Das Ars Electronica Festival am JKU Campus Linz steht in diesem Jahr unter dem Motto „Welcome to Planet B“. Irgendwo da draußen muss es ihn doch geben. Wo genau er sich befindet, weiß man noch nicht. Wie man dort jemals hinkommen könnte, ist auch noch nicht klar. Doch der Blick über den Planeten A hinaus eröffnet neue Perspektiven auf die Erde selbst.
Was jetzt? Haben wir einen Planeten B oder nicht? Vielleicht sollte man dazu die Astronomie befragen, die ist ja immerhin zuständig für Planeten. Also verschaffen wir uns einen kurzen Überblick über das Universum: Was ist da eigentlich alles dort draußen? Und lässt sich irgendwo ein Planet B finden oder nicht? Die gute Nachricht lautet: Das Universum ist sehr, sehr groß und darin gibt es sehr, sehr viel. Die schlechte Nachricht: Das Allermeiste davon ist Nichts.
Wir haben aber auf jeden Fall einen Planeten A, unsere Erde. Die umkreist die Sonne, zusammen mit sieben anderen Planeten. Die Planeten werden von insgesamt gut 200 Monden umkreist, und ein paar Billionen Asteroiden und Kometen bewegen sich auch noch um die Sonne herum, unseren Heimatstern. Alles zusammen ist das „Sonnensystem“ und auch wenn uns das schon ziemlich groß vorkommt, ist es doch nur ein unvorstellbar winziger Teil des gesamten Kosmos.
Das Sonnensystem durchmisst ein bis zwei Lichtjahre; der uns nächstgelegene andere Stern – Proxima Centauri – ist aber schon gut vier Lichtjahre entfernt. Es ist also ein weiter Weg bis zu unserem unmittelbaren Nachbarstern und dann haben wir immer noch die komplette Milchstraße vor uns. So heißt die Galaxie, in der sich die Sonne und Proxima Centauri befinden, zusammen mit ein paar hundert Milliarden anderer Sterne. Sie alle bilden eine scheibenförmige Struktur mit einem Durchmesser von 100.000 bis 150.000 Lichtjahren.
Und wir stehen immer noch am Anfang: Unsere Milchstraße ist nur eine von unzähligen Galaxien im Universum. Sie bildet zusammen mit der 2,5 Millionen Lichtjahre entfernten Andromedagalaxie und ein paar Dutzend kleineren Galaxien die „Lokale Gruppe“, wie der etwas unoriginelle, aber trotzdem offizielle Name für den Galaxienhaufen lautet, dessen Teil wir sind. Und auch die Galaxienhaufen bilden noch größere Strukturen; sie finden sich zu „Superhaufen“ (auch das eine offizielle Bezeichnung in der Astronomie) zusammen, und der, zu dem wir gehören, wird „Virgo-Superhaufen“ genannt. Er hat einen Durchmesser von gut 200 Millionen Lichtjahren und enthält an die 200 Galaxienhaufen, die selbst wieder aus Hunderten Galaxien bestehen, in denen sich Milliarden von Sternen befinden.
Einmal durch das große Nichts
Und wer denkt, dass das ja alles ziemlich groß und unvorstellbar ist, hat durchaus recht. Das Universum ist da aber noch lange nicht zu Ende. Denn auch die Superhaufen finden sich zu übergeordneten Strukturen zusammen, „Super-Superhaufen“ quasi. Der, zu dem wir gehören, trägt den Namen „Laniakea“, was aus dem Hawaiischen stammt und so viel bedeutet wie „unermesslicher Himmel“. Keine ganz falsche Bezeichnung, immerhin ist diese Ansammlung von Galaxienhaufen 520 Millionen Lichtjahre groß und besteht aus ungefähr 100.000 Galaxien.
Absolut korrekt ist der Name „Laniakea“ aber auch nicht, denn so unermesslich dieses gigantische Objekt uns auch erscheinen mag, es ist bei weitem nicht alleine im Universum. Unzählige Superhaufen bilden lange, fadenartige Strukturen, die den gesamten Kosmos durchziehen. Auf den größten Skalen zeigt das Universum eine wabenartige Struktur, wie ein Bienenstock. Oder ein Stück Käse, wenn einem dieser Vergleich lieber ist. Allerdings mit unvorstellbar großen Löchern; denn die Filamente umschließen „Voids“, enorme Regionen des Universums, die Durchmesser von mehr als einer Milliarde Lichtjahren haben können und so gut wie komplett leer sind.
