Auf dem Weg vom Schwein zum Schnitzel zählt jeder Cent. Der weltweite Fleischkonsum steigt. Verlierer sind Tiere, Produzenten und Konsumenten.
Schweine sammeln Zweige und Stroh, um Nester für ihre Ferkel zu bauen. Sie galoppieren, suhlen sich im Schlamm, brechen im Winter Eis auf, um sich zu pflegen und zu kühlen. Nie würden sie aus freien Stücken im eigenen Kot liegen. Sie sind agil, gesellig, haben starke Mutterinstinkte. Ihre hohe Intelligenz lässt sie voneinander lernen, und Menschen können sie wie Hunde trainieren.
Norbert Hackl beschäftigen die Bedürfnisse der Schweine seit 20 Jahren. Seine Eltern betrieben konventionelle Tiermast, er selbst sattelte auf biologische Landwirtschaft um und entließ seine 600 Schweine ganzjährig in die Freilandhaltung. Mit ihren Ferkeln teilen sie sich eine 300.000 Quadratmeter große Weide, wo sie in ihrer natürlichen Umgebung geschlachtet werden.
Hackl verarbeitet sie vom Schwanz bis zum Rüssel. Gastronomen nehmen ihm nicht nur Edelteile, sondern das ganze Schwein ab. Privatkunden lassen sich das Fleisch unter der Marke Labonca quer durch Österreich gekühlt mit der Post schicken. Hackl wehrt sich dagegen, Tiere zu vermenschlichen. Was in Österreich als artgerechte Tierhaltung verkauft werde, stößt dem Landwirt jedoch bitter auf. Biorichtlinien greifen aus seiner Sicht zu kurz, wie auch Tierwohl-Siegel ihrem Namen nicht gerecht würden. Die Industrie habe das Schwein als gewinnbringende Supersau auserkoren und setze nun alles daran, sie möglichst effizient zu produzieren, resümiert Hackl. „Daran wird sich nichts ändern, solange Konsumenten vorgegaukelt wird, dass Schnitzelfleisch um fünf bis acht Euro das Kilo zu haben ist.“
Die Österreicher verzehren jährlich fünf Millionen Schweine. 7,5 Millionen werden geschlachtet, 2,5 Millionen importiert, verarbeitet und weltweit exportiert. Drei Kilo Futter ergeben ein Kilo Schwein. Sechsmal in ihrem Leben werden Sauen belegt. Jeder Wurf bringt bis zu 15 Ferkel. Die ideale Menge an Koteletts lässt sich an ihrem Körper ablesen. Sie werden ohne Betäubung kastriert, ihre Schwänze kupiert. 220 Tage auf 0,7 Quadratmeter Boden währt das Leben des konventionellen Mastschweins. Es steht auf Spaltböden ohne Einstreu. Den Stall kennt es nur von innen, seine Mutter nur aus dem Kastenstand. Sein erstes Tageslicht sieht es oft erst auf dem Weg zum Schlachthaus. Wer dem Leistungsdruck nicht standhält, wird vorzeitig zu Wurst.
