Ein kleiner Rückblick und ein noch kleinerer Ausblick auf den rasanten Wandel des Journalismus, der Medien und somit der Demokratie.
Beginnen wir diese Geschichte über Medien, Politik und Pressefreiheit im Jahr 1991, dem Beginn des letzten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts. Das ist gar nicht so lange her und doch war die Welt eine völlig andere – zumindest für uns Journalistinnen und Journalisten.
Beamen wir uns zurück in jenes Jahr: Urlauber hatten den Ötzi gefunden, in der Sowjetunion gab es den Putsch gegen Gorbatschow, und in Österreich regierte Franz Vranitzkys SPÖ mit satten 44 Prozent. Wir waren noch lange nicht Mitglied der EU, ein Knirps namens Sebastian Kurz besuchte den Kindergarten, und in den USA betrat der Zahnarzt-Sohn Mark Zuckerberg die erste Klasse. Noch etwas war bemerkenswert: Es gab in den Haushalten kein Internet, aber Vierteltelefone.
1991 war für mich ein wichtiges Jahr, denn da verfasste ich meinen ersten Zeitungsartikel, kurz nach der Matura war das. Ich erzähle meinen Studierenden an der Fachhochschule für Journalismus gerne, wie man damals Nachrichten an ein Massenpublikum verbreitete. Ich besaß keinen eigenen Computer, ich schrieb also, so wie Generationen vor mir, auf einer Schreibmaschine, dann faxte ich den mit Tipp-Ex korrigierten Text vom Postamt Eichgraben, wo ich wohnte, in die Redaktion des „Kurier“. Ein Handy war damals so groß wie heute ein Farbdrucker. Und für einen Studenten natürlich unerschwinglich.
Beim „Kurier“, wo ich als Praktikant begann, übernahm eine Sekretärin den Text und übertrug ihn in den Redaktionscomputer. Ein Redakteur „redigierte“ den Bericht und kürzte ihn. Dann kam der Ressortleiter an die Reihe, korrigierte und kürzte. Dann las der Chefredakteur den Text, auch er kürzte und korrigierte. Und nachdem mein Elaborat durch all diese Kontrollschleifen geflossen war, wurde es von Druckern gesetzt, belichtet und gedruckt. Kurz vor 17 Uhr holte dann beim Druckzentrum Inzersdorf des „Kurier“ ein Busfahrer die Zeitungen ab, und arabische Kolporteure übernahmen die Stapel am Westbahnhof, um sie auf den Straßen Wiens um ein paar Schilling – es gab keinen Euro – zu verkaufen. Mein Vater kaufte den „Kurier“, ich las meinen Text abends und war mächtig stolz, dass die rund 1.000 Zeichen, die ich da recherchiert und geschrieben hatte, nun tatsächlich von einem Massenpublikum gelesen werden konnten. 1.000 Zeichen, das ist heute die Länge eines kleinen Facebook-Postings.
„Ja, Leute, so war das damals“, sage ich dann meinen Studierenden auf der Journalismusschule – und sie gähnen und höhnen vermutlich „Opi erzählt vom Krieg“. Nichts langweilt sie mehr als die ausführlichen Beschreibungen dieses überkommenen journalistischen Produktionsprozesses, der aber doch für Qualität bürgte. Manche nehmen – während ich spreche – ihr Handy raus und twittern ein paar hundert Zeilen an ein Publikum, das vielleicht viel größer war als jenes, das mein Text damals via „Kurier“ erreichte.
Warum schildere ich diese Schnurre so ausführlich? Weil sie zeigt, wie radikal sich der Journalismus verändert hat. Vergessen ist, dass wir 1991 als einzige Nachrichtensendung nur die „Zeit im Bild“ auf beiden TV-Kanälen sehen mussten, denn Privatfernsehen gab es ja nicht, auch Privatradio war noch verboten, es gab sogenannte „Radiopiraten“, die illegal sendeten und förmlich gejagt wurden. Das „Mittagsjournal“ war auf Ö3 durchgeschaltet, eine Stunde lang. Etwa 900.000 Menschen abonnierten die „Kronen Zeitung“, sie war eine Macht im Staat. Dies entspricht heute der Zahl der Follower von Heinz-Christian Strache oder Sebastian Kurz auf Facebook.
