Die Dokumentation „Guardians of the Earth“ zeigt die schwierigen Verhandlungen auf der Klimakonferenz von Paris 2015. Elke Schüßler, Vorständin des Instituts für Organisation der JKU Linz, erforscht, wie Entscheidungen auf Klimakonferenzen zustande kommen. Ein Gespräch über den mühsamen Weg zum Konsens von 195 Staaten und auch darüber, was der Film nicht zeigt.
Wie ist das, wenn man sein Forschungsgebiet auf der Kinoleinwand verfolgt?
Ich fand es toll, dass jemand mit einem anderen Medium und aus einer anderen Perspektive an das Thema herangeht und so viel mehr Menschen erreicht, als das mit der wissenschaftlichen Forschung gelingt. Außerdem finden die Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Dass es dem Filmteam gelungen ist, Zugang zu bekommen und Eindrücke zu zeigen, ist eine große Leistung.
Der Film präsentiert ein Spiegelbild der Weltgemeinschaft. Hochrangige Insider bei den Verhandlungen, Chefunterhändler der am meisten von der Zerstörung bedrohten Staaten sowie aus Exportländern fossiler Brennstoffe erzählen die Handlung. Reicht das aus, um die Problematik zu umreißen?
Aus meiner Sicht war das eine sehr gute Wahl, weil es nicht möglich ist, die Geschichte der Klimakonferenzen aus nur einer Perspektive darzustellen. Für mich war Saleem Huq (Klimaexperte aus Bangladesch, Anm.) eine führende Figur im Film. Er unterstützt die schwächeren Länder dabei, sich gut abzustimmen und bei den Verhandlungen an Gewicht zu gewinnen.
Aus rund 1.000 Stunden Material entstand ein Film mit 85 Minuten Spielzeit. Gelungenes Porträt oder unzulässige Verkürzung?
Man muss natürlich fokussieren. Die Klimakonferenzen sind groß und komplex. Die Filmemacher haben sich entschieden, vor allem die politische Seite zu zeigen: das Gefälle an Interessen zwischen den Industrieländern und denen, die vom Klimawandel konkreter bedroht sind. Etwas zu kurz kommt dabei die starke Rolle der Zivilgesellschaft. Man sieht sie nur ausschnittsweise an den Protesten oder dem „Fossil of the Day“-Award, mit dem jeden Tag das Land prämiert wird, das sich besonders kontraproduktiv verhält.
Eine der besonders bewegenden Szenen zeigt den Delegierten der Philippinen, Yeb Saño, bei der Klimakonferenz in Warschau 2013. Er berichtet mit brechender Stimme von den zerstörerischen Folgen des Supertaifuns Haiyan für seine Familie und sein Land. Ein von großem Applaus begleiteter Auftritt. Im Jahr darauf wurde er aus dem philippinischen Verhandlerteam ausgeschlossen. Weiß man, warum?
Ich kenne die Hintergründe nicht. Diese Auftritte gibt es aber bei fast jeder Konferenz. Die Inselstaaten sagen: „Was ihr hier macht, reicht nicht, um unser Leben und unser Land zu retten.“ Diese am meisten betroffenen Länder appellieren an die Moral. Diese Rolle ist aber mittlerweile auch schon so ritualisiert in den Ablauf eingebettet, dass sie kaum noch bewegt.
Eine ernüchternde Feststellung.
Ja, dennoch hat sich in den vergangenen Jahren einiges getan. Die schwächeren Länder haben sich besser organisiert, um in den Verhandlungen mehr Gewicht zu bekommen. Das ist für diese Länder viel schwieriger, weil sie weniger Mittel haben und teilweise nur einen Unterhändler schicken können, während selbst kleine Länder wie Österreich mit einer zehn- bis zwanzigköpfigen Delegation kommen. Das bietet einen strategischen Nachteil: Wenn Tag und Nacht durchverhandelt wird, muss die einzig delegierte Person eines Landes irgendwann einmal schlafen gehen …
Im Kern geht es um das Dilemma zwischen nationalen Eigeninteressen und Solidarität: den Kampf um Wirtschaftswachstum auf der einen und den Verlust von Lebensraum und Menschenleben auf der anderen Seite. Lässt sich ein solcher Zwiespalt durch Verhandlungen auflösen?
Das ist die Grundproblematik des Ganzen: Es gibt eben keine Weltregierung und daher keine Alternative zu einem multilateralen Prozess. Doch dieser ist zäh und zu langsam, vor allem weil die Klimarahmenkonvention auf dem Konsensprinzip basiert. Doch die Spielregeln werden mittlerweile überdacht; beispielsweise geht es weg von Top-down-Zielvorgaben hin zu einem Bottom-up-Ansatz, der im Paris-Abkommen verankert ist. Aber auch hier weiß man nun, drei Jahre später, dass die freiwilligen Selbstverpflichtungen nicht ausreichen, um Staaten zu verbindlichem und radikalem Wandel zu bewegen.
