Es ist sehr wahrscheinlich, dass Österreich seine Vorgaben im Umweltschutz nicht erfüllt. Das hat nicht nur Folgen für das Ökosystem. Der Klimawandel verbrennt auch Milliarden Euro.
Die Chancen stehen statistisch nicht schlecht, dass Sie eine dieser Personen sind. Eine von zwei nämlich, für die bei der vergangenen Nationalratswahl am 29. September der Klimawandel besonders relevant war. Bei einer repräsentativen Umfrage der Meinungsforscher Fritz Plasser und Franz Sommer gaben 50 Prozent der Befragten an, dass „die Folgen des Klimawandels“ bei ihrer Wahlentscheidung eine „ganz besonders wichtige Rolle“ spielten. Überhaupt gab es kein Sachthema, das für diesen Urnengang bedeutender war: 40 Prozent der Befragten sorgten sich laut eigenen Angaben wegen der Folgen des Klimawandels. Das Thema, das im Jahr 2017 die Nationalratswahl dominierte, landete hingegen auf Platz zwei: 31 Prozent nannten Flucht und Asyl als Bereiche, die ihnen Sorgen bereiten.
Diesen Wandel bemerkten auch die politischen Parteien. Plötzlich bemühten sich alle Kandidatinnen und Kandidaten darum, zumindest eine Forderung für den Umweltschutz zu stellen. Zuerst wandelte sich der thematische Fokus der Gesellschaft, dann die politischen Verhältnisse: Die Grünen zogen eineinhalb Jahre nach ihrer Wahlniederlage im Jahr 2017 wieder in den Nationalrat ein. Drei Monate später gingen sie mit der ÖVP erstmals eine Koalition auf Bundesebene ein.
Wenn Sie allerdings nicht zu den Personen zählen, für die der Klimawandel ein wichtiges Wahlmotiv war, blättern Sie bitte trotzdem nicht weiter. Denn es gibt viele Gründe, warum sich Österreich bemühen sollte, seine Klimaziele einzuhalten – auch abgesehen von der Erhaltung des ökologischen Systems, wie wir es heute kennen. Zum Beispiel finanzielle Motive: Der Klimawandel wird Milliarden Euro verbrennen, wenn sich Österreich nicht an die internationalen Vorgaben hält. Bis 2030 könnten Strafzahlungen in der Höhe von neun Milliarden Euro anfallen, berechneten Expertinnen und Experten. Laut Studien des Energieinstituts der Johannes Kepler Universität (JKU) in Linz bleiben auch wertvolle ökonomische und sozialpolitische Effekte ungenutzt, wenn Österreich nicht aktiv wird.
Paris, die Stadt der Klimaziele
Ein wichtiger erster Schritt im Umweltschutzbereich wurde vor rund vier Jahren gesetzt: Am 12. Dezember 2015, um kurz nach 19.00 Uhr, blickte die Öffentlichkeit mit Optimismus und auch etwas Verwunderung nach Frankreich. Der damalige Außenminister des Landes, Laurent Fabius, hatte gerade in die Runde geschaut und die alles entscheidende Frage gestellt: Hat jemand der Anwesenden Einwände gegen das vorliegende Abkommen? Hatten sie nicht. „Ich sehe den Saal, die Reaktion ist positiv, ich höre keine Einwände“, sagte Fabius also. Damit hatten 195 Staaten das Pariser Klimaabkommen angenommen – und sich öffentlichkeitswirksam zu einem gemeinsamen Ziel bekannt.
Die zentrale Vorgabe aus Paris: Die Erde soll sich im Vergleich zur vorindustriellen Zeit um nicht mehr als zwei Grad erwärmen. Im Idealfall wird die Erwärmung sogar bei 1,5 Grad gestoppt. Außerdem darf der Ausstoß von Treibhausgasen nicht weiter zunehmen und muss in einem zweiten Schritt reduziert werden.
In Österreich ist das Klimaabkommen seit November 2016 in Kraft. Davor musste der Vertrag im Nationalrat und im EU-Parlament ratifiziert werden. Auf beiden Ebenen stimmten alle heimischen Parteien dem Abkommen zu, mit einer Ausnahme: Die FPÖ lehnt die Vorgaben des Pariser Klimaabkommens ab.
Aber auch nicht alle Parteien, die den Vertrag unterstützten, bemühten sich um seine Umsetzung. Oder zumindest nicht sofort. Die damalige Bundesregierung, bestehend aus SPÖ und ÖVP, kündigte zwar eine ökologische Steuerreform an. Allerdings wollte sie sich erst darum kümmern, nachdem ihre ursprünglichen Steuerpläne umgesetzt waren. Es kam nicht dazu. Bis heute wurde das österreichische Steuersystem nicht mit einem ökologischen Schwerpunkt reformiert. Die heutige Koalition zwischen ÖVP und Grünen will das Land nun bis 2040 klimaneutral machen. Österreich soll also weniger klimaschädliche Emissionen ausstoßen, als es speichert und kompensiert. Detaillierte Maßnahmen gibt es aber noch nicht.