Der Journalismus und das analoge redaktionelle Handwerk der beginnenden Neunzigerjahre, auch das ist wichtig, unterschied sich nicht bahnbrechend von jenem vierzig Jahre davor. Die digitale Revolution, die alles auf den Kopf stellte, war zwar an den technischen Universitäten schon längst vorbereitet, es sollte aber noch ein wenig dauern, ehe das World Wide Web massentauglich wurde. 1995 benutzten erst rund vier Prozent der Österreicher Internet – und zwar mit diesen quiekenden Modems.
Aber der Umschwung kam dann so radikal, so schnell (und so verlockend), dass wir uns erst langsam orientieren und uns fragen müssen: Was ist da eigentlich passiert? Und was haben Trump, Brexit, Strache, also die Herausforderer der liberalen Demokratie, damit zu tun?
Bleiben wir noch in den Neunzigern. 1995, Amazon war gerade ein Jahr alt, gab es nur etwa 400 Online-Medien auf der Welt. Niemand wollte Nachrichten auf grün-schwarzen Bildschirmen konsumieren. Aber ein paar Utopisten dachten schon weiter. Nicholas Negroponte vom MIT etwa schwadronierte im Netzmagazin „Wired“ von den „digital citizens“, die überall auf der Welt alle Informationen beziehen und digitale Medien lesen werden können. Negroponte, der verwegene Träumer, schwadronierte sogar von Uhren, auf denen wir Nachrichten empfangen werden, und von Computern mit eingebauten Kameras (wir fotografierten ja noch alle auf Kodak-Filmen, damals gab es diesen Konzern noch). Die Apple- Aktie, heute bei etwa 200 Dollar, lag damals bei 2 Dollar. Von den großen Social-Media- Monopolisten war noch keine Rede, Mark Zuckerberg besuchte gerade die High School, er war 11 Jahre alt. Google sollte erst drei Jahre später, 1998, gegründet werden. Gute Computer waren groß wie Hundehütten, aber die Verruchten segelten schon mit einem Browser namens Netscape Navigator durchs Internet, und an den Unis bekamen Studierende kostenlose E-Mail-Adressen und vernetzten sich.
Eine utopische Zeit brach auch für uns Journalisten an. 1998 war nicht nur das Gründungsjahr von Google, sondern ein kleiner Trupp ambitionierter „Standard“-Leute schuf auch den „Online-Standard“, ein Jahr später richteten die Visionäre der Zeitung ein „Forum“ ein. In solchen Foren geschah Revolutionäres. Die Leute konnten Artikel direkt kommentieren, die „User“, wie Leser auf einmal genannt wurden, konnten mitreden, uns Journalisten widersprechen, mit uns debattieren. Den „Hass im Netz“ gab es noch nicht, zumindest war er kein Massenphänomen. Im „Falter“ erschien noch Ende der Neunziger ein Artikel, in dem ein Psychiater das merkwürdige Verhalten einer jungen Frau analysierte, die jeden Tag ein Bild von sich ins Netz stellte. Das war irgendwie pathologisch. Das war die Welt, aber wir Journalisten hatten immer noch die Definitionsmacht, das Wort vom „gatekeeper“ war ebenso wenig geläufig wie der Begriff „paywall“.
Im September 2001, als Terroristen ins World Trade Center steuerten, brauchte George Bush noch klassische Medien, um seine Rede an die Nation zu verbreiten. Denn Smartphones gab es noch nicht, geschweige denn YouTube. Wir haben es alle vergessen, aber wir sahen die Terroranschläge im Fernseher, wir konnten sie nicht in sozialen Netzwerken kommentieren, weil es keine sozialen Netzwerke gab. Und auch die Politiker brauchten uns Journalisten. Twitter, das heute Nachrichten schneller verbreitet als Erdbebenwellen über den Erdball rasen, war noch nicht erfunden.
Das sollte sich schon bald ändern. Drei Jahre nach den Anschlägen, 2004, gründete Mark Zuckerberg sein erstes soziales Netzwerk, Face-Match. Der Kram wurde an seiner Uni verboten, weil es der Bewertung von Studentinnen diente. Dann aber kam schon Facebook, das Studierenden-Netzwerk, in dem heute etwa 2,34 Milliarden Menschen verbunden sind. In Worten: Zweikommadreiviermilliarden. Das entspricht der Zahl der gesamten Menschheit Ende der 1940er Jahre.
