Vom lebensrettenden T-Shirt über einen High-Tech-Rollstuhl bis zur Plattform für regionale Lebensmittel – die JKU ist die Basis für eine Reihe von Start-ups, die etwas oft Unterschätztes in den Mittelpunkt stellen: Echte Bedürfnisse, die noch nicht gestillt sind.
Er lässt sich mit einem Joystick steuern, er hat nur eine Achse, wodurch er besonders wendig ist, er ist für die Stadt genauso gebaut wie fürs Gelände, er fährt sich im Wald im Sommer genauso gut wie im Winter: Hoss ist so etwas wie der Lamborghini unter den Rollstühlen. Erfunden haben ihn Lukas Rigler und Dominik Lorenz, um ein Stigma zu durchbrechen. Der Rollstuhl wird oft immer noch als Einschränkung gesehen und nicht als der Schlüssel zur Mobilität, der er eigentlich ist. Hinter dem Hoss stecken fünf Jahre Entwicklungszeit, wie Lorenz sagt, 3,5 Jahre flossen allein in die Optimierung der Sicherheit, die bei derartigen Produkten naturgemäß sehr wichtig ist. Seit rund 1,5 Jahren ist der Rollstuhl nun auf dem Markt. „Viele Kundinnen und Kunden nutzen den Hoss, weil sie wieder zurück in die Natur wollen oder in der Stadt mobiler sein möchten“, sagt Lorenz. Welche Freiheit sich die Menschen mit diesem Hilfsmittel, das 20.000 Euro kostet, zurückholen, sei sehr individuell. Der E-Rollstuhl fährt bis zu 15 km/h, bei einer Reichweite von bis zu 60 Kilometern. Im Vorjahr wurden 100 Stück verkauft, 2022 sollen es 200 werden – wobei die Chipkrise die Verwirklichung dieser Pläne deutlich erschwert. „Wir produzieren aber so viel, wie wir können“, sagt der CTO. Am Firmensitz in Waldhausen im Strudengau arbeiten rund zehn Beschäftigte gemeinsam an diesem Ziel.
Alumni gründen Start-ups
Lorenz hat Mechatronik am Institut für Antriebstechnik der Johannes Kepler Universität (JKU) studiert. Sein Unternehmen ist nicht das einzige Start-up, das aus der Linzer Universität entsprungen ist. Der Großteil der im Kontext der Uni gegründeten Unternehmen stammt von Alumni, die nach dem Studium ein paar Jahre Berufserfahrung sammeln und sich anschließend mit ihrer eigenen Idee selbstständig machen, wie Christine Blanka, stellvertretende Institutsvorständin am Institut für Entrepreneurship der JKU, erläutert. Die kleinste Gruppe der Start-up-Gründungen sind wiederum universitäre Spin-offs – also Erkenntnisse aus der Forschung, die zu Geschäftsmodellen weiterentwickelt werden. Bei diesen ist der Gründungsprozess naturgemäß komplizierter, da Patentierungen und andere rechtliche Themen verstärkt im Vordergrund stehen. Eine dritte, wachsende Gruppe sind schließlich jene, die schon während des Studiums gründen, weil sie etwa während einer Lehrveranstaltung eine eigene Geschäftsidee schmieden.
myregionalfood: Lebensmittel kaufen 2.0
Eines dieser Start-ups ist „myregionalfood“, welches von Niklas Reisner und Julian Lamplmair gegründet wurde. Reisner studiert derzeit Betriebswirtschaftslehre an der JKU, sein Co-Founder Lamplmair übernimmt den technischen Part. Die Mission der beiden Gründer ist eine ehrgeizige: Die regionale Lebensmittelversorgung umstrukturieren und eine nachhaltige Alternative bieten. „Denn gerade bei jungen Menschen ist der Nachhaltigkeitsgedanke oft stark ausgeprägt“, sagt Reisner. „Allerdings ist es ihnen oft zu umständlich. Sie wissen meist nicht, wo sie suchen sollen.“ Dieses Problem wollen Reisner und Lamplmair über eine Plattform lösen, auf der verschiedene Direktvermarkter kombiniert und ihre Angebote ansprechend aufbereitet werden. Für Konsumentinnen und Konsumenten steht dafür unter anderem eine App zur Verfügung. Als erstes Feature wurde eine Payment-Funktion integriert, bei der die Direktvermarkter einen QR-Code im Geschäft aufstellen; der Kunde scannt diesen und kann anschließend bargeldlos bezahlen. Der Vorteil: Der Vermarkter braucht dafür weder Strom noch Internet, er kann den QR-Code also auch auf dem Erdbeerfeld aufstellen.
Das Unternehmen wurde im Mai 2021 gegründet, rund 3.000 Menschen bezahlen derzeit über das System. Die teilnehmenden Händlerinnen und Händler erhalten jeweils ein Starterpaket, das unter anderem den QR-Code enthält, und bezahlen das Start-up anschließend in Form von Transaktionsgebühren. Nützlich ist das System auch, wenn mehrere Anbieter in einem gemeinsamen Selbstbedienungsladen vertreten sind – denn diese müssen rechtlich gesehen über getrennte Kassen abrechnen, was mit der Plattform von „myregionalfood“ ermöglicht wird. Allerdings ist die Payment-Funktion nur der Anfang, wie die Founder betonen. Das Ziel ist eine ganzheitliche Lösung, im nächsten Schritt soll die App eine Übersicht über die teilnehmenden Betriebe anhand einer Landkarte bieten – so sieht man stets, welcher Landwirt sich in der Nähe befindet.