Die (vielleicht) unerreichbaren 36 Prozent
Dabei verfehlt Österreich bereits schon jetzt die Klimaziele, die sich das Land nach dem Pariser Abkommen gemeinsam mit der Europäischen Kommission auferlegt hat. Die Vorgabe: Bis 2030 sollen um 36 Prozent weniger Treibhausgase ausgestoßen werden als im Jahr 2005. Doch die bisherigen Maßnahmen sind zu wenig weitreichend, warnen Expertinnen und Experten. Je länger Österreich säumig ist, desto ambitionierter wird das Ziel. Die Emissionen müssten nun um mindestens 50 Prozent bis 2030 reduziert werden, um die Vorgaben einzuhalten. Laut Umweltbundesamt wurden 2016 in Österreich knapp 80 Millionen Tonnen CO2 emittiert. 2017 stieg der Ausstoß von Treibhausgasen um rund drei Prozent. Expertinnen und Experten rechnen auch nicht damit, dass der Negativtrend in den Folgejahren aufgehalten wurde.
Auch global betrachtet gibt es keine guten Nachrichten: Laut dem „Emissions Gap Report“ der UNO ist der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen so hoch wie nie zuvor. Im Vergleich zu 2017 stiegen sie auch international um rund drei Prozent.
Emissionen senken, BIP steigern
Dabei gäbe es genügend Maßnahmen, um positive Effekte zu erzielen. Nicht nur für das Klima, sondern auch für Wirtschaft und Gesellschaft. Einige Pläne liegen auch schon vor, säuberlich aufgearbeitet und durchgerechnet. Zum Beispiel am Energieinstitut und am Forschungsinstitut für Bankwesen der Johannes Kepler Universität in Linz. Laut einer Studie könnte Österreich mit einer ökosozialen Steuerreform und der Förderung innovativer Technologien durchschnittlich 3,3 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr einsparen. Das Bruttoinlandsprodukt würde um 2,2 Milliarden Euro pro Jahr gesteigert. Und die Beschäftigung könnte um bis zu 4.000 Stellen pro Jahr (Vollzeitäquivalente) zunehmen.
Um das zu erreichen, müssen allerdings einige wichtige Punkte beachtet werden, sagt Sebastian Goers von der Abteilung Energiewirtschaft am Energieinstitut an der JKU. Der Experte ging in seiner Studie von zwei steuerlichen Maßnahmen aus, die im Kampf gegen den Klimawandel helfen sollen: Einerseits die Einführung einer CO2-Bepreisung in bestimmten Bereichen, mit der die Regierung den Ausstoß von CO2 verteuern könnte. Andererseits eine Erhöhung der Mineralölsteuer auf Benzin und Diesel, die dazu führen soll, dass weniger klimaschädliche Kraftstoff e verwendet werden.
„Ein Punkt bei dieser Reform ist essenziell“, sagt Goers. „Sie muss aufkommensneutral sein.“ Das Geld, das durch die höheren Steuern eingenommen wird, soll nicht in das staatliche Budget fließen und dort bleiben. Wichtig seien auch Förderungen und Investitionen. Das sei einerseits aus ökonomischer Sicht sinnvoll. Andererseits würde die Maßnahme auf diese Weise eher politisch akzeptiert werden. „Das Geld, das durch die Steuererhöhungen eingenommen wird, muss also auch ökologisch, sozial verträglich und wirtschaftlich innovativ rückvergütet werden“, so der Experte. „Ein Teil der Steuereinnahmen sollte in Schlüsseltechnologien wie Wasserstoff aus erneuerbarer Energie, Biomethan oder thermische Sanierungen investiert werden.“ Damit werden neue, klimafreundliche Technologien gefördert. „Und man generiert auch positive volkswirtschaftliche Effekte“, sagt Goers. Die zusätzlichen Steuereinnahmen könnten auch Anlass sein, die Lohnnebenkosten zu senken. Und das könnte wiederum zu einem Wirtschaftswachstum und einer höheren Beschäftigungsquote führen. So profitiert am Ende wieder der Wirtschaftsstandort davon.
Abseits von der Industrie müsse auch ein anderer Aspekt beachtet werden, meint Goers: „Einen Teil des Geldes könnte man dafür verwenden, um die Kosten von einkommensschwachen Haushalten zu kompensieren.“ Die Steuererhöhungen würden Familien mit geringem Einkommen verhältnismäßig stark treffen. Diesen Effekt könnte man mit Förderungen und Kompensationszahlungen abfedern.