Zuckerberg profitierte natürlich von einer anderen revolutionären Erfindung: dem Smartphone. Fast hätte man auch das vergessen: Erst 2007, in Österreich war Wolfgang Schüssel schon ein Jahr abgewählt, kam dieses neumodische Ding auf den Markt und verdrängte den Weltmarktführer Nokia, auf dessen Handys alle noch gemütlich „Snake“ spielten oder mit T9 texteten.
Das Smartphone wurde nicht nur zum digitalen Schweizermesser des 21. Jahrhunderts, es verwandelte uns auch so radikal wie zuvor vielleicht nur Automobil, Telefon und Fernseher. Wir verwandelten uns, wie es der deutsche Kommunikationswissenschaftler Bernhard Pörksen nennt, zur „redaktionellen Gesellschaft“, jeder konnte auf einmal in Sekundenschnelle Nachrichten produzieren und – noch viel wichtiger – Nachrichten teilen. Die großen Plattformen YouTube, Facebook und Google machten es möglich, sie wurden datenhungrig, und sie bemächtigten sich einer wichtigen Institution: der Medien und deren alten Handwerks – des Journalismus. Es entstand, was Shoshana Zuboff den „Überwachungskapitalismus“ nennt. Wir werden durchsichtig.
Die klassischen Zeitungsverleger machten in dieser frühen Phase schwere strategische Fehler: Sie schenkten die teuer produzierte Arbeit ihrer Journalistinnen und Journalisten her und nannten sie spöttisch „Content“. Junge Online-Redakteure, meist schlechter bezahlt, verspotteten die alten journalistischen Handwerker als Holzarbeiter. Der wechselseitige Respekt war nicht gegeben.
Nicht nur Abonnenten konnten nun lesen, was in einer digitalisierten „Zeitung“ stand, sondern alle – auch jene, die nicht bezahlten. Die Verleger lieferten ihr Publikum der Werbung aus, aber der Deal ging nicht auf. Es rutschten nicht nur die Einnahmen und die Abos weg, sondern auch der Traum von der lukrativen Online-Werbung platzte. Ein paar Zahlen: Facebook machte anno 2010 einen Werbeumsatz von rund 1,8 Milliarden Dollar. Nur acht Jahre später waren es schon 40 Milliarden (vierzig), das ist soviel, wie der gesamte deutsche Medienmarkt zusammen in Sachen Werbung umsetzt. Alphabet, der Mutterkonzern von Google, erwirtschaftet einen Werbeumsatz von 116 Milliarden Dollar. Anno 2004 waren es 0,4.
Es ist ein Krieg ums Geld im Gange, den alle viel zu spät bemerken: Der klassische Journalismus, finanziert von Werbung und Leserschaft, schlittert in die Strukturkrise. Werbeumsätze brechen weg – anno 2008 auch dank der Finanzkrise –, und das Tageszeitungssterben beginnt. Die Leserinnen und Leser wenden sich von ihren Blättern ab, die sie noch ein paar Jahre zuvor morgens bei Kaffee und Kipferl lasen – auch dank der Gratiskultur im Netz, aber auch aufgrund der revolutionären Art, wie uns Nachrichten auf einmal erreichen, nämlich in selbst editierten „Timelines“.
Dort passiert Bemerkenswertes: das Design der Social Media macht es möglich, dass die journalistische Marke, also das publizistische Alleinstellungsmerkmal eines Medienhauses, verschwindet. Für „User“, die süchtig gemacht werden, vor allem die nichtjournalismusaffinen, wird es immer schwieriger, in der Social-Media-Infrastruktur zwischen einem Pamphlet aus einer rechtsextremen Fake- News-Postille oder der „New York Times“ zu unterscheiden.
