Der Mensch ist, was er isst, sagt eine alte Phrase. Leider ist sie wahr. Umso erstaunlicher also, dass wir besonders gern das essen, was uns gar nicht besonders gut tut. Warum das so ist und warum sich das auch wieder ändern kann und muss, will gleich eine ganze Reihe verschiedener Wissenschaften verstehen.
Frühstück, Mittagessen, Abendessen, dazwischen vielleicht ein Keks zum Kaffee, ein Snack auf dem Weg zum Bus und danach noch ein paar Chips vorm Fernseher. Vielleicht sind aber gerade auch Nüsse in der Schüssel, vielleicht riecht es im Büro mal wieder nach Mandarinen, denn es ist Herbst. Über den Tag verteilt gibt es jedenfalls ziemlich viele Gelegenheiten, um sich etwas in den Mund zu stecken. Wir müssen essen, das steht außer Frage. Der menschliche Körper braucht Nahrung, er braucht Nährstoffe und Energie, um zu funktionieren. Vielleicht braucht er sogar Genuss.
Essen, diese sehr alltägliche, elementare menschliche Handlung, ist in den vergangenen Jahren ziemlich oft in den Blickpunkt gerückt. Genauso wie es sich dabei um Genuss dreht, geht es dabei aber auch um seine Schattenseiten: Um zu viel Fett oder zu viel Zucker, zu viele Zusatzstoffe oder zu viele Zwischenmahlzeiten. Während die einen behaupten, im großen Überfluss hätten wir verlernt, körpereigene Signale zu deuten, bringen uns die anderen bei, dass der Körper 16 Stunden fasten muss, weil er so am besten funktioniere. Auch ohne klinische Essstörung ist vielen der intuitive Zugang zur Ernährung verloren gegangen.
Aber was soll das überhaupt sein, dieser intuitive Zugang zur Ernährung? Wodurch unterscheidet er sich von dem schlichten, aber heftigen Bedürfnis Hunger? Warum essen wir, was wir essen? Und warum ist das dann nicht das, was wir eigentlich essen sollten?
Eine jener Wissenschaftler*innen, die diesen Fragen nachgeht, ist Gudrun Sproesser. Seit Februar dieses Jahres leitet sie die Abteilung für Gesundheitspsychologie am Institut für Pädagogik und Psychologie an der Johannes Kepler Universität Linz. Schon in ihrer Promotion hat sie sich damit beschäftigt, warum man isst, was man isst. Als Psychologin suchte sie nach den psychologischen Einflussfaktoren auf das Ernährungsverhalten – und fand sie auch. Gleich fünfzehn Grundmotive sind ihr untergekommen.
„Die wichtigsten sind Gewohnheit und Appetit“, sagt Sproesser. Wir essen also, was wir schon immer essen, oder das, wonach uns gerade gelüstet. Als weitere Faktoren folgen Hunger, Gesundheit, Einfachheit, Genuss, Traditionen, Natürlichkeit, Gemeinschaft, Preis und Präsentation. Auch Gewichtskontrolle spiele laut Sproesser eine Rolle bei der Auswahl unseres Essens: „Ein gezügeltes Essverhalten ist heutzutage eher die Regel als Ausnahme.“ Für Frauen gelte das eher als für Männer, und bei Älteren mehr als bei Jüngeren, was möglicherweise daran liege, dass man im Alter eher zunehme oder Erkrankungen wie Diabetes häufiger werden.
Gewohnheit und Appetit sind die stärksten Motive
Außerdem versuchen wir laut Sproesser mit Essen negative Gefühle wie Traurigkeit oder Frust zu regulieren oder zu kompensieren. Soziale Normen oder das soziale Image spielen ebenfalls eine Rolle, und auch Gedanken zum Tierwohl oder religiöse Vorgaben wie das jüdische Gebot koscheren Essens oder der Fleischverzicht im Hinduismus bestimmen mit, was wir essen und was nicht. „In einer Studie gab die Mehrheit der Teilnehmenden an, ihre Ernährung nach irgendwelchen Grundsätzen auszurichten, von laktosefrei über vegan bis hin zum Verzicht auf Zusatzstoffe“, sagt Sproesser. Heute überwiege also ein analytischer Zugang zum Essen, während wir traditionell einen intuitiven Zugang zum Essen hatten.
