur so gelingen überzeugende Lösungen. Für beides war das ein großartiges Versuchslabor, das man sich gerne in einem größeren Maßstab wünschen würde.
Ist eine Wiederholung geplant?
Bergthaler: Ich würde es mir wünschen.
Fister: Die Erfahrungen waren so wertvoll für alle Beteiligten, dass die Frage schon gekommen ist: Wann machen wir es das nächste Mal?