Angenommen, Sie wären schwer herzkrank und nur ein Spenderherz könnte Ihr Leben retten. Würden Sie das Herz eines Schweines annehmen?
Diese Frage könnte laut Forschern schon bald real sein. Die Xenotransplantation macht schnelle Fortschritte.
Ein Spital irgendwo in Österreich. In einem Operationssaal steht ein Chirurgenteam bereit. Auf dem Operationstisch liegt ein Schwein, dem gleich Herz, Lunge, Nieren, Leber und Bauchspeicheldrüse entnommen werden. Spenderorgane für todkranke Menschen, die ohne diese nicht mehr lange leben würden.
Die tierischen Organe werden den schwerstkranken Patienten unmittelbar nach der Entnahme von anderen Operationsteams eingepflanzt. Auf das erste Schwein folgt ein zweites, ein drittes, ein viertes. Vier Herzen, vier Lungen, acht Nieren, vier Lebern und vier Bauchspeicheldrüsen. Spenderorgane ohne Ende. Tausende Menschenleben könnten gerettet werden. Das Problem des Organmangels wäre auf einen Schlag weltweit gelöst.
Was heute noch klingt wie eine Science-Fiction- Vision, könnte bald schon Wirklichkeit sein. Das sagen Wissenschafter, die im Bereich der Xenotransplantation forschen. Xeno kommt vom griechischen ξένος oder xénos, was „fremd“ bedeutet. Mit Xenotransplantation wird die Übertragung von Zellen, Geweben oder ganzen Organen zwischen verschiedenen Spezies bezeichnet. Zum Beispiel zwischen Tieren und Menschen.
Abenteuerliche Experimente
Der Traum vom Verpflanzen von Teilen eines Tieres auf den Menschen ist fast so alt wie der Traum vom Fliegen. In der Mythologie findet man zahlreiche Beispiele. Die Geschichte von Ikarus und Dädalus etwa, die Vogelfedern mit Wachs an einem Gerüst befestigten und damit fortfliegen wollten. Ikarus stieg so hoch auf, dass das Wachs in der Sonne schmolz. Die Federn lösten sich vom Gerüst, er stürzte ins Meer und starb. Ein bekanntes Mischwesen ist die Sphinx aus dem alten Ägypten, die Skulptur eines liegenden Löwen mit dem Kopf eines Menschen. Die Hindus verehren den Gott Ganesha, der als menschliches Wesen mit einem großen Elefantenkopf dargestellt wird.
Nach dem Reich der Mythen und Sagen fand die Xenotransplantation schon früh Eingang in die Medizingeschichte. In den letzten 300 Jahren gab es eine überraschend große Anzahl von klinischen Versuchen, wie David K. C. Cooper in einer Übersicht schreibt, der es nicht an grusligen Details mangelt. So begann bereits im 17. Jahrhundert ein französischer Arzt, mit Bluttransfusionen von Tieren auf Menschen zu experimentieren. Im 19. Jahrhundert wurden Versuche mit Hauttransplantationen zwischen verschiedenen Tierarten und Menschen populär. Das ideale Transplantat schien von Fröschen zu stammen, die mitunter lebendig gehäutet wurden. Möglicherweise waren einige dieser Versuche sogar erfolgreich, wenn die Froschhaut beispielsweise zum Schutz eines Hautgeschwürs benutzt wurde: Unter dem Transplantat konnte das Geschwür während einiger Tage heilen, bis sich die Froschhaut von selbst wieder löste.
In den 1920er-Jahren experimentierte ein Chirurg russischer Herkunft in Paris mit einer Art frühem Viagra. Seine Probanden waren ältere Männer, deren „Lebensfreude“ sich verschlechtert hatte. Er transplantierte das Gewebe von Schimpansenhoden in die Hoden der Männer, weil er glaubte, dass die in den Hoden produzierten Hormone seine Patienten „verjüngen“ würden. Das Verfahren war anscheinend beliebt, denn dies- und jenseits des Atlantiks wurden mehrere Hundert solche Operationen durchgeführt. Die Forschung wurde ab den 1960er-Jahren weiter vorangetrieben. Der amerikanische Chirurg Keith Reemtsma sorgte für Aufsehen, als er begann, Schimpansennieren in Menschen zu transplantieren. Er führte insgesamt 13 derartige Transplantationen durch und verpflanzte jeweils beide Nieren aus einem Schimpansen in den Empfänger. Die meisten Organe versagten innerhalb von vier bis acht Wochen wegen infektiöser Komplikationen oder aufgrund einer Abstoßung des körperfremden Gewebes. Medikamente zur Unterdrückung der Immunabwehr waren damals erst in limitierter Menge verfügbar. Eine Patientin lebte immerhin neun Monate lang mit den Schimpansennieren, bis sie plötzlich zusammenbrach und starb.