Das bedeutet aber nicht, dass deshalb heute alles strukturierter abläuft. Im Gegenteil: „Geregelte Mahlzeiten werden seltener, dafür snacken wir mehr“, sagt die Psychologin. Sättigung passiere in unserem durchgetakteten Alltag eher nebenbei, sie passt sich dem Lebensrhythmus an, der keinen Platz mehr hat für die Tageszeitenstruktur und die Abfolge von Vorspeise, Hauptgang und Dessert. Interessant ist das auch deswegen, weil Ernährung heute gleichzeitig zur Lebenshaltung stilisiert wird. Je nach Haltung steckt da auch gar nicht so selten eine weitere Frage drin: Was sollen wir eigentlich essen?
Nachhaltigkeit ist dabei das Wort der Stunde. „Manche meinen damit nicht nur die Umwelt, sondern auch die Gesundheit des Einzelnen, das Tierwohl sowie soziale Aspekte wie die faire Entlohnung von Produzentinnen“, so Sproesser. Als Richtlinie dient die von vielen Ländern, auch Österreich, empfohlene Planetary Health Diet, bestehend aus reichlich frischem Obst und Gemüse, Hülsenfrüchten und Vollkornprodukten und dem maßvollen Konsum von Fleisch und Milchprodukten. Ziel ist nicht nur die Gesundheit der Bevölkerung, sondern auch die Entlastung des Klimas, auch durch Abfallreduktion.
Gleichzeitig ließen viele immer mehr weg, wenn es um Inhaltsstoffe geht, so Sproesser. Produkte, die frei von irgendetwas seien, boomen. Überzeugende Daten dazu, dass Unverträglichkeiten zugenommen haben, gebe es zwar nicht, dafür aber schaffe offenbar das Angebot die Nachfrage: „Viele wissen möglicherweise nicht, was beispielsweise Gluten wirklich ist, sondern schlussfolgern aus glutenfreien Produkten, dass es sich bei dem Klebeeiweiß um etwas Schlechtes handeln muss.“
Der Bioreaktor im Darm
Anders sieht es im Fall einer echten Zölliakie, also Glutenunverträglichkeit aus. Davon Betroffene landen möglicherweise bei Alexander Moschen, Vorstand der Universitätsklinik für Innere Medizin, Gastroenterologie und Hepatologie, Endokrinologie und Stoffwechsel, Nephrologie und Rheumatologie in Linz. Er erforscht die Entstehung chronisch entzündlicher Darmerkrankungen und den Einfluss von Genetik und Umwelt. „Der Volksmund hat recht: Man ist, was man isst“, sagt Moschen. Makronährstoffe, also Eiweiße, Fette und Kohlenhydrate, hätten ebenso wie die zu den Mikronährstoffen gehörenden Vitamine und Mineralstoffe Auswirkungen auf den Körper und seine Gesundheit.
Ein weiterer Forschungsschwerpunkt von Alexander Moschen ist das Mikrobiom. Darunter versteht man die Gesamtheit aller in unserem Körper angesiedelten Bakterien, von denen sich der Großteil im Darm befindet. Eine Art körperlichen Bioreaktor sei das, sagt Moschen, er nennt es sogar unseren besten Freund. Warum es dann auch dicke Menschen gibt? „Weil das ursprünglich das Überleben sicherte. Im Herbst galt es, sich genug Speck für den Winter anzufuttern. In unserer heutigen Überflussgesellschaft ist immer Herbst“, sagt Moschen.
Ein gesundes Mikrobiom jedenfalls ist möglichst divers und vereint eine Vielzahl unterschiedlicher Bakterien. Leider ist es ziemlich veränderungsresistent. Frühkindliche Faktoren wie Geburt, Stillen und familiäre Umgebung haben den größten Einfluss darauf. Veränderungen sind aber nicht ausgeschlossen. Durchfall, Verstopfung, Blähungen seien klassische Symptome eines aus der Balance geratenes Mikrobioms. Auch Nahrungsmittelallergien, die sich in Bauchschmerzen, Hautveränderungen und Refluxbeschwerden äußern, sowie chronische Entzündungen und Tumore. Was aber können wir unserem Mikrobiom Gutes tun?