Das Universum besteht also vor allem aus Nichts, das von absurd langen „Fäden“ umschlossen wird, die aus unvorstellbar vielen Galaxien gebildet werden. Und auch wenn das Nichts sehr deutlich in der Überzahl ist, sind die Abermilliarden von Sternen in diesen Galaxien ja durchaus auch etwas. Wir wissen, dass die allermeisten Sterne von Planeten umkreist werden. Irgendwo da draußen in diesem gigantischen Kosmos muss es ja wohl einen Planeten B geben. Und einen Planeten C, D, E und so weiter. Wir können davon ausgehen, dass die Erde nicht der einzige Himmelskörper im Weltall ist, der lebensfreundliche Bedingungen bietet. Aber auch wenn da draußen im fernen Kosmos noch so viele Planeten B existieren, hilft uns das auf unserem Planeten A leider wenig.
Denn: Wie hinkommen? Auf jeden Fall nicht mit dem Auto, und der ÖPNV ist abseits der Erde auch eher schlecht ausgebaut. Planet B ist, wenn er denn existiert, auf jeden Fall sehr weit weg. Die restlichen Planeten in unserem eigenen Sonnensystem kennen wir schon; da können wir nirgendwo leben. Also müssen wir hinaus in die Galaxie und das ist ein langer Weg. Natürlich könnten wir uns ein Raumschiff bauen, um dorthin zu fliegen. Aber das wäre mindestens Jahrtausende unterwegs bis zum nächsten Stern; wir könnten dort zwar einsteigen, die Ankunft würden aber erst unsere Vielfach-Urenkelkinder erleben. Das ist eher unrealistisch; wir ärgern uns ja schon, wenn der Zug ein paar Minuten Verspätung hat. Was sollen wir da mit einem Verkehrsmittel anfangen, in dem wir bis zu unserem Tod mitfahren müssen und in dem es nach den ersten paar Tagen nicht mal mehr vernünftiges WLAN gibt? Wenn schon Planet B, dann wollen wir jetzt gleich dorthin. Und wenn schon Science-Fiction mit Generationenraumschiffen, warum nicht richtig: Können wir uns nicht einfach auf den Planeten B hinbeamen, so wie beim Raumschiff Enterprise?
Der Traum vom Beamen
Eher nicht, meint Professor Andreas Ney, Leiter der Abteilung für Festkörperphysik an der JKU Linz. Das Problem ist die große Anzahl an Atomen, aus denen so ein menschlicher Körper besteht. Beim Beamen wird ja – so die „Theorie“ der Science-Fiction- Serien – die Materie eines Menschen zuerst komplett vermessen, sämtliche Teilchen, die so einen Körper ausmachen, werden irgendwie in Energie umgewandelt und an einen Ort gebeamt, wo sie dann originalgetreu wieder aufgebaut werden. Nur reicht es noch nicht einmal aus, wenn man nur die Positionen aller Atome genau aufzeichnet. „Man müsste, damit die chemischen Bindungen auch wieder richtig rauskommen, sogar alle Kerne und Elektronen separat berücksichtigen und dann für jedes dieser Teilchen die genauen Koordinaten zu einem Zeitpunkt kennen und sie dann an einem anderen Ort genau zu exakt der identischen Zeit wieder ‚materialisieren‘“, sagt Professor Ney.
