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Die Flucht nach vorn

Weil Google, Facebook & Co. wachsende Milliardengewinne schreiben, in Europa aber kaum Steuern zahlen, werden die Rufe nach einer „Digitalsteuer“ immer lauter. Diese Sehnsucht könnte allerdings unser komplettes Steuersystem nachhaltig umwälzen. Eine Spurensuche.

Von MARKUS ZOTTLER

Ein Geldkoffer als Symbol für Steuerflucht
Foto: iStock

Seit langer Zeit gilt das „Double Irish with a Dutch Sandwich“ als festliche Hauptmahlzeit für wahre Feinschmecker. Zumindest für all jene, die sich lieber mit Steuerrecht als mit Schinkenrollen beschäftigen. Das Sandwich steht nämlich für eine komplexe Firmenkonstruktion, deren vorrangigstes Ziel es ist, die effektive Steuerlast in Europa so gering wie möglich zu halten.

Dafür schleust ein Unternehmen Gewinne in Form von Lizenzgebühren für Patente aus Irland zu einer holländischen Briefkastenfirma, bevor sie wieder zurück zu einer zweiten irischen Gesellschaft desselben Unternehmens wandern. Diese Firma hat den Steuersitz aber nicht in Irland, sondern beispielsweise auf den Bermudas. Eine Gegend, die nicht nur für 360 Koralleninseln bekannt ist, sondern auch für ein besonders geringes Interesse an Unternehmensbesteuerung. Eine sogenannte „Steueroase“ also.

Einigen großen Firmen, viele davon mit digitalem Produktfokus und in den USA beheimatet, gelang die spektakuläre Zirkulation geraume Zeit besonders gut. 20 Milliarden Euro etwa soll Google-Mutter Alphabet im Jahr 2017 auf diese Weise dem Zugriff der europäischen Steuerbehörden vorenthalten haben, wie aus Dokumenten der niederländischen Handelskammer hervorgeht. Um vier Milliarden mehr als noch im Jahr zuvor. So weit, so gut.

Warum diese zugegebenermaßen ausschweifende Einleitung? Nun, die Geschichte kennt eine Fortsetzung. Mittlerweile ist derlei legale Steuervermeidung nämlich gar nicht mehr so einfach möglich. Was verhältnismäßig wenig öffentliche Aufmerksamkeit genießt: Schon seit 2015 untersagt etwa die irische Regierung nach intensiven Druckphasen von EU und OECD einige der entscheidenden Vermeidungsmechanismen für Neulinge.

So müssen heute alle in Irland registrierten Firmen auch ihren Steuersitz in Irland haben. Selbst für bereits bestehende Modelle wurde eine – sehr großzügige – Auslauffrist bis Ende 2020 festgezurrt. Die OECD, eine internationale Organisation mit 36 global breit verstreuten Mitgliedsstaaten und vielen weiteren Netzwerkpartnern, wiederum hat im Rahmen des sogenannten BEPS-Projektes 15 Maßnahmen entwickelt, um Steuerverkürzung und Gewinnverlagerung von multinationalen Unternehmen etwas zu entgegnen. Die Umsetzung ist auch in Europa voll im Gange, ein besonderes Auge gilt dabei – richtig geraten – den Betrieben der „digitalen Wirtschaft“. Genauer beäugt werden vor allem Tochterfirmen, die nun klar darstellen müssen, auch tatsächlich operativ tätig zu sein. Zum Nachweis gehören fortan Manager oder beschäftigte Verkäufer. Nicht zuletzt arbeiten Fiskalbehörden intensiver zusammen und tauschen Datenmaterial regelmäßiger aus.

Körperschaftssteuer wird kaum bezahlt

Weil aber gut Ding bekanntermaßen Weile braucht, zahlen noch immer viele große Digitalkonzerne verhältnismäßig wenig Steuern in Europa.