Die ersten Trollfabriken werden gebaut. Von Russen oder Donald Trump. Politiker entdecken die Macht der Algorithmen und die Wucht von Fake-Accounts. Facebook verdient daran Milliarden. Donald Trump, so erinnert der Verschwörungsforscher Michael Butter, beginnt schon 2011 Verschwörungstheorien über Barack Obama zu verbreiten und merkt: das klicken Millionen. Es entstehen die berüchtigten Echokammern und Filterblasen. Nachrichten werden nicht mehr am gemeinsamen Lagerfeuer, dem TV-Gerät, konsumiert, sondern ständig gereizte Leute bekommen algorithmisch genau das geschickt, was Facebooks Maschinen ausgewählt haben. Es geht nicht darum, der Gesellschaft etwas über die Gesellschaft zu erzählen (das wäre der verlegerische Ansatz), sondern möglichst lang im System Facebook zu verweilen, am besten emotionalisiert und elektrisiert. Es sind die Rechtspopulisten, die diese neue Welt für sich entdecken und etwas wiederentdecken, was die klassische politische Kommunikation radikal verändern wird: die Propaganda. Die „Parteizeitungen“, eine ausgestorben geglaubte Spezies, werden digital neu erfunden. Mit radikal höherer Wirkmacht. Beispiel Österreich: Die FPÖ errichtet Medienkanäle – unzensuriert. at und FPÖ-TV –, die sich als klassische Medien tarnen und „Unabhängigkeit“ vorgaukeln, wo doch nur Abhängigkeit vorhanden ist. Sie bauen News Rooms nach und schnitzen Internet- Auftritte, die jenen von Qualitätsblättern täuschend ähnlich sehen.
In einem zweiten Schritt verteilen diese Volksverführer über ihre Social-Media-Kanäle Fake-News-Storys oder einfach nur einseitige Parteipropaganda an ein exponentiell wachsendes Publikum. Die Stories müssen emotional sein, also Leute aufbringen und bewegen, denn nur dann reiht der Facebook-Algorithmus die Geschichten nach oben. Likes, Retweets, Shares: Die Logik der Social-Media-Konzerne, ihre Emojis und Wut-Smileys, färbt auf „politics of emotion“ ab.
Während auf diese Art Propaganda als unabhängiger Journalismus getarnt das Netz flutet, diskreditieren Populisten (nicht nur, aber vor allem von rechts) die klassischen Journalistinnen und Journalisten. Jene, die „the best obtainable version of the truth“ (so der Watergate-Aufdecker Carl Bernstein) suchen, würden Fake News produzieren, das Schlagwort der „Lügenpresse“ taucht auf. Einzelne Fehlleistungen in Medienhäusern (die oft selbst entdeckt und richtiggestellt werden, siehe Relotius) werden als pars pro toto geframt.
Und da passiert etwas sehr Erstaunliches, wie Alan Rusbridger, Herausgeber des „ Guardian“, in seiner kürzlich erschienenen Biografie bemerkt: Fakes werden zu Facts. Und Facts werden zu Fakes. Vor allem Verschwörungstheorien ziehen die Menschen des 21. Jahrhunderts erstaunlicherweise in den Bann. Dass Donald Trump Journalisten als „enemy of the people“ bezeichnet, ist da nur ein konsequenter Schritt. Der Journalismus steht nun vor einem fast unlösbaren Problem: Er kostet Geld und kann daher nicht in dieser Welt des Gratiscontents mithalten. Wahrheit, schreibt Rusbridger, bleibt in einer „gated community“ zurück, während Propaganda frei flottiert. Wir sehen: Nur noch in alten Despotien – Türkei, Russland, China – werden die Journalisten inhaftiert. In der westlichen, freien Gesellschaft sperren die Strukturen die Wahrheit ein.
Und noch etwas passiert: Jeder und jede wird Teil einer redaktionellen Gesellschaft. Leute vernetzen sich, sie bilden, wie es Kommunikationswissenschaftler Pörksen nennt, „Konnektive“, die – anders als Kollektive – keine Hierarchien und keine Medien als „Mediatoren“ brauchen. Es entsteht etwas Neues: die fünfte Macht. Sie treibt den klassischen Journalismus an, verändert ihn und kontrolliert ihn aber auch.
Das hat etwas Utopisches, weil sich plötzlich jene eine Stimme verschaffen können, die sich in klassischen Medien kein Gehör verschaffen konnten, denken wir an die Bewegungen #metoo, #metwo oder #aufschrei. Oder an die kleine Martha Payne, ein neunjähriges Mädchen, das jeden Tag ein Foto ihres britischen Schulessens twitterte und den Fraß beklagte. Ihre Fotos forderten nicht nur die Schulverwaltung heraus, die Payne zensieren wollte, sondern sie führten zur Solidarität des Starkochs Jamie Oliver, der dem Mädchen eine internationale Aufmerksamkeit und dem Thema Kinderernährung eine politische Brisanz verschaffte, bis auch die „New York Times“ das Thema entdeckte.
