Schuhe gibt es in verschiedenen Farben, Formen und Größen. Damit für jeden etwas dabei ist. Warum soll das bei Wissen und Wissenschaft anders sein? Mit ihrem bunten Angebot für Kinder, unter anderem dem „Zirkus des Wissens“ und der bald erscheinenden dritten Ausgabe des „Tribünchens“, hat sich die JKU Linz genau diesem Gedanken verschrieben: Wissenschaft spannend zu machen. Weil jedes Kind das Recht auf Wissen und Erkenntnis hat.
Es war einmal ein kleiner Bub, der hat in der Bücherei ein Buch mit Anleitungen zu Versuchen entdeckt. Diese Versuche sollten spielerisch Physik und Chemie erlebbar machen. Er hat alle Versuche ausprobiert, von vorne bis hinten. Manche sind geglückt, manche sind schiefgegangen, bei einigen hat er sich geärgert, weil die Anleitung nicht funktioniert hat.
Wenn ihr nun denkt, aus dem Buben wäre später ein begeisterter Physiker oder Chemiker geworden, muss ich euch enttäuschen. Dieser Bub war ich und heute bin ich Schriftsteller. Trotzdem haben Bücher und Experimentierkästen tiefe Spuren in mir hinterlassen und eine Begeisterung für das Ausprobieren und Entdecken geweckt, die niemals erloschen ist.
Jahre später, als ich auf der Suche nach neuen Konzepten für Kinder-Fernsehsendungen war, habe ich in meiner eigenen Kindheit geschöpft und beschlossen, Naturwissenschaften durch Experimente, die mit einfachen Mitteln durchgeführt werden konnten, erlebbar zu machen.
Das war die Grundidee der Sendung „Forscherexpress“.
Einige Beispiele für Themen: Mithilfe einer Toilettenpapierrolle das physikalische Gesetz der Trägheit erkennen. Zieht man schnell daran, so reißt man nur ein Blatt ab. Die Rolle will in Ruhelage bleiben. Zieht man langsam daran, so setzt sich die Rolle in Drehung und wir können ein großes Stück abrollen.
Die zersetzende Kraft der Essigsäure am Beispiel eines Hühnereis vorführen, das auf diese Weise roh geschält werden kann. Das Ei über Nacht in Essig einlegen und am nächsten Tag durch die dünne Haut den Dotter sehen können.
Die Oberflächenspannung von Wasser erforschen, indem man eine Stecknadel darauf schwimmen lässt und sie aus nächster Nähe mit der Lupe betrachtet.
Bei allen Erklärungen wurde auf nichtssagende Zahlen und Fremdwörter verzichtet. Jedes Gewicht, jede Größe, jedes Alter musste bildlich ausgedrückt werden. Bei Gewicht war es der Vergleich mit Fahrrädern, Autos oder Elefanten, bei Größen mit Fußballfeldern, Handtüchern und Schulheften. Bei Jahreszahlen, wenn sie schon sehr lange zurücklagen, mit Generationen.
Der Wiener Stephansdom wurde im Jahr 1150 erbaut. Oder besser ausgedrückt: Als deine Ur-ur-ur-ur-ur-ur-ur-ur-ur-ur-urur- ur-ur-ur-ur-ur-ur-ur-ur-ur-ur-urur- ur-ur-ur-ur-ur-ur-ur-ur-ur-urur- ur-ur-ur-ur-ur-Großmutter lebte. Allein für die vielen Urs braucht man zum gründlichen Aussprechen schon fast eine halbe Minute.
Der Dom selbst hat ein errechnetes Gewicht von 35.000 Tonnen. Das entspricht dem Gewicht von 10.000 Elefanten, die gemeinsam so ziemlich alle Gassen und Plätze des ersten Bezirks in Wien verstopfen würden.
Aufgrund der Enttäuschung meiner Kindheit, dass die Anleitungen für manche Experimente nicht korrekt waren, wurden alle Versuche von einem kleinen Team erprobt. Nur die besten Experimente, die „Geling-Garantie“ hatten, kamen in die Sendung. Die Anleitungen waren sehr präzise. Bereits bei den Dreharbeiten war das Staunen der Kameraleute über die verschiedenen Versuche und Erklärungen groß. Bei der Zielgruppe Kinder erreichte diese Wissenssendung Spitzenwerte an Einschaltquote. Bei den erwachsenen Zusehern aber auch.
Viele Erwachsene haben die Rückmeldung gegeben, zum ersten Mal in ihrem Leben Physik und Chemie zu verstehen. Fast 100 Folgen „Forscherexpress“ haben wir von 2004 bis 2008 produziert. Meine Kollegin Kati Bello- witsch, mit der ich die Sendung präsentiert habe, war für viele Mädchen ein Vorbild in ihrer Freude und ihrem Interesse an den Themengebieten.