So würden Internetfirmen wie Facebook, Google, Amazon & Co trotz enormer Umsätze und Gewinne in der EU durchschnittlich weniger als zehn Prozent Körperschaftssteuer zahlen, schreibt etwa der Steuerrechtsexperte Alexander Rust, während für traditionelle Unternehmen mehr als das Doppelte anfalle.

Deswegen dreht sich auch die öffentliche Diskussion weiter und das ungenaue, aber eingängige Schlagwort einer „Digitalsteuer“ ist in Zeiten wie diesen auf dem besten Wege, massentauglich zu werden. Warum, scheint klar.

Es ist das Duell David gegen Goliath, das Politiker wie auch ihre Wähler in den Bann zieht.

In Erinnerung ist nicht nur Österreichs Ex-Kanzler Christian Kern, der in Hinblick auf einen multinationalen Kaffeegiganten medienwirksam feststellte, dass „jeder Würstelstand, jedes Kaffeehaus mehr Steuern als Starbucks & Co. zahlt“.

Und selbst wenn es nun tatsächlich, wie eingangs kurz skizziert, gelingen sollte, Steuerflucht in großem Ausmaß zu vereiteln, so gilt es immer noch, die herausfordernde Frage zu beantworten, wer denn die digitalen Vorzeigekonzerne tatsächlich wo besteuern sollte.

„Man muss die Frage der Steuervermeidung von der Frage der Verteilung des Besteuerungskuchens trennen“, erklärt auch Michael Tumpel, der an der Linzer Johannes Kepler Universität das Institut für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre leitet und seit geraumer Zeit am Themenkomplex rund um potenzielle Digitalsteuern forscht. Aktuell beobachtet der Wissenschaftler, wie in Europa diesbezüglich erst einmal Wege des geringsten Widerstands eingeschlagen werden.

Österreich prescht mit digitaler Werbeabgabe vor

Der einfachste und am schnellsten zu realisierende Ansatz ist es nämlich, bestimmte digitale Umsätze zu besteuern. Weil EU-weit die Bemühungen für eine große, systemische Digitalsteuer – ob der Initialen der vier US-amerikanischen IT-Riesen Google, Amazon, Facebook und Apple gerne „Gafa-Steuer“ genannt– vorerst scheiterten, nehmen zusehends Nationalstaaten das Heft in die Hand. Und zwar anhand von Übergangslösungen, die kurzfristige Steuereinnahmen garantieren sollen.

Frankreich will diesbezüglich im Frühjahr ein entsprechendes Gesetz verabschieden, ebenfalls mit einem Alleingang liebäugelt die aktuelle österreichische Regierung. Bald könnte hierzulande eine „Digitalkonzernsteuer auf Online-Werbung“ für erste Bewegung sorgen.

Die Steuer soll drei Prozent des Online-Werbeumsatzes ausmachen, vorausgesetzt, der Konzern setzt weltweit zumindest 750 Millionen Euro um und davon zehn Millionen in Österreich. So soll verhindert werden, dass die Abgabe kleinere oder gar heimische Unternehmen trifft. Als Starttermin wird in Regierungskreisen spätestens das Jahr 2020 genannt, bringen soll die neue Abgabe dem Fiskus jährlich 200 Millionen Euro.

Was auffällt: Selbst bei dieser stark abgespeckten Form der Digitalsteuer schwingt ein hohes Maß an Unsicherheit mit. Einer der Einwände: Nicht immer werde eine Steuer schlussendlich auch von jenen gezahlt, die sie eigentlich tragen sollten. „Internetkonzerne wie Google oder Facebook werden diese Steuer nicht selbst zahlen“, mutmaßt etwa Matthias Benz von der „Neuen Zürcher Zeitung“ mit Blick auf die österreichische Lösung. Die „Google-Steuer“ würde deshalb „ebenso wenig automatisch von Google geschultert, wie die Hundesteuer von Hunden gezahlt wird.“

Vielmehr rechnet Benz mit einer Überwälzung auf Konsumenten. „Wer tatsächlich Steuerträger ist, hängt letztlich von der Elastizität der Nachfrage ab“, fügt auch Michael Tumpel ein Fragezeichen zur österreichischen Lösung hinzu. Außerdem betrifft die Steuer zwar möglicherweise Google und Facebook, nicht aber Konzerne wie Airbnb, Uber oder Amazon, die sich nicht in erster Linie über Werbeumsätze finanzieren.