Als eine der bekanntesten Xenotransplantationen ist die von Baby Fae in die Geschichte eingegangen. Das Mädchen war 1984 in den USA mit einem schweren Herzfehler zur Welt gekommen. Der Chirurg Leonard Bailey implantierte dem Säugling ein Pavianherz. Der Eingriff war zwar technisch erfolgreich, doch das Transplantat wurde akut abgestoßen. Baby Fae starb 20 Tage nach der Herzoperation.
Schweineherzklappen als State of the Art
Die erstaunlich große Zahl von spektakulären Versuchen, die in der Vergangenheit mit Xenotransplantationen gemacht wurden, zeigt es: Der Gedanke, Tiere als „Ersatzteillager“ für kranke Menschen zu nutzen, ist verlockend. Der Grund dafür liegt auf der Hand. Weltweit herrscht ein Mangel an menschlichen Spenderorganen für schwerstkranke Patienten. Diese klammern sich an den Strohhalm, durch eine Transplantation weiterleben zu können.
Auch in Österreich sterben immer noch Menschen, die in einer Organwarteliste eingetragen sind, für die jedoch nicht rechtzeitig ein Spenderorgan zu finden ist. Auch hierzulande reichen die menschlichen Organe nicht aus, um den Bedarf zu decken. 2017 wurden in Österreich 717 Transplantationen mit Organen verstorbener Spender durchgeführt. Weitere 72 Organe konnten von Lebendspendern transplantiert werden. Dafür kommen Nieren und Lebern infrage.
Was haben die Experimente in der Medizingeschichte gebracht? Wurde in Sachen Xenotransplantation bis heute überhaupt schon etwas erreicht? Die Antwort lautet: Ja, denn tatsächlich gibt es einen Anwendungsbereich, der sich in den Operationssälen als State of the Art durchgesetzt hat: die Transplantation von Schweineherzklappen. Sie gilt bei herzkranken Patientinnen und Patienten mittlerweile als Routineoperation, und sie kann Leben retten.
Laut Andreas Zierer, Professor für Herz-, Gefäß- und Thoraxchirurgie am Kepler Universitätsklinikum in Linz, werden Schweineherzklappen und auch Herzklappen mit dem Gewebe von Rindern seit zehn bis zwanzig Jahren bei Menschen eingesetzt: „Sie sind eine Alternative zu den mechanischen Herzklappen, die aus einem speziellen Metall hergestellt sind.“ Die Schweinherzklappen sind so vorbehandelt, dass eine Abstoßungsreaktion verhindert wird, wie Zierer erklärt. „Die lebenden Zellen werden durch chemische Lösungen ‚abgetötet‘. Übrig bleibt das Gerüst der Klappe aus Bindegewebe ohne lebende Zellen.“
Anders verhält es sich mit den Herzklappen aus Rindergewebe. Sie bestehen aus einem Drahtgerüst, das mit einer Art Teflonstoff ummantelt ist. Auf das Gerüst wird ein Stück aus Herzbeutelgewebe von Rindern aufgenäht, das zur Vermeidung einer Abstoßung ebenfalls chemisch vorbehandelt wurde.
„Biologische Klappen eignen sich eher für ältere Patienten ab 65 Jahren“, sagt Zierer, „jüngeren Menschen empfehlen wir tendenziell mechanische Klappen.“ Der Grund liegt in der Haltbarkeit: Mechanische Klappen bleiben praktisch „ewig“ funktionstüchtig, während die Lebensdauer der biologischen Klappen auf durchschnittlich 15 bis 20 Jahre begrenzt ist. Ein 50-jähriger Patient, der eine biologische Herzklappe erhält, muss also damit rechnen, mit 70 ein zweites Mal operiert zu werden.
Doch auch die mechanischen Klappen haben einen Nachteil: Die Patienten müssen ihr Leben lang blutverdünnende Medikamente einnehmen, damit sich an der Oberfläche der künstlichen Klappe keine Blutgerinnsel bilden. „Durch die Medikamente steigt das Risiko für Blutungskomplikationen“, sagt Andreas Zierer vom Kepler Universitätsklinikum. Die Vor- und Nachteile der verschiedenen Klappen würden mit jedem Patienten im Detail besprochen.