Betriebe wie Labonca zeigten, dass es auch anders geht. Aber dieses Fleisch hat seinen Preis, sagt Anka Lorencz, Chefin der Bundesinnung des Lebensmittelgewerbes der Wirtschaftskammer. Studien zeigten, dass zehn bis 15 Prozent der Konsumenten bereit und finanziell dazu in der Lage seien, Tierwohl höher abzugelten. „Der Rest hätte es zwar gern, zahlt dafür aber nichts. Tiere sollten am besten zu Tode gestreichelt werden – aber nur, wenn es nicht mehr kostet.“
Lorencz sieht Millionen Euro in Biowerbung fließen. Doch der Absatz an biologischem Fleisch bleibe mager. Bei Schweinernem stagniert er auf zwei Prozent. „Daran werden noch so viele sprechende Ferkel nichts ändern.“ Koste Fleisch an der Theke eines Supermarktes weniger als eine Orange, sei was faul am System. An ein Ende der überzogenen Rabatte glaubt Lorencz dennoch nicht. „Der Handel ist in einer Pattsituation. Die Geister, die er rief, wird er so schnell nicht los.“
63 Kilo Fleisch isst ein Österreicher im Schnitt im Jahr, erhob die Statistik Austria. 37 Kilo wiegt der Verbrauch an Schweinefleisch. Zwar konsumieren vor allem jüngere Generationen weniger tierisches Protein. Europaweit belegt Österreich rund um Schnitzel und Würstel jedoch weiterhin einen Spitzenplatz. Und der weltweite Bedarf an Fleisch steigt massiv. Es sind vor allem aufstrebende Wirtschaftsmächte wie China, in denen sich auch die Landbevölkerung nicht mehr mit Reis zufriedengibt. Tierisches Protein spielt bis 2050 eine immer gewichtigere Rolle, prognostiziert die FAO, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen: Wer es sich leisten kann, ernährt sich von Fleisch.
Helmut Dungler, Gründer der Tierschutzorganisation Vier Pfoten, sieht drei Verlierer: „Bauern, die aufgrund massiven Preisdrucks nicht gerecht entlohnt werden. Tiere, die zu Produktionsmitteln degradiert werden. Und Konsumenten, denen etwas vorgespielt wird, das nicht der Wahrheit entspricht. Dieses System ist zum Scheitern verurteilt.“ Landwirte etwa verdienten an Schweinen nicht mehr als vor 20 Jahren. „Österreich hat es nicht geschafft, hier einen eigenen Preis zu etablieren. Die Branche steht mit dem Rücken zur Wand.“
Dungler vermisst in Österreich echte Landwirtschaftspolitik. Man verkaufe sich als Feinkostladen, produziere aber vielfach zu den gleichen Bedingungen wie andere EU-Länder. Konsumenten will er nicht zu viel Verantwortung aufbürden: „Die Welt zu retten darf nicht ihnen überlassen bleiben.“
Denn das Schwein ist Spielball der internationalen Wirtschaft. Im Konzert großer Fleischnationen spielt Österreich die dritte Geige. Deutschland, Holland, Dänemark und Polen dominieren die Branche. Ihre Exportbewegungen bestimmen Angebot und Nachfrage, ihre Preise schlagen ungebremst auf Österreich durch. Werden Schweine in China aufgrund von Seuchen wie der Schweinepest knapp, drehen sich die Handelsströme gen Osten – mit der Folge, dass sich Fleisch auch hierzulande verteuert.
Was lehrt der Blick in die Vergangenheit? In der Jungsteinzeit war das Tier Beute und Nahrungsgrundlage der Jäger und Sammler, erzählt Ernst Langthaler, Experte für Ernährungs- und Agrargeschichte an der Johannes Kepler Universität Linz. Mit dem Übergang zur Landwirtschaft änderte sich das Verhältnis: Das Tier zog den Pflug, wurde zur Energiequelle. Getreide gewann in der Ernährung an Bedeutung, Fleisch wurde rare Ausnahme. Erst die Industrialisierung machte es mit dem Aufstieg des Bürgertums zum Statussymbol. „Es signalisierte Stärke und Wohlstand.“ Ein Massenphänomen wurde der Fleischkonsum in Europa erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts. „Fleisch zu essen wurde leistbar und Ausweis für mittelständischen Lebensstil.“ Mit wachsender Massentierhaltung gingen riesige Monokulturen für die Futtermittelproduktion und damit der Zugriff auf weltweite Ressourcen einher. „Europa deckt seinen Fleischkonsum heute auf Kosten anderer Länder.