Er rechnet vor, dass man die komplette Computerleistung der gesamten Welt braucht, und zwar synchronisiert verfügbar und in einem Sekundenbruchteil an einem Ort vorhanden, um all die für das Beamen eines einzigen Menschen notwendigen Informationen zu speichern. Und das würde auch nur dann reichen, wenn dieser Mensch maximal 75 Gramm wiegt. Die meisten Menschen sind dann aber doch ein wenig schwerer und vor allem gibt es recht viele von uns. Wenn wir alle auf den Planeten B gebeamt werden wollen, dann müssten wir vermutlich ein paar planetengroße Computer bauen, nur um die Datenverarbeitung zu synchronisieren. Oder, wie Professor Ney sein Fazit zu Weltraumreisen per Beamen formuliert: „No way out. Keine noch so geringe Wahrscheinlichkeit.“
Der Planet B bleibt außer Reichweite. Wir sind hier, wir bleiben hier und wenn wir eine bessere Welt haben wollen, dann können wir nicht einfach hinfliegen, sondern müssen sie hier auf der Erde finden. Und vielleicht wartet sie ja im Inneren eines Computers auf uns.
Ein virtueller Planet ist reizvoll, aber auch keine Lösung
Wenn die echte Welt durch die menschengemachte Klimakrise immer lebensfeindlicher wird, können wir uns ja vielleicht in eine virtuelle Welt flüchten? Die Reduktion von CO2-Emissionen wäre dort nur Sache eines Tastendrucks. Ein paar Variablen verändert und schon wartet die perfekte Welt auf uns. Professor Uli Meyer, Leiter der Abteilung für Soziologie mit den Schwerpunkten Innovation und Digitalisierung an der JKU, findet die Unterscheidung zwischen realer und virtueller Welt aus soziologischer Perspektive aber wenig sinnvoll: „Die virtuellen Welten sind für die Leute real und oft nicht weniger real als das, was sie im Alltag erleben.“
Tatsächlich gehört Eskapismus für viele Menschen schon immer zum Alltag dazu. Wer sich durch die Lektüre eines Buches kurz aus der Realität ausklinkt, macht im Prinzip das Gleiche wie jemand, der sich eine VR-Brille aufsetzt, um in einer computergenerierten Welt Abenteuer zu erleben, die nur dort erlebt werden können. Für Professor Meyer kommt es aber auf den Grad der Immersion an: „Man erlebt die virtuelle Welt viel intensiver, als das bei einem Buch möglich ist. Technisch ist das Eintauchen in so eine virtuelle Welt potenziell viel intensiver.“
Tut sich da vielleicht doch noch ein Weg auf, um einen Planeten B zu erreichen? Einen virtuellen Planeten B, nicht irgendwo fern im Weltraum? Einen Planeten B, zu dem wir uns nicht beamen müssen und für den wir kein Raumschiff brauchen, sondern nur einen Internetzugang? Professor Meyer hält das für unwahrscheinlich: „Die virtuellen Welten sind in der realen Welt verankert und solche Technologien sind unfassbar energiehungrig. Wenn wir uns alle in solchen hoch rechenintensiven virtuellen Welten bewegen, dann steigern wir das Klimaproblem noch, anstatt es abzuschwächen.“
Ein Planet B im Computer wäre zwar vorstellbar. Aber am Ende sind wir eben doch echte Menschen aus echter Materie. Wir können uns mithilfe der Technik sehr realistisch einbilden, dass wir uns nicht mehr auf der Erde befinden. Aber auch wenn unsere Gedanken dann auf dem Planeten B sind, bleibt unser Körper hier auf der Erde, und wenn die kaputtgeht, reißt sie die virtuellen Welten mit sich.
Außerdem ist ja nicht einmal gesagt, dass wir in unserer künstlichen Welt das finden, was wir suchen. Im Gegensatz zur echten Erde braucht unser Planet B im Computer nämlich sehr wohl einen Schöpfer. Und wenn, wie im Fall der virtuellen Welt „Metaversum“, dieser Schöpfer zum Beispiel „Facebook“ heißt, dann werden wir dort eher keine gesellschaftliche Utopie finden, sondern nur Variationen der existierenden Welt mit noch stärkerer kapitalistischer Ausrichtung: „Zur Flucht aus der realen Welt werden die sich eher wenig eignen“, sagt Professor Meyer, aber vielleicht sollte man den Gedanken an Flucht sowieso verwerfen. Und die virtuellen Welten nutzen, um die Menschen zu motivieren, der echten Welt mehr Aufmerksamkeit zu widmen. In der real wirkenden Fantasie im Inneren des Computers könnten wir erleben, wie komplett andere Welten aussehen könnten. Welten, in denen ganz andere Arten des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umgangs herrschen; in denen wir sehen könnten, wie die Zukunft wäre, wenn wir uns nur ein wenig zusammenreißen.