Eine CO2-Bepreisung ist eine mögliche Maßnahme für die Politik, um den Ausstoß von Emissionen zu verringern. Die gezielte Förderung von klimafreundlichen Technologien und Verkehrsmitteln eine andere. Und auch jede Einzelperson kann ihre CO2-Bilanz verbessern. Die Lösungen sind großteils bekannt: zum Beispiel Flugreisen vermeiden. Laut der Europäischen Umweltagentur könnten im Jahr 2050 die Luftfahrt 22 Prozent aller globalen Emissionen verursachen. Joseph Poore von der University of Oxford kam 2018 bei einer viel beachteten Studie aber vor allem zu einem Schluss: Eine vegane Ernährung hat die größten positiven Auswirkungen auf die Umwelt. Personen, die auf tierische Produkte verzichten, reduzieren ihre Bilanz laut dem Ökologen um zwei Tonnen jährlich, rechnete er im „Spiegel“ vor.
Klimasünderinnen und -sünder werden rechtlich nicht bestraft
Eine solche Lebensweise ist allerdings mit Einschränkungen verbunden. Einzelnen fehlt es oft an Ressourcen oder Motivation, um sie im Alltag zu führen. So ist es auch mit der Politik. Denn rein rechtlich gesehen drohen dem Land ohnehin keine Konsequenzen, wenn es seine Klimaziele auch weiterhin nicht erreicht. Im Pariser Klimaabkommen sind keine Strafzahlungen vorgesehen. „Das war auch so gewollt, damit überhaupt alle Staaten zustimmen“, sagt Marie-Theres Holzleitner, Energierechtsexpertin an der JKU. Als die EU den Vertrag ratifizierte, gab sie allerdings Ziele für die einzelnen Mitgliedstaaten vor. Österreich muss eben seine Emissionen um 36 Prozent reduzieren. Erfüllt das Land diese Zahl nicht, verstößt es gegen die EU-Vorgaben, erklärt die Expertin. „Die Europäische Kommission könnte dann ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten.“ Das wäre der Beginn eines bürokratischen und langwierigen Prozedere: Österreich wäre aufgerufen, seine Verfehlungen zu erklären. Es müsste Maßnahmen vorlegen, wie es die Ziele noch erreichen wolle. Die Kommission würde diese Maßnahmen beurteilen, „und wenn Österreich die Vorgaben wieder nicht erreicht, können finanzielle Sanktionen in Form eines Pauschalbetrags oder eines Zwangsgeldes vorgeschrieben werden“, sagt Holzleitner. Man greife aber eher zu anderen Mitteln: „Primär wird beim Pariser Klimaabkommen mit Negativberichterstattung gearbeitet.“ Man wolle säumige Mitgliedstaaten an den medialen Pranger stellen. Man hoff t also darauf, dass sich Österreich aus Imagegründen an die Vorgaben hält.
Wer säumig ist, muss viel Geld zahlen
Es gibt allerdings noch ein anderes Druckmittel, das womöglich effektiver ist: Geld. Schaff t es Österreich nicht, weniger Treibhausgase zu emittieren, kann es sich sozusagen freikaufen. Das macht der Emissionshandel möglich: Die Europäische Union gibt eine Menge an Emissionen vor, die ihre Mitgliedstaaten insgesamt ausstoßen dürfen. Zusätzlich gibt es für jedes Land noch individuelle Vorgaben. Produziert ein Land weniger Abgase als geplant, hat es ein „Guthaben“ und kann dieses in Form eines Zertifikats verkaufen. Umgekehrt kann ein Land, das säumig ist, durch ein neues Zertifikat seine Versäumnisse wiedergutmachen.
Und Österreich ist säumig: Das Umweltministerium bestätigte schon 2019, dass bis zum Jahr 2030 Kosten von bis zu 6,6 Milliarden Euro anfallen könnten. Der Dachverband Erneuerbare Energien prognostiziert sogar noch eine höhere Summe: „Da aus heutiger Sicht nicht davon auszugehen ist, dass die EU-Staaten ihre Ziele wesentlich übertreffen, werden jene, die ihre Ziele erfüllen, diese Berechtigungen teuer verkaufen“, heißt es in einer Stellungnahme. Es sei also mit einem Wert von knapp neun Milliarden Euro zu rechnen.
Die Klimakrise wird für Österreich also teuer. Laut der Umfrage von Plasser und Sommer sorgten sich 17 Prozent der Befragten bei der Nationalratswahl um die steigenden Preise und die sinkende Kaufkraft. 26 Prozent fürchteten eine hohe Steuer- und Abgabenbelastung. Sollten Sie dazugehören, sorgen Sie sich nun vielleicht auch um die Einhaltung der Klimaziele.