Im Jahr 2017 habe ich eine erwachsene Fortsetzung meiner Kinderbuchserie „Knickerbockerbande“ herausgebracht und bin dafür auf eine Tour durch ganz Österreich gegangen. Die Veranstaltungen wurden von jungen Erwachsenen regelrecht gestürmt. Nach den Lesungen gab es immer eine Autogrammstunde und die Gelegenheit für gemeinsame Fotos. Dabei habe ich von einigen Leuten einen wunderbaren Satz gehört, der zeigt, was frühe Begeisterung für ein Thema bei Kindern auslösen kann.
Menschen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren haben mir erzählt: „In meiner Kindheit habe ich so gerne ‚Forscherexpress‘ angesehen, deshalb studiere ich heute Physik/Chemie/ Mathematik/etc.“
Als ich die Sendung geschrieben und gedreht habe, war mir niemals bewusst, welche Wirkung sie auf Kinder haben kann. Die frühe Begeisterung ist wie Blumensamen, der Boden muss natürlich fruchtbar sein. Niemand kann zu Interesse gezwungen werden. Verlocken, Lust darauf machen, Türen öffnen – darauf kommt es an.
Dabei ist aber nicht nur das Vermitteln von Wissen wichtig, sondern auch die Förderung des eigenen Entdeckens. Erwachsenen sei aber geraten, dabei einen großen Schritt zurück zu machen. Das folgende Beispiel soll erklären, was ich damit meine:
Ein Physikprofessor, der an einer Universität unterrichtet, wollte seine fünfjährige Tochter beeindrucken. Also hat er ihr eine Schüssel Wasser hingestellt und eines der großen Wunder der Physik angekündigt.
Er nahm Stecknadeln und warf sie ins Wasser, wo sie natürlich sofort untergingen. „Was muss geschehen, damit eine Nadel schwimmt?“, wollte er von seiner Tochter wissen. Sie überlegte kurz, fand aber keine Lösung. Also erklärte er: „Die Nadel muss waagerecht auf das Wasser gelegt werden, dann trägt sie die Oberflächenspannung.“ Er überreichte ihr Nadeln und forderte sie auf, das zu versuchen. Kein Mensch schafft es aber, eine Nadel so auf die Wasseroberfläche zu legen, dass sie schwimmt. Keine Hand ist ruhig genug. Der Trick besteht darin, die Nadel auf ein Stückchen Küchenrolle oder Löschpapier zu legen. Das Ganze wird auf das Wasser gelegt, das Papier saugt sich voll und geht unter, die Nadel aber liegt auf der Wasseroberfläche, getragen von der Oberflächenspannung.
Der kluge Professor wollte schon die vorbereiteten Papierstückchen hervorholen, als seine Tochter die Schüssel mit Wasser nahm und wegging. Er lief ihr nach und wollte wissen, was sie vorhatte. „Ich weiß, wie es geht“, erklärte sie. „Ich friere das Wasser jetzt ein. Dann lege ich die Nadeln auf das Eis und lass es wieder auftauen. Dann müssen sie schwimmen.“ Ihrem Vater fehlten die Worte.
Vor vielen Jahren haben mich sehr engagierte und innovative Physik- und Chemielehrer gebeten, sie bei der Gestaltung neuer Lehrbücher zu beraten und zu unterstützen, in denen großer Wert auf das Erleben und Entdecken des Stoffes gelegt wurde. Die Bücher haben deshalb auch den Titel „Physik (bzw. Chemie) erleben“ getragen und sind sehr unterschiedlich vom Lehrpersonal angenommen worden. Aus den Schulen kamen Berichte, dass Kinder ohne Aufforderung von allein das Material für die nächste Stunde mitgebracht haben, da sie aus Interesse weitergeblättert hatten. Andere aber haben das Buch als Micky-Maus-Physik abgelehnt und „strengere“ Bücher bevorzugt.
Aber ist es nicht das Beste, das einem Schulbuch passieren kann, dass es von Kindern gerne gelesen wird und Begeisterung auslöst? Das war bei diesen Büchern ohne Zweifel der Fall. Wer Kinder für ein Thema begeistern will, der muss ihnen mit großem Respekt begegnen und den Anknüpfungspunkt immer in ihrer Welt suchen. Verblüffende Experimente sind ein großartiger Weg für erste Begegnungen, die später im Leben zu viel mehr führen können. Das Erleben von Naturwissenschaften auf eine Weise, die nicht belehrender Unterricht von oben herab, sondern eine begeisternde Vorführung auf Augenhöhe ist, kann der Funken sein, der ein viel größeres Interesse entzündet.
Das Motto lautet: Einladen und nicht aufzwingen. Die persönliche Leidenschaft an einem Beruf oder einem Themenbereich sollte man Kindern anbieten, damit sie – wenn sie daran Geschmack finden – zugreifen können. Begeisterung vorzuleben ist heute mehr als je zuvor ein wesentliches Leitbild, das Kindern später zu einem erfüllten Leben verhelfen kann.