Der Fokus auf eine bessere Welt
Dass das möglich ist, hält Professor Meyer für eine plausible Annahme, „die große Herausforderung ist aber, wer solche Welten schafft und erlebbar macht“. Wenn Konzerne wie Facebook sie nach ihrer eigenen, wirtschaftlichen Marktlogik strukturieren, ist eher nicht mit echten Alternativwelten zu rechnen. Meyer stellt sich lieber ein Open-Source-Modell vor, einen „Wettstreit von Ideen und Entwürfen und alternativen Welten“, sieht aber auch, dass dafür die Ansätze derzeit noch fehlen.
Dass eine bessere Welt möglich ist, wurde so oft gesagt, dass die Worte mittlerweile hohl klingen. Dass die Welt sich aber durchaus sehr schnell ändern kann, hat uns die Corona-Pandemie sehr deutlich vor Augen geführt. Fast von einem Tag auf den anderen war das Versprechen ewigen Wachstums dahin oder zumindest bis auf weiteres ausgesetzt. Viele Dinge, die bis dahin nicht möglich oder machbar schienen, waren es auf einmal doch. Mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren oder im Home-Office arbeiten, Urlaub auch ohne Fernreisen schön finden, neue Ideen einfach ausprobieren statt aufschieben: Die Pandemie hat uns Verhaltensweisen aufgezwungen, die nicht immer nur negativ waren. Dabei ist eine Pandemie natürlich kein Modell, nach dem wir unsere Zukunft gestalten sollen. Wer würde schon zu einem Planeten B reisen wollen, auf dem dauerhafter Lockdown herrscht? Aber brauchen wir wirklich eine globale Bedrohung durch einen Krankheitserreger, um die Welt nachhaltig zu verändern? Wir Menschen verhalten uns zwar ab und zu durchaus dumm; schlauer als so ein Virus sollten wir aber schon sein.
Am Ende lohnt sich ein letzter Blick hinaus ins Weltall. Das Universum ist faszinierend und es besitzt seine ganz eigene, unmenschliche Schönheit. Wohin wir auch schauen sehen wir fremdartige Welten, aber keine davon ist lebensfreundlich. Der uns so nahe Mond ist eine graue Wildnis aus Staub und Gestein. Die Venus ist bedeckt von einer so dichten Atmosphäre, dass auf ihrer Oberfläche Temperaturen von über 400 Grad herrschen. Der Mars, unser anderer Nachbar im Sonnensystem, ist eine tödlich kalte Eiswüste ohne nennenswerte Atmosphäre. Die Gasriesen Jupiter und Saturn sind wunderschön, bieten aber nirgends auch nur ansatzweise einen Ort, an dem ein Mensch überleben könnte. Über Uranus und Neptun, fern der Sonne, wissen wir noch sehr wenig, aber was wir wissen, reicht aus, um sie als ebenso lebensfeindlich zu erkennen wie den Rest der Himmelskörper im Sonnensystem.
Wenn wir irgendwo anders leben wollen als auf der Erde, dann müssen wir entweder unvorstellbar weit zu anderen Sternen reisen, wozu uns die Mittel fehlen. Oder wir müssen uns in unserem eigenen Sonnensystem künstliche Welten bauen. Auch das ist (noch) Science-Fiction, aber zumindest ein klein wenig realer als Raumschiffe mit Überlichtgeschwindigkeitsantrieb oder das Beamen. Aber eines ist klar: Selbst eine von der Klimakatastrophe gebeutelte Erde ist immer noch sehr viel lebensfreundlicher als jeder andere Himmelskörper im Sonnensystem. Und es wird immer einfacher und billiger für uns sein, uns um die Erde zu kümmern, als anderswo eine neue Welt aus dem Nichts zu errichten.
Aus astronomischer, physikalischer und soziologischer Sicht lässt sich nun also bestätigen: Es gibt keinen Planeten B. Also kümmern wir uns besser um den Planeten A, so lange wir noch können.