Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand, behauptet der Volksmund. Aber spielt es auch eine Rolle, WO man vor einer Richterin oder einem Richter sitzt? In Österreich auf jeden Fall, wie Prof. Dr. Helmut Hirtenlehner vom Zentrum für Kriminologie der JKU bestätigt. Falls man vorhat, eine Straftat zu begehen und nicht ins Gefängnis will, sollte man das Delikt tunlichst im Westen des Landes verüben.
Im Oberlandesgerichtssprengel Innsbruck, in dem Vorarlberger und Tiroler Gerichte tätig sind, werden seit Jahrzehnten signifikant weniger Freiheitsstrafen verhängt als im Oberlandesgerichtssprengel Wien (Wien, Niederösterreich und das Burgenland). Im Westen setzt man viel stärker auf teil- oder unbedingte Geldstrafen, wie zuletzt im Jahr 2017 eine Untersuchung von Christian Grafl gezeigt hat. Dieses West-Ost-Gefälle zeigt sich nicht allein bei den ausgesprochenen Strafen. Auch das Risiko, in Untersuchungshaft genommen zu werden, ist im Osten der Republik deutlich höher. Umgekehrt hat man die beste Chance, mit einer Diversion, also ohne strafrechtliche Verurteilung, davonzukommen, im Westen.
Warum das so ist? Schließlich gelten das Strafgesetzbuch und die Strafprozessordnung ja im ganzen Land. Hirtenlehner meint, das liege vor allem an lokalen Gerichtskulturen, also „hauseigenen“ informellen Strafnormen. Richterinnen und Richter erster Instanz hätten ein Interesse an korrekten und gerechten Verfahrenserledigungen, die Urteile sollen auch vor der nächsten Instanz halten. Also fragt man erfahrener e Kolleginnen und Kollegen, wodurch sich Einschätzungen tradieren. Ebenso lernen Richteramtsanwärterinnen und -anwärter dadurch, was ein „normales“ Strafmaß ist – zumindest in diesem Gericht. Fragt man ihn, ob es nicht bedenklich ist, wenn es für ein und dasselbe Delikt unterschiedliche Sanktionen gibt, verweist Hirtenlehner auf „die bahnbrechende Untersuchung von Burgstaller & Csaszar aus dem Jahr 1985“ und zitiert: „Die Tatsache erheblicher Unterschiede der Strafenpraxis in einem einheitlichen Rechtsgebiet macht betroffen.“