Früher war der Ersatz einer Herzklappe stets mit einer Operation am offenen Herz verbunden – ein großer Eingriff mit den entsprechenden Risiken. Heute, sagt Zierer, könnten biologische Klappen „minimalinvasiv“ implantiert werden. „Bei der sogenannten Transkatheterklappen- Implantation ist nur ein Schnitt in der Leistengegend notwendig. Die Klappe wird durch ein Blutgefäß geschoben und am schlagenden Herz eingesetzt. Diese Möglichkeit hat dazu geführt, dass zunehmend auch jüngeren Patienten biologische Klappen eingesetzt werden.“ Für mechanische Klappen ist diese Operationsmethode nicht geeignet. Der Herzchirurg sagt, Vorbehalte gegenüber Klappen tierischen Ursprungs seien bei den Patientinnen und Patienten kaum vorhanden: „Es kommt selten einmal vor, dass Schweineherzklappen aus religiösen Gründen abgelehnt werden. In der Regel wird aber pragmatisch entschieden.“
Andreas Zierer vom Kepler Universitätsklinikum erwähnt einen erfolgversprechenden Forschungstrend, der tierische Klappen überflüssig machen könnte: die Züchtung von Herzklappen aus körpereigenem menschlichen Gewebe. „Mit einer Computertomografie lässt sich die Anatomie des Patienten abbilden. Auf dieser Datengrundlage könnte man eine defekte Klappe dreidimensional rekonstruieren und im 3D-Drucker ein passendes Gerüst drucken. Auf diesem Gerüst würde körpereigenes Gewebe angesiedelt.“ Das Stichwort hierzu lautet Tissue Engineering. Damit gemeint ist die künstliche Herstellung biologischen Gewebes durch die gezielte Kultivierung von Zellen.
Genmanipulierte Schweine
Die Forscherinnen und Forscher treiben ihre Arbeit freilich in verschiedene Richtungen voran. Neben innovativen Techniken wie dem Tissue Engineering steht die Tier-Mensch-Transplantation im Fokus. Bei der Frage, welches Tier sich als Spender für den Menschen am besten eignet, konzentrieren sich die Wissenschaftler vor allem auf das Schwein. Das Ziel ist, dereinst nicht nur Herzklappen, sondern ganze Herzen und andere Organe von Schweinen verpflanzen zu können.
Wie Arianna Ferrari im „Lexikon der Mensch-Tier-Beziehungen“ darlegt, eignen sich Schweine aufgrund mehrerer Faktoren besser für Xenotransplantationen als zum Beispiel Affen: Die stammesgeschichtliche Verwandtschaft von Primaten zum Menschen könnte das Infektionsrisiko erhöhen. Schweine lassen sich schneller und mit mehr Nachkommen reproduzieren. Ihre Trächtigkeitszeit beträgt lediglich 114 Tage und ihre Zucht ist standardisiert. Außerdem ähneln Schweineorgane in Größe, Anatomie und Physiologie jenen der Menschen.
Aus all diesen Gründen ist das Schwein heute die bevorzugte Tierart für die Xenotransplantation. Primaten werden in der experimentellen Phase als Empfänger verwendet: In sie werden Zellen, Gewebe oder Organe von Schweinen transplantiert, um Erkenntnisse für die spätere Anwendung am Menschen zu gewinnen.
Eckhard Wolf, Professor am Genzentrum an der Ludwig-Maximilians-Universität München, ist im deutschsprachigen Raum einer der führenden Forscher zur Xenotransplantation. „Im Bereich der Inselzell- und der Herztransplantation wurden bereits große Forschungserfolge erzielt“, erklärt er. Von den Inselzellen der Schweine könnten Diabetes-Typ-1-Patienten profitieren; Millionen von Menschen weltweit. Sie sollen durch eine Transplantation von der täglichen Insulinbehandlung befreit werden. „Die Verpflanzung von Inselzellen wird an Rhesusaffen erprobt“, sagt Wolf. „Im Bereich der Herztransplantation forscht man mit Pavianen, deren Herzen durch gentechnisch veränderte Schweineherzen ersetzt werden.“
Die Herausforderung beim Verpflanzen von Schweineorganen, -geweben oder -zellen in Menschen lässt sich salopp formuliert auf drei Gefahren reduzieren, die man in den Griff bekommen muss: erstens die Abstoßung des fremden „Materials“ durch die menschliche Immunabwehr und zweitens die Bildung von Blutgerinnseln im transplantierten Organ. Drittens fürchtet man sich vor Retroviren, die im Menschen schwere Infektionen auslösen könnten. Inzwischen ist es Wissenschaftern gelungen, diese Retroviren aus dem Erbgut von Schweinen „herauszuschneiden“. Die beiden anderen Gefahren bannt man, wie Eckhard Wolf erklärt, durch drei unterschiedliche Genmodifikationen.