“ Entscheidend sei, dass Industrieländer es schaffen, den Verbrauch auf ein vernünftiges Maß zu begrenzen, sagt Langthaler. „Wir sollten nicht nur darüber nachdenken, wie wir die Produktion weiter steigern, sondern wie wir den ressourcenintensiven Konsum von Fleisch einbremsen. Das wäre ein wichtiger Beitrag zur Lösung des Welternährungsproblems.“ Fleisch bleibt freilich ein unverzichtbarer Teil der Ernährung, betont Johann Schlederer, Chef der Schweinebörse. „Wo es sich der Mensch leisten kann, will er es haben. Und ist es nicht gut und günstig vorhanden, drohen soziale Spannungen.“ Klar sei es vernünftig, dass die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (englisch: Food and Agriculture Organization of the United Nations, FAO) von mehr als drei Fleischmahlzeiten pro Woche abrate. Doch zwischen Vernunft und Genuss gebe es Diskrepanzen. Dass Nutztiere in Österreichs Ställen leiden, weist er scharf zurück. „Es gibt Gesetze und Vorschriften, die Regeln für Tierschutz werden laufend verbessert, Verstöße sanktioniert.“ Die urbane Bevölkerung hat aus seiner Sicht von Landwirtschaft jedoch wenig Ahnung. „Die Leute glauben ja, der Schinken wächst im Supermarkt.“ Konfrontiere man sie mit realen Produktionsbedingungen, führe die Realitätsverweigerung zu Konflikten. „Viele haben das Bild eines Streichelzoos im Kopf.“ Konsumenten müsse aber bewusst sein, dass Österreich Teil der EU sei und strengere Auflagen den Wettbewerb verzerrten – was Bauern zusehends aus dem Markt dränge.
Karl Schmiedbauer, Chef des Feinkosterzeugers Wiesbauer und Obmann des Verbandes der Fleischwarenindustrie, räumt ein, selbst lange kaum über den Tellerrand geblickt zu haben. „Ich sage es offen: Fleisch war für mich kein Teil eines Tieres, sondern ein Werkstoff, ein Material, das es zu bearbeiten und zu veredeln gilt.“ Doch diese Einstellung habe sich nicht nur bei ihm, sondern auch bei vielen anderen geändert, sagt er. „Tierhaltung sollte so sein, dass wir uns im Spiegel betrachten können. Österreichs Landwirte produzieren vernünftig und herzeigbar, auch wenn sich nicht alles auf einmal verbessern kann.“
Was hat es mit Österreichs Richtlinien zur Nutztierhaltung auf sich? Tierschutz ist im Bundesverfassungsgesetz seit 2014 auf höchster Ebene verankert. Und dieser kann sich auf dem Papier sehen lassen. Das Wohlbefinden der Nutztiere darf nicht beeinträchtigt werden, geht daraus hervor. Platzangebote sind an diesem Maßstab ebenso wie Klima, Luftzufuhr und Temperatur der Ställe auszurichten.
Zivilrechtlich gilt das Tier aber als Sache, erläutert Erika Wagner, Vorstand des Institutes für Umweltrecht der Johannes Kepler Universität. Zwar stehe es unter dem Schutz der Gesetze, in der Praxis nutze ihm das aber wenig. Denn die Tierhaltungsverordnung hebe viele der ihm eingeräumten Rechte wieder auf. „Es ist schön, dass es fortschrittliche Tierschutzstandards gibt“, sagt Wagner und erinnert an das Verbot der Käfighaltung für Legehennen. „Doch vieles, was als verwerflich gilt, ist nach wie vor legal.“ Wagner hält Teile der Tierhaltungsverordnung für gesetzeswidrig. „Sie entsprechen nicht den Vorgaben des Tierschutzgesetzes. Und mit dieser Meinung bin ich als Juristin nicht allein.“
Tierschutzverbänden und Ombudsstellen seien jedoch die Hände gebunden: Ihnen stehe es rechtlich nicht zu, die Verordnung vor dem Verfassungsgerichtshof anzufechten – was aus Wagners Sicht ein Manko ist und geändert gehört. „Der Gesetzgeber könnte ein solches Antragsrecht im Verfassungsrang vorsehen, tut es aber nicht.“ Ändern könnte sich auf jeden Fall die Kultur der Lebensmittelbeschaffung, ist sie überzeugt. Die Johannes Kepler Universität etwa stellt ihre Mensa auf einen Biobetrieb um. Eingekauft wird überwiegend regional. Die Preise bleiben aufgrund einer Subventionierung durch die Universität konstant.