Die Verhandler ringen um einen Minimalkonsens. Es geht darum, dass eckige Klammern um fragliche Textpassagen verschwinden. Lässt sich so die Welt retten?
Wohl kaum. Dennoch kann man nicht sagen, dass der Prozess komplett gescheitert ist. Aus den Verhandlungen wurden viele Klimaschutzmaßnahmen in unterschiedlichen Ländern abgeleitet. Nur reichen diese nicht aus, um das Klima zu retten. Das eigentliche Ziel der Konvention, einen transnational bindenden Vertrag zur Stabilisierung der Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad zustande zu bringen, wurde bisher nicht erreicht.
Am Beispiel von Coca-Cola wird gezeigt, dass sich Firmen Präsenz erkaufen können. Zugleich werden Demonstranten, die gegen den Verbrauch von 300.000 Litern Trinkwasser in einer Produktionsanlage in Indien demonstrieren, vom Sicherheitspersonal entfernt. Inwieweit verkommt die Klimakonferenz zur Bühne für das Lobbying von Industrie und Interessensgruppen?
Das ist ein ganz großes Problem. Man sieht ja auch, dass einige der Verhandler, etwa die Politiker der Ölstaaten, ganz eng mit der Industrie verknüpft sind. Die Industrie darf eigentlich nicht teilnehmen, auch nicht im Kreis der Beobachter. Und trotzdem gelingt es ihr, sich hinter NGOs oder Forschungsorganisationen zu verstecken. Das war auch so ein Aha-Erlebnis, als ich das erste Mal dabei war. Wir unterhielten uns mit Leuten an einem Stand aus Brasilien, der wie eine NGO wirkte. Nach einiger Zeit kam heraus, dass sie von der Zuckerrohr- Ethanolindustrie geschickt wurden und eng mit den politischen Vertretern zusammenarbeiteten. Sie machten Lobbying für die, wenn auch biologische, Energieproduktion.
Eines der häufigsten Worte im Film ist „danke“. Sie arbeiten an einer Studie zur Rhetorik bei den Konferenzen. Wie realistisch ist die stark ritualisierte, an Diplomatie orientierte Sprache der Verhandler abgebildet?
Sie kommt im Film nur sehr ausschnitthaft vor, man bekommt aber doch einen guten Eindruck. Für mich war es eine extreme Überraschung, als ich 2008 das erste Mal dabei war. Man stellt sich die internationale Diplomatie wahnsinnig aufregend vor. Und dann sieht man, dass das ein hoch standardisierter, sehr mühsamer Prozess ist, der den beteiligten Personen extrem viel Kraft, Disziplin und Geduld abverlangt. Als ich verstand, auf welcher Mikroebene verhandelt wird, dass es das Konsensprinzip gibt, habe ich mich gefragt: Kann man so überhaupt zu einem Durchbruch kommen? Zugleich hatte ich aber dieses positive Gefühl: Das Thema wird auf die Agenda der Staatsoberhäupter aus fast der ganzen Welt gesetzt, die Zivilgesellschaft baut Druck auf, es passiert etwas.
Wie viel bewirkt die vereinbarte freiwillige Selbstverpflichtung? Nach einer Nachtsitzung hieß es am Ende der letzten UN-Klimakonferenz in Bonn im November 2017, der „Geist von Paris“ sei trotz Donald Trump noch lebendig. Teilen Sie diese Einschätzung? Oder ist das Konzept der Klimakonferenz nach dem Ausstieg der USA zum Scheitern verurteilt?
Wenn sich starke oder große Länder wie China und Indien oder auch die EU als Region engagieren, kann auch ohne die USA viel für den Klimawandel getan werden. Auch wenn diese nach wie vor einer der größten Emitteure sind. Das zweite Problem ist aber die Finanzierung des Prozesses. Die USA sind einer der größten Beitragszahler und Trump hat ja angekündigt, die Zahlungen zurückzuziehen. Andere Länder müssen dann einspringen, um den Prozess am Laufen zu halten.
Nach der Verlängerung der Klimakonferenz kommt es schließlich doch zu einer Einigung. Man sieht übermüdete Menschen, die jubeln oder sich, den Tränen nahe, in die Arme fallen. Können Sie diese starken Emotionen nachvollziehen?