„Die gentechnischen Methoden, die wir an den Schweinen anwenden, sind sehr gut etabliert“, sagt Wolf. Die Schweine würden nicht darunter leiden, ihr Wohlbefinden werde nicht beeinträchtigt. „Die Tiere werden in einer klimatisierten Schweinezuchtanlage gehalten, die hohen hygienischen Standards genügt und für die es Zugangsbeschränkungen gibt. Die Mitarbeiter, die ein- und ausgehen, müssen sich duschen und umziehen und strenge Verhaltensvorgaben einhalten.“ Die Schweine hätten mindestens so viel Platz zur Verfügung, wie es der Gesetzgeber für Versuchstiere vorsehe, sie würden ausgewogen ernährt und mit Spielzeugen versorgt, so Wolf weiter. „Die Tiere haben ein gutes Leben. Für die Spende werden sie in tiefste Narkose gelegt und wachen nie wieder auf.“
Ein „moralisches Problem“
Was der Forscher nüchtern und nachvollziehbar erklärt, wirft ethische Fragen auf: Dürfen Tiere nur zum Zweck von Organspenden gezüchtet werden? Und: Wie viele Tiere sind wir bereit, dafür zu opfern? Samuel Camenzind, Philosoph und Tierethiker am Messerli Forschungsinstitut der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Wien, sieht sich nicht als „Richter“, hat sich aber mit diesem Spannungsfeld auseinandergesetzt. Die Aussage, die gezüchteten Schweine hätten ein „gutes Leben“, betrachtet er kritisch. Faktisch, sagt Camenzind, handle es sich auch um einen „Tierverschleiß“. Andererseits: „Die Zahl der Tiere, die der Xenotransplantation geopfert werden, kann man in Relation setzen zu den Tieren, die aufgrund des Fleischkonsums sterben. So gesehen sind es wahrscheinlich wenig.“ Und er vergleicht weiter: „Im Unterschied zum Fleischkonsum handelt es sich nicht um einen kulinarischen Genuss, sondern um eine Maßnahme, mit der Menschenleben gerettet werden können.“
Die grundsätzliche Frage ist für ihn jedoch, ob der Mensch eine moralische Sonderstellung genießt und sich über Tiere hinwegsetzen kann. Die Gesellschaft als Ganzes müsse entscheiden, ob sie dies toleriere. Der Tierethiker offeriert keine einfachen Antworten. Es seien viele Perspektiven zu berücksichtigen, sagt er – auch die der betroffenen schwerkranken Menschen: Welche Mittel sind gerechtfertigt, um ihnen zu helfen und ihr Leben zu retten? Wie soll die Verteilung geregelt sein? Wer bekommt ein menschliches, wer ein tierisches Organ? Camenzind spricht von einem „moralischen Problem“.
Als Philosoph stellt er die Frage, ob man das Geld, das in die Xenotransplantation investiert wird, vielleicht auch anders einsetzen könnte, um den „Tierverschleiß“ zu verhindern. Eine Möglichkeit wären Kampagnen für mehr menschliche Organspenden.
Es scheint, als müsste der öffentliche Diskurs ziemlich rasch stattfinden. Forscher Eckhard Wolf rechnet mit schnellen Erfolgen. „Ich gehe davon aus, dass es rein technisch innerhalb der nächsten fünf Jahre möglich sein wird, einem Menschen ein Schweineherz einzupflanzen, das mittel- oder sogar langfristig funktioniert“, sagt er. „Der regulatorische Prozess ist allerdings weit komplizierter und dürfte mehr Zeit in Anspruch nehmen.“
Wenn tierische Organe dereinst vielleicht in großer Zahl zur Verfügung stehen, lässt sich auch die Frage nach der Psychologie schlüssig beantworten. Denn wer weiß: Es könnte ja sein, dass Patienten gar kein tierisches Organ wollen – gerade, wenn es sich um ein emotional besetztes Organ wie das Herz handelt.
Untersuchungen deuten allerdings nicht darauf hin. Eine Befragung aus dem Jahr 1999 unter über 100 Wiener Patienten, die sich bereits einer Herztransplantation unterzogen hatten, ergab eine hohe Zustimmung zur Xenotransplantation. Knapp die Hälfte der Befragten gab an, wenn sie die Wahl hätten, wäre es ihnen gleichgültig, ob sie ein menschliches Herz oder das Herz eines Schweines transplantiert bekämen.