Gleichzeitig beginnt auch durch Österreichs Umtriebigkeit eine steuerrechtliche Diskussion weiter an Fahrt aufzunehmen, die deutlich über die Dimension einer erweiterten Werbeabgabe hinausgeht. Es steht nicht nur eine neue Steuer im Raum, es geht um ein gänzlich anderes Steuersystem. Eines, das nicht mehr auf die Produktion von Waren oder die Schaffung von Dienstleistungen fokussiert, sondern auf deren Konsum. Aber alles der Reihe nach.

Besteuert wird – noch – dort, wo eine Betriebsstätte ist

Eigentlich gilt im internationalen Steuersystem der Grundsatz, Unternehmen nur dort zu besteuern, wo diese mit einer Betriebsstätte physisch präsent sind. Schon die Richtlinienvorschläge der EU-Kommission verlassen den Kurs. Neben den bereits skizzierten Übergangslösungen tüftelt Brüssel auch an einer Reform der Körperschaftssteuervorschriften. Um zum ursprünglichen Ziel einer Gewinnbesteuerung der Digitalkonzerne zurückkehren zu können, schlägt die Kommission langfristig die Einführung einer „digitalen Präsenz“ vor.

Geläufiger ist der Begriff einer „virtuellen Betriebsstätte.“ Eine „veränderte Politik“ ortet diesbezüglich Michael Tumpel. Bisher sei die Idee gewesen: „Industriestaaten entwickeln die Technologie, andere Staaten nutzen sie, man will ihnen dafür aber kein Besteuerungsgut zukommen lassen“. Und jetzt sage man plötzlich, dass „die digitale Präsenz, also der Marktzugang am Ende des Tages, einen Anknüpfungspunkt für die Besteuerung darstellt. Und das sollte man sich zunächst einmal gut überlegen, ob man das wirklich möchte“, fügt der Wissenschaftler an.

Aus „Gleichbehandlungsgründen“ würde eine wirkliche Digitalsteuer auf lange Sicht dazu führen, auch traditionelle Firmen im Staat der Verbraucher zu besteuern, ohne dass diese Unternehmen in diesem Staat über eine physische Präsenz verfügen, warnt auch Alexander Rust. Er prognostiziert eine „komplette Umstellung“ der gesamten Regeln des internationalen Steuerrechts. „Chinesen, Inder und Brasilianer ärgern sich schon lange, dass die Konzerne, die bei ihnen Autos verkaufen, die Gewinne, die sie damit machen, zum größten Teil woanders versteuern. Sie warten nur auf eine Gelegenheit, sich vom Grundsatz zu verabschieden, dass dort besteuert wird, wo der Sitz der Wertschöpfung ist“, schreibt auch die deutsche „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und kommt zum Schluss: „Deutschland hat als Exportland viel zu verlieren.“ Gleiches gilt übrigens auch für viele andere europäische Staaten, darunter Österreich.

Die Systemlösung und der schnelle Wahlerfolg

Wie auch immer sich die Diskussion um eine Digitalsteuer also weiterdreht, so ist gewiss, dass für Europa viel auf dem Spiel steht. Während die Wissenschaft eine „Systemlösung“, am besten unter dem Dach der internationalen OECD, befürwortet, wollen viele Nationalstaaten politisch schnell verwertbare Alleingänge realisieren.

Das Spannungsfeld ist enorm, kann aber auch befruchtende Wirkung entfachen. Zumindest wenn es tatsächlich nachhaltig gelingen sollte, dass digitalen Unternehmensschwergewichten irgendwann nicht nur der Gusto auf das „Double Irish with a Dutch Sandwich“ vergehen sollte, sondern auch deren grundsätzliches Interesse an aggressiver Steuervermeidung schwindet.