„Eigentlich ist es ganz einfach: Essen Sie regional und saisonal, und kochen Sie so oft es geht selbst. Schädlich sind vor allem Einseitigkeit und Fertigprodukte“, sagt Moschen. Das ist nur leider oft genau das, wozu wir aus Gewohnheit und in Eile oft greifen. Nahrungsergänzungsmittel brauche es bei einer ausgewogenen Ernährung nicht, auch nicht bei einer vegetarischen. „Veganismus ist eine Ausnahme, hier empfehle ich, eine Ernährungsmedizinerin oder einen Diätologen zurate zu ziehen.“
Das viel gelobte Intervallfasten ergebe mit Blick auf unsere Vorfahren Sinn, da Hungerperioden normal waren. Die Behauptung, man solle drei- oder sogar fünfmal am Tag essen, sie hingegen wissenschaftlich nicht belegt. Ein Punkt ist Moschen besonders wichtig: Nicht alle sind gleich. So individuell wie das Mikrobiom seien die Ernährungspräferenzen und -reaktionen einzelner Menschen. Es gebe nun mal gute und schlechte Essensverwerter*innen. Abgesehen vom zuvor erwähnten Fokus auf Regionalität und Saisonalität will der Gastroenterologe deshalb keine konrekten Empfehlungen geben, auch zu Verboten einzelner Lebensmittel lässt er sich nicht hinreißen, nicht einmal zum Verbot von Fleisch. „Beim Essen geht es nicht nur um Nährstoffzufuhr, sondern auch um Kultur und Wohlbefinden. Wenn Ihnen ein Burger guttut, gönnen Sie ihn sich, aber eben nicht jeden Tag“, beschwichtigt Alexander Moschen den allzu analytischen Zugang zum Essen.
Die Geschichte der Ernährung
Von Burgern konnten unsere Vorfahren nur träumen. Was kam bei ihnen auf den Teller? Einen Einblick in die Geschichte unserer Ernährung liefert Ernst Langthaler, Professor für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Johannes Kepler Universität Linz. Sein Forschungsinteresse gilt der Agrar- und Ernährungsgeschichte und Global- und Regionalgeschichte. Derzeit arbeitet er an einer Geschichte der Globalisierung im 20. Jahrhundert anhand der Sojabohne. „Die Geschichte unserer Ernährung verläuft nicht linear und auch nicht nach dem Motto‚ dass früher alles schlechter oder besser als heute war“, ordnet Langthaler ein.
Er unterteil die Ernährungsgeschichte in drei Phasen. Die erste reicht von der Entstehung des Menschen vor rund 300.000 Jahren bis in die Zeit vor 10.000 Jahren. „Die damalige Ernährung war recht vielfältig, beinhaltete Pflanzen ebenso wie Fleisch. Erstmals bildeten sich unter diesen Jägern und Sammlern Gemeinschaften, weil einer allein kein Mammut erlegen kann.“ Übrigens treffe das Klischee, dass nur die Männer auf die Jagd gingen, während sich die Frauen um Feuer und Kinder kümmerten, nicht zu.
Die zweite Phase beginnt vor etwa 10.000 und endet vor etwa 200 Jahren. Die Menschen wurden sesshaft, bauten Gräser an, aus denen Körner und schließlich Brot gewonnen wurde. „Interessanterweise ging der Fleischkonsum zurück, weil Tiere weniger als Nahrungs-, denn als Kraftquelle gehalten wurden. Fleisch war eher eine Ausnahme an Sonn- und Feiertagen. Im Alltag gab es vor allem Getreide, Kraut und ab dem 18. Jahrhundert auch Kartoffeln“, sagt Langthaler. Die dritte Phase setze dann um 1800 ein, mit dem Beginn der Industrialisierung. Bereits im 19. Jahrhundert wurden Tiere massenhaft gemästet und geschlachtet. Fleisch wurde auch für breitere Schichten erschwinglich. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ging der Fleischkonsum, bedingt durch Arbeitslosigkeit und Weltkriege, zurück, nur um nach 1950 zum mittelständischen Standardessen und Wohlstandssymbol zu werden.