Ja, total. Der Film zeigt den extremen Druck, indem er ein bisschen aufgezogen ist wie ein Actionfilm. Zum Narrativ „Wir haben nur noch zwei Wochen, um dieses der ganzen Welt versprochene Abkommen zu erzielen und die Welt zu retten – schafft man‘s oder schafft man‘s nicht“ – kommt noch die Dringlichkeit des Klimaproblems selbst: „Es ist kurz vor zwölf,“ wird immer wieder gesagt. Die Klimakonferenz selbst ist zeitlich gestaffelt: In der ersten Woche verhandeln die Unterhändler, in der zweiten Woche die Staatsoberhäupter. Die Verhandlungen gehen Tage und Nächte lang, die Verhandler können sich kaum ausklinken, das ist extrem anstrengend. Und sie sind, wenn auch mit unterschiedlichen Interessen, trotzdem sehr emotional dabei. Es gibt ja viele, die wirklich etwas bewegen möchten.
Wird die Menschheit, von Profitgier gesteuert, sich selbst vernichten, oder findet sie als Weltgemeinschaft die nötige Solidarität, um den Klimakollaps zu stoppen? Wie sieht Ihre Prognose aus?
Leider eher schlecht. Man sieht, und das ist, glaube ich auch die Hauptbotschaft des Films, dass die Profitinteressen immens stark sind. Man versucht, durch moralischen Druck und Diplomatie etwas zu erreichen. Aber es braucht letztendlich ein paar Vorreiterländer unter den Industriestaaten, aber auch unter den Schwellenländern, die sich Ambitionen setzen. Sonst geht das nicht. Ein solcher „Clubansatz“ wird mittlerweile auch als Ergänzung zur Klimarahmenkonvention diskutiert. Man wird sehen, ob das tatsächlich passiert. Die Uhr tickt weiter, das ist ja auch das dominante Bild im Film. Und eigentlich ist es mittlerweile schon fünf nach zwölf und es geschieht trotzdem nichts. Insofern werde ich selbst auch immer skeptischer.
Ihr Forschungsartikel wurde vom Wall Street Journal für einen Leitartikel herangezogen, in dem Obama und linke demokratische Politik generell kritisiert wurden.
Ja, das Scheitern des Prozesses wird in dem Leitartikel der linken Politik zugeschrieben. Davon haben wir uns sofort distanziert, auch, weil in erster Linie George W. Bushs Rücktritt vom Kyoto-Protokoll den Prozess verlangsamt hat. Dennoch hat mich der Artikel zum Nachdenken darüber gebracht, welche unintendierten Konsequenzen die Forschung – und wohl auch der Film – haben können. Wenn man sich kritisch zu so einem Prozess äußert, kann das auch die Konsequenz haben, dass Leute sagen, dann stellen wir’s halt ein. Und ob der Menschheit damit geholfen ist, ist fraglich.
Wie passt das zu einer Klimakonferenz, dass Tausende Leute aus aller Welt mit Flugzeugen und in Limousinen anreisen?
Das ist eine der Paradoxien, die dem Ganzen innewohnen. Das erzeugt immens viele Emissionen. Ich habe dort aber auch sehr, sehr viele Leute getroffen, die dezidiert nur mit der Bahn anreisen. Das geht natürlich nicht immer, aber viele versuchen schon zu leben, was sie predigen. In der Wissenschaft ist das ähnlich: Wir diskutieren über unsere Artikel zum Thema Nachhaltigkeit auf internationalen Konferenzen, wo wir alle hinfliegen. Man muss intensiv darüber nachdenken, ob es nicht auch andere Wege gibt wie Videokonferenzen oder ähnliches.
Filmemacher Filip Antoni Malinowski sagt, er versuche sich seit dem Filmprojekt anders zu ernähren, weniger einzukaufen und sich die schönen Länder anzuschauen, die es bald nicht mehr geben wird. Welche Konsequenzen ziehen Sie persönlich aus der Beschäftigung mit dem Thema?
Zunächst die Konsequenz, selbst nachhaltiger zu leben: Fahrrad zu fahren, wo es möglich ist, den Fleischkonsum einzuschränken usw. Aber schon die Familie bringt Einschränkungen, weil es etwa schwierig ist, vegan zu leben, wenn Kinder und Partner gerne Milch trinken oder Fleisch essen. Und natürlich reicht das individuelle Handeln nicht aus, um den großen Umschwung herzustellen. Eigentlich ist die Konsequenz, die man daraus ziehen muss, politisch aktiv zu werden und sich kollektiver zu organisieren.
Eine Option für Sie?
Ich versuche, meinen Ansprüchen über meinen Beruf gerecht zu werden: indem ich zu diesen Themen forsche und sie auch in der Lehre unterbringe. Ich beschäftige mich ja nicht nur mit ökologischer, sondern auch mit sozialer Nachhaltigkeit: beispielsweise Arbeitsrechte, Menschenrechte usw. So will ich meinen kleinen Beitrag leisten.