Was das Verhältnis des Menschen zum Tier betrifft, so habe sich in den vergangenen 200 Jahren die Technik dazwischengeschoben, sagt Langthaler. „Haustiere werden verhätschelt, Nutztiere verschwinden hinter der Stalltür als Blackbox.“ Auch der Historiker hält es für fahrlässig, alles auf die Karte eines mündigen Konsumenten zu setzen. Seine Rolle dürfe nicht überschätzt werden, aber an dem wirklichen Hebel zwischen Acker und Teller säßen internationale Konzerne und Regierungen. „Sie dürfen nicht aus ihrer Pflicht entlassen werden.“
Für Herwig Grimm, Tierethiker an der Veterinärmedizinischen Universität Wien, ist Nahrungsmittelproduktion ohne Tierleid Illusion. „Wir können nicht essen, ohne uns schuldig zu machen.“ Die Frage sei, wie und in welchem Ausmaß. Er warnt vor einer Welt, in der sich Konsumenten und Hersteller tierischer Produkte gegenseitig den Schwarzen Peter zuschieben. „Erst wenn sich Konsumenten wie Produzenten als Bürger begreifen, die Verantwortung für die Gestaltung von Mensch-Tier-Beziehungen übernehmen, wird sich was ändern.“ Grimm erinnert an einen kleinen Versuch, bei dem ein Produktsegment um eine Stufe zu höheren Tierschutzstandards und höheren Preisen verschoben wurde. Der Aufschrei der Konsumenten sei ausgeblieben. Viel Luft nach oben sieht er auch darin, diesen die Folgen ihrer Kaufentscheidung offenzulegen. „Wir müssen Brücken schlagen.“
Warum es ihn selbst von der Landwirtschaft weg und in die Tierethik zog? Es seien insbesondere Widersprüche, die aufklafften, etwa bei Landwirten, die Schmerztherapien für leidende Milchkühe aus Kostengründen verweigern, zugleich aber Tierärzte um eine teurere Behandlung ihrer Katzen auf dem Bauernhof ersuchen. „Beide – Kühe wie Katzen – sind empfindungsfähige Wesen, denen Menschen Verantwortung schulden. Was sind also die Gründe, dass sie so unterschiedlich behandelt werden? Keine guten, so legt sich nahe.“
Wie Grimm fordert auch Elisabeth Menschl, Leiterin des Institutes für Philosophie der JKU, mehr Transparenz. „Wir lieben Tiere, und wir essen sie. Der Mensch ist biologisch ein „Allesfresser“; Tiere zu töten ist Teil seines Lebens.“ Es sei jedoch wesentlich, über das Wie zu reden. „Wir müssen die Tierhaltung, den Transport und die Tötungsindustrie hinterfragen.“ Etiketten und Siegel gehörten überdacht, Richtlinien nach Schwachstellen durchforstet, gesetzliche Rahmenbedingungen verändert. Es brauche Pflicht zum Nachweis und zur Angabe der Quelle. „Konsum muss nachvollziehbar werden. Und dazu gehört auch, dass Kinder lernen, dass sich ein Tier nicht selbst tötet, zerteilt und in Zellophan einschweißt.“
GESELLSCHAFTLICHE VERANTWORTUNG DER UNI
Die Mensa der JKU stellt sich als erste Mensa österreichweit auf einen Biobetrieb um. Damit setzt die Universität ein Zeichen für nachhaltige Ernährung und gegen Massentierhaltung.