Airmate: Ein T-Shirt gegen das Ertrinken
In eine gänzlich andere Kerbe schlägt das von Melissa Leibetseder und Christopher Brummayer gegründete Start-up Airmate. Brummayer studiert Innovations- und Produktmanagement an der FH Oberösterreich in Wels; den technischen Teil des Produkts übernimmt Leibetseder, die aktuell das Masterstudium für Technische Chemie an der JKU belegt. Ihr gemeinsames Produkt: Ein T-Shirt, das Kinder vor dem Ertrinken rettet.
Hintergrund dieses Projekts ist, dass immer mehr Familien-Pools besitzen beziehungsweise sich an heißen Sommertagen im Freibad oder am Badesee aufhalten. Und dabei müssen sie stets einen Blick auf die Jüngsten haben. Das Airmate-Shirt kann wie ein normales T-Shirt getragen werden, bläst sich aber auf, wenn das Kind ins Wasser fällt. Derzeit wird der Prototyp des T-Shirts mit Dummie-Puppen getestet, später soll das Produkt für drei- bis fünfjährige Kinder verfügbar sein. Ein Marktstart ist für Frühjahr 2024 geplant, dann dürfte das Shirt um die 50 Euro kosten, die nach einem Fall ins Wasser neu zu beschaffenden Kartuschen dürften preislich zwischen 20 und 25 Euro liegen. Auf technischer Ebene funktioniert die Lösung über ein Reaktionspulver, das in zwei Kartuschen untergebracht ist und das T-Shirt langsam aufbläst, wie die Chemikerin Leibetseder erläutert. Wichtig ist dabei, dass sich das T-Shirt erst aufbläst, wenn es sich zehn Zentimeter unter Wasser befindet. Den Grund für diese Bedenken kennen Eltern nur allzu gut: Immerhin soll das Shirt ja nicht aufgehen, wenn das Kind mit einer Wasserpistole angespritzt wird oder beim Essen schlabbert. Zudem achtet das Team darauf, dass sich das Shirt gemächlich – innerhalb von rund zehn Sekunden – aufpumpt, um Verletzungen durch ruckartiges Aufblasen zu vermeiden.
Vernetzung über die Universität
Bei den ersten Tests der Auslöser inklusive der dazugehörigen Ventile arbeitete Airmate mit dem Institut für Medizintechnik der JKU zusammen, wo das entsprechende Fachwissen vorhanden ist – und es ist nicht der einzige Bereich, in dem die Gründerinnen und Gründer vom Netzwerk der Universität profitieren. So gibt es im Open Innovation Center (OIC) der Universität einen Coworking Space, in dem derzeit acht Start-ups untergebracht sind – darunter auch Airmate. Sie profitieren neben dem Arbeitsplatz per se auch von der Vernetzung mit den Instituten der JKU und mit den Innovationsabteilungen etablierter Unternehmen, die ebenfalls im OIC untergebracht sind: „Das OIC bietet einen wichtigen Anknüpfungspunkt und der Austausch zwischen Wirtschaft und Forschung schafft einen guten Nährboden für Innovationen“, so Blanka. Tech2b wiederum betreibt unter dem Namen „Ideate“ einen eigenen Inkubator am OIC, der Start-ups bei der Realisierung der Idee begleitet und coacht. Zudem halten Gründerinnen und Gründer Vorträge vor den jüngeren Studierenden – Leibetseder referierte etwa über ihre Erfahrungen auf dem Weg der Gründung. Und teils werden aktuelle Themen von Start-ups in Lehrveranstaltungen integriert, bei denen Studierende Lösungen für die Probleme von Start-ups erarbeiten. Daraus ergibt sich eine Win-win-Situation: Die Start-ups bekommen externen Input, die Studierenden lernen etwas anhand einer Real- Life-Situation.
Und schließlich ist die JKU gut vernetzt und kann daher die Sprösslinge mit neuem Input versorgen beziehungsweise sie vernetzen. So organisiert das Institut für Entrepreneurship jeden Sommer die „Founders Week“, bei der die Teilnehmenden verschiedener Studienrichtungen eine Woche lang an Unternehmensideen feilen. In Teams arbeiten Studierende der JKU, aber auch der Fachhochschulen OÖ und Kunstuniversität interdisziplinär zusammen und bringen ihr Wissen ein. „Hier ergänzen sich die Kompetenzen der Studierenden wunderbar“, sagt Blanka.
Zu einem späteren Zeitpunkt können die Founder wiederum auf das Hubert-Netzwerk zurückgreifen: Ein Zusammenschluss verschiedener Institutionen in Oberösterreich, in dem die Start-ups an die für sie relevanten Ansprechpersonen vermittelt werden. „Die JKU ist vor allem in der frühen Gründungsphase wichtig“, sagt Blanka. „Aber wir kennen uns im Netzwerk alle gut und können die Jungunternehmen an die für sie relevanten Ansprechpartner weiterleiten.“ Die drei hier beschriebenen Startups haben jedenfalls noch sehr unterschiedliche Wege vor sich. Während man bei Hoss Mobility den Absatz steigert, arbeitet das Airmate-Team am Marktstart – und bei myregionalfood hegt man bereits Pläne für eine Expansion, zuerst im deutschsprachigen Raum und dann europaweit. „Je weiter wir vom DACH-Raum wegkommen, desto mehr müssen wir rechtliche und sprachliche Anforderungen erfüllen“, sagt Reisner. „Aber das ist ja auch eigentlich eine recht coole Herausforderung.“