Das ist die utopische Vision, wie sie Negroponte vorschwebte: Der Bürger ist in einer redaktionellen Gesellschaft, ist „wirkmächtig“ geworden. Die Mönche in Burma, die iranischen Studenten, die Chinesen in Hongkong, die freiheitsliebenden Araber: Sie alle wollten sich in Social Media zu Wort melden – auch wenn es ihnen letztlich nicht viel nutzte, aber das ist eine andere Geschichte.
Die dystopische Variante einer „konnektiven“ und „redaktionellen“ Gesellschaft erleben wir bei Pegida, bei #merkelmussweg oder den Netzwerken der Alt-Right-Bewegung, in der sich auf einmal jene eine Stimme verschaffen können, die früher als Sonderlinge am Rande des Schulhofes ausharren mussten. Die Wutbürger, die Fanatiker, die Extremisten, die Hetzer: Sie können sich zu einem digitalen Heugabelmob verbinden und werden von populistischen Politikern gezielt adressiert, in den USA, in Indien, in Brasilien oder in Ungarn. Und auch sie haben auf einmal Wirkmacht. Dass Donald Trump Präsident geworden ist, dass die Briten tatsächlich für den Brexit stimmen, dass Heinz-Christian Strache 50.000 Vorzugsstimmen erhält, obwohl er wegen Korruption zurücktreten musste: Das erklärt sich auch mit den von ihnen gezimmerten Filterkammern und der Propaganda, die die Bürger dank der Facebook-Algorithmen treffsicher am Smartphone, also im Hosensack, unentwegt erreicht.
Was also bleibt? Die Gefahren, die in westlichen Gesellschaften für die Presse ausgehen, sind nicht mehr Zensur, Haft oder Repression durch Despoten. Das mag in der Türkei und in China noch so sein: Das bei uns versprühte Gift wirkt nachhaltiger. Im letzten Vierteljahrhundert hat sich etwas herausgebildet, mit dem die Utopisten von einst nicht rechneten: gigantische Medien-Infrastruktur-Monopolisten, die intransparent und eigennützig die öffentliche Arena definieren und zwar nach ihrem Gutdünken. Sie zahlen kaum Steuern (eine Werbeabgabe trifft sie nicht), sie scheuen die Verantwortung.
Daher muss der Staat eingreifen, er muss den Journalismus als demokratiepolitisches Kulturgut wiederentdecken und seine Unabhängigkeit fördern, so paradox das jetzt auch klingt. Es braucht eine Presseförderung, die Ausbildung und Handwerk subventioniert. Es braucht eine europäische Medien-Infrastruktur, die den Werten der Transparenz und dem Datenschutz verpflichtet ist. Es braucht auch ein Bewusstsein der Konsumentinnen und Konsumenten, also der redaktionellen Gesellschaft: Sie muss Nachrichten auf ihre Relevanz prüfen, ehe sie diese „teilt und likt“, sie hat ein Recht auf Transparenz (Wer schickt mir Nachrichten in die Timeline und warum?), und die klassischen Medienhäuser müssen ihre Marken wieder sichtbar machen – auch durch Mitgliedschaften, die man früher Abos nannte.
Vielleicht muss – wie vor kurzem in der Nahrungsmittelindustrie – ein Bewusstseinswandel einsetzen: Was esse/lese ich da? Wo ist Batterie- Journalismus, und wo gedeiht er in Freiheit? Unter welchen Bedingungen wurde dieser Artikel produziert? Wer bezahlte für den Inhalt, den ich lese? Und welche Medien will ich finanziell fördern?
Besteht Grund zum Optimismus? Ja. Der Trump-Effekt beschert nicht nur der „New York Times“ und der „Washington Post“ Rekord- Leserzahlen, die „User“ wollen offenbar auch wieder „Leserinnen und Leser“ sein und für die Nachrichten bezahlen. Vielleicht nicht mehr in den alten Abo-Formaten, die man wie eingetretene Kaugummis nicht mehr loswird, sondern spontaner durch Spenden (wie etwa beim „Guardian“) oder mittels Mitgliedschaften („Die Freunde der ZEIT“) bei massenmedialen Thinktanks, die mehr bieten als ausgedruckte Nachrichten; die sich als Thinktanks verstehen, als Denkwerkstätten der redaktionellen Gesellschaft voller digitaler Bürger. In den nächsten 25 Jahren wissen wir, ob diese Utopie Realität geworden ist.