„Interessanterweise beobachten wir gegenwärtig eine ähnliche Entwicklung in den sogenannten Schwellenländern. In China zum Beispiel stieg ab den 1980ern vor allem der Schweinefleischkonsum massiv an, jetzt aber flacht auch hier die Wachstumskurve des Fleischverzehrs allmählich ab“, beobachtet Langthaler. Das gelte noch viel mehr für Industrienationen wie Österreich. Gegenbewegungen habe es schon früher gegeben, insbesondere die Hippiebewegung der 1960er- und 1970er-Jahre feierte die Sojabohne als Symbol einer gesünderen, ethischen und spirituellen Ernährung. Schon damals war Fleisch also für manche ein Symbol für Ressourcenverschwendung.
Was wir essen, hat also immer auch mit der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung zu tun, mit einer Vorstellung von Aufstieg und Status und mit der Gegenbewegung dazu.
Pflanzliche Alternativen helfen
Heute aber besteht kein Zweifel daran, dass der Fleischkonsum weltweit zu hoch ist. In Österreich werden immer noch rund 60 Kilogramm Fleisch pro Kopf und Jahr gegessen. 20 bis 30 Kilogramm sollten es Langthaler zufolge sein. Ein Drittel aller weltweiten Anbauflächen werde derzeit für Futtermittel genutzt. Also: Veganismus für alle? „Das halte ich für ein unrealistisches Ziel. Einerseits, weil es wohl nicht demokratisch durchsetzbar wäre, andererseits weil dann auch für den Ackerbau ungeeignete Grünlandflächen verloren gingen, hier in Österreich beispielsweise in den Alpen“, sagt Langthaler. Stattdessen plädiert der Historiker für einen vernünftigen Fleischkonsum: „Ich selbst gönne mir gelegentlich ein Steak, aus regionaler und biologischer Haltung.“
Als alternative Proteinquellen könnten auch Sojabohnen dienen, wobei es auf die Anbauweise ankommt. Gentechnisch veränderte Sojapflanzen, die in Monokulturen angebaut und mit Glyphosat vor Schädlingen geschützt werden, das dann die nicht-resistenten Pflanzen benachbarter Bauer:innen zerstört, wäre nicht die Lösung. Es geht aber auch anders: „Seit den 1980ern beobachten wir in Österreich einen regelrechten Sojaboom. Rund die Hälfte des gentechnikfreien Ertrags wird auch hier für Tierfutter, die andere allerdings als menschliches Nahrungsmittel genutzt“, sagt Langthaler.
Er ist optimistisch, dass das Essen der Zukunft wieder vernünftiger wird: „Die Geschichte lehrt, dass sich Ernährungsgewohnheiten in wenigen Jahrzehnten ändern können. Gerade in der aktuellen, krisenbelasteten Zeit gewinnt die Frage, was wir essen, an Bedeutung. Während in meiner Generation Fleisch einen hohen Stellenwert hat, essen etwa meine Kinder kein beziehungsweise wenig Fleisch.“ Wichtig ist ihm jedoch, die Sache nicht auf die einzelnen Konsumenten abzuwälzen. Den großen Unterschied mache dabei aber nicht der einzelne Mensch, sondern Unternehmen: „Wenn Billa, Hofer und Spar Fleischalternativen bewerben, macht das einen riesen Unterschied“, so der Historiker. Auch die Politik sei in der Pflicht, durch Einschränkungen oder Fördermaßnahmen Impulse zu setzen, damit weniger Fleisch gegessen werde.
Wir fassen zusammen: Eine für Körper und Klima ideale Ernährung besteht aus regionalen, saisonalen Bioprodukten, mehrheitlich pflanzlichen Ursprungs. Fisch und Fleisch nur in Maßen und so nachhaltig wie möglich. Und doch sollte bei all dem der Genuss nicht zu kurz kommen – weil Essen eben nicht nur Kopfsache ist.