Viele sagen ja, dass die Corona-Pandemie nur eine Übung ist, ein fire drill für die Klimakrise, vor der Wissenschaftler* innen seit Jahrzehnten warnen. Die Corona- und die Klimakrise sind in vielerlei Hinsicht eng miteinander verwoben. Sie sind verursacht durch ein extraktives Wirtschaftsmodell, in das die Ausbeutung von Mensch und Natur nicht eingepreist ist. Sie münden in eine immer größer werdende Ungleichheit, in der sich ausgerechnet die Profiteure dieses Wirtschaftsmodells am ehesten vor seinen destruktiven Folgen retten können. Und sie werden ähnlich bearbeitet: Gefüttert von Falschinformationen einflussreicher libertärer Lobbygruppen wie dem „American Institute for Economic Research“, welches die umstrittene „Great Barrington Declaration“ mit ihrer wissenschaftlich zweifelhaften Idee der natürlichen Herdenimmunität unterstützt hat und auch regelmäßig den Klimawandel leugnet, wenden sich „Wutbürger* innen“ und „Querdenker*innen“ gegen Wissenschaft und Politik. Die Politik selbst ist angesichts dieser Spaltung zunehmend verunsichert, handelt halbherzig und eigentlich immer zu spät. Nicht umsonst spricht der Zeit-Redakteur Bernd Ulrich von einer pandemischen Phase, in die die Menschheit schlittert: Selbst eine Impfung wird uns nicht retten.
Wie jede Krise eröffnet auch die Corona-Krise die Möglichkeit eines grundlegenden Wandels. Waren am Anfang der Pandemie noch die Hoffnungen groß, dass die Krise zum Umbau unserer Wirtschaft und Gesellschaft hin zu nachhaltigen Geschäftsmodellen und fairer Bezahlung genutzt werden würde, so wachsen jetzt die Zweifel an der Handlungsfähigkeit von Nationalstaaten, an supranationalen Institutionen und an der solidarischen Haltung jedes Einzelnen. Zu offensichtlich werden die Missstände und Prioritäten: Shoppen, Skifahren, „Schau auf mich“ statt „Schau auf dich“. Blicken wir hundert Jahre zurück, so sehen wir, dass die Weltwirtschaftskrise in den USA zwar den Roosevelt’schen „New Deal“ hervorgebracht hat, in Europa aber den Faschismus und den Nationalsozialismus. Und heute?
Für einen „Green New Deal“ braucht es eine starke Staatengemeinschaft, die sich traut, auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse ihren Bürger*innen etwas zuzumuten. Doch genau das wird von den „Wutbürger*innen“ von rechts und den neuen „Querdenker* innen“, die eher aus dem links-alternativen Milieu kommen, aber, wie eine Erhebung des Baseler Soziologen Oliver Nachtwey zeigt, eine offene rechte Flanke haben, abgelehnt. Unter diesen Gruppierungen formt sich eine neue Solidarität des Dagegenseins, für die aktuell das Maskenverweigern zum gemeinsamen Symbol geworden ist. Eine gefährliche Melange, die Nachtwey als erste „postmoderne Bewegung“ bezeichnet: Statt Wissenschaft zählen Fake News, alternative Fakten und Intuition. Dabei gibt es kaum inhaltliche Kohärenz; gemeinsam bleibt die Ablehnung der parlamentarischen Demokratie, der Medien und der etablierten Wissenschaft.
Paradoxerweise wird durch dieses Chaos das Entstehen autoritärer Regime, vor denen „Querdenker*innen“ und „Wutbürger*innen“ selbst so laut warnen, nur umso wahrscheinlicher. Liegt hierin die Basis für eine positive Wendung, für eine neue Solidarität? Wir müssen es, im Hinblick auf die beiden historischen Alternativen, dringend versuchen. Die Politik muss ihren Beitrag leisten, sich von der Postdemokratie der Partikularinteressen ab- und dem Gemeinwohl wieder zuwenden, Wert- über Zweckrationalität stellen. Die Bürger*innen hingegen müssen sich darauf einlassen, dass die Freiheit ihre Grenzen haben muss. Die Redefreiheit hört bei der Lüge auf. Wissenschaftliche Erkenntnisse – deren Limitationen im Sinne einer guten wissenschaftlichen Praxis inhärent sind und transparent mitdiskutiert werden – dürfen nicht durch Meinungen und Gefühle ersetzt werden. Was der Ökologe Garrett Hardin bereits 1968 als Tragik der Allmende erkannt hat, ist heute nach wie vor gültig: „Freedom in a commons brings ruin to all.“ In einer Welt, in der alles verhandelbar und relativ ist, kann es kaum eine andere Solidarität als die des Dagegenseins geben. In einer Welt hingegen, in der mehr Teilhabe und Mitbestimmung möglich ist, kann auf Basis fester Grundwerte und Grundprinzipien auch ein „New Deal“ entstehen. Selbstverständlich müssen sich zuallererst auch die verantwortlichen Politiker*innen selbst an diesen Grundwerten orientieren.