Exoskelette können Querschnittsgelähmten helfen und Rückenprobleme bei Schwerstarbeit verhindern. Aber sie könnten den Menschen auch optimieren und zu noch mehr Leistung treiben. Wo endet die Optimierung? Und wo beginnt die Entmenschlichung?
Der Iron Man fliegt durch die Luft, landet unsanft, sprintet in unmenschlichem Tempo, feuert aus seinen Armen, springt, rollt sich ab. Die Bewegungen sind schneller als die seiner Gegner. Dank seines Supersuits kann Tony Stark in den „Iron Man“-Verfilmungen Leistungen erbringen, die allen anderen Menschen unmöglich sind. Gut für Tony Stark, der einen Hofstaat an Bösewichten auf den Fersen hat, aber ein Problem für Sandra Siedl. Sie arbeitet am LIT Robopsychology Lab der Johannes Kepler Universität Linz. Gerade erforscht sie im Projekt „ExoBility“ die Auswirkungen von Exoskeletten auf die Arbeitswelt und ist auch konfrontiert mit Vorurteilen, die gegenüber der Technik herrschen. Sie sagt: „Wir sind mit falschen Erwartungshaltungen konfrontiert. Filme wie ‚Iron Man‘, ‚Elysium‘ und ‚Edge of Tomorrow‘ prägen unsere Vorstellung von Technologie. Wir müssen dann immer wieder sagen: Stopp! Diese Film e sind Science-Fiction, in der Realität sieht es ganz anders aus.“
Die Realität ist: Supersuits gibt es noch lange nicht, hoch entwickelt e Exoskelette dagegen schon. Exoskelette, das sind, wie Siedl es formuliert, physische Assistenzsysteme, die direkt am Körper getragen werden. Anders gesagt: Sie sind eine Art zweite Gelenkstruktur, die man an den Körper anlegt, als Handschuh überstreift, an den Rücken schnallt. Sie führen an den richtigen Stellen Energie zu und erleichtern so Bewegungsabläufe, schonen den Körper, stützen ihn. Im besten Fall beugen sie Verletzungen vor. Es gibt passive Exoskelette, die vor allem eine unterstützende Funktion haben, und aktive Exoskelette, die auf die Optimierung des menschlichen Körpers hin entwickelt werden und die wiederum zu ethischen Fragen führen.
Wie real sind Cyborg-Fantasien?
Ist der menschliche Körper nicht genug? Führt die Modifizierung und Optimierung des Körpers zu einer Entmenschlichung und dazu, dass immer mehr von uns erwartet wird, damit es weiter wirtschaftliches Wachstum um jeden Preis gibt? Müssen wir uns womöglich sogar Robotern anpassen, um mit ihnen auf dem Arbeitsmarkt mithalten zu können? Während Tech-Milliardäre und selbst ernannt e Cyborgs von der Unsterblichkeit durch Technik träumen, sich Chips und Sensoren unter die Haut setzen lassen, schreibt die Philosophin Lisa Herzog in ihrem Buch „Die Rettung der Arbeit“: „Bildung, Ausbildung, der Erwerb von ‚Humankapital‘, eine hohe Motivation und Leistungsbereitschaft – all das scheint keine Garantie mehr zu sein für ein geordnetes Arbeitsleben mit einem Einkommen, das ein gutes Leben ermöglicht. Zu unklar ist, wie die Umbrüche aussehen könnten, die Roboter, Algorithmen und Künstliche Intelligenz bringen werden. Einerseits wird eine goldene Zukunft ständig wachsenden Wohlstands prophezeit, in der alle lästigen Routineaufgaben an Maschinen delegiert werden können. Andererseits stehen Vorhersagen im Raum, die das Ende von weit über vierzig Prozent der derzeit existierenden Berufsbilder behaupten.“ Sie fordert, die Arbeit als soziales Gut zu sehen und darauf zu achten, dass der Mensch eben nicht ersetzt wird, sich nicht den Maschinen unterwerfen muss, sondern Mensch bleiben darf. Unternehmen, die Exoskelette herstellen, bewerben sie auf ihren Websites aber jetzt schon vor allem mit Keywords wie Maximierung und Effizienz.
Sandra Siedl vom JKU LIT Robopsychology Lab beschäftigen solche Fragen einerseits auch. Andererseits sagt sie, dass Exoskelette bisher noch viel zu limitiert sind, um dystopische Cyborg-Fantasien Realität werden zu lassen. Exoskelette können immer nur bei einzelnen Bewegungsabläufen helfen. Sie behindern die Träger*innen aber teilweise bei anderen Bewegungen, auf die sie nicht ausgerichtet sind. Konkret bedeutet das: Nur weil ein Exoskelett den Rücken entlastet, kann man deswegen nicht automatisch schneller gehen, sondern fühlt sich dabei womöglich sogar eingeschränkt. Außerdem sind die Skelette momentan noch sehr teuer. Die günstigsten Varianten kosten mehrere tausend Euro. Sie kommen im militärischen Bereich zum Einsatz, außerdem im medizinischen Sektor, wo sie unter anderem querschnittsgelähmten Menschen helfen können. Das Wiener Unternehmen „Tech4People“ kaufte beispielsweise für knapp 150.000 Euro einen Exoskelett-Anzug und bietet ihn nun auf Leihbasis für Therapien an. In einstündigen Trainings können damit Querschnittsgelähmte, die ihr Leben lang auf den Rollstuhl angewiesen sein werden, für kurze Zeit wieder aufstehen und so ihren Körper entlasten. Das soll die Atemfunktionen und die Knochendichte verbessern.
Exoskelette werden mittlerweile aber auch immer öfter im Arbeitskontext genutzt. Zum Beispiel in der Automobilindustrie, um Menschen, die schwere und sehr gleichförmig e körperliche Arbeit verrichten, zu unterstützen. Siedl betont, dass es nicht das eine Exoskelett gäbe. „Alle Exoskelette sind unterschiedlich, für eine bestimmte Tätigkeit entwickelt. Für die Überkopfarbeit in der Automobilproduktion oder für die Arbeit in handwerklichen Betrieben, um Rücken, Arme oder Füße zu schonen, zum Beispiel.“ Ihr geht es im Forschungsprojekt „ExoBility“ aber gar nicht primär um die Funktionsweise von Exoskeletten, sondern darum, was das mit den arbeitenden Menschen psychologisch macht, wenn sie plötzlich Technik am Körper haben, die viele mit Science- Fiction assoziieren. Denn klar, die zweiten Gelenke können helfen, aber wollen die Arbeitenden das überhaupt?
Eine Frage des Gefühls
Um das herauszufinden, hat Siedl verschiedene Experimente durchgeführt. Zum einen ließ sie Mitarbeiter* innen, unter anderem im Einzelhandel und in der Automobilbranche, Exoskelette tragen und führte anschließend Feedback-Interviews. Die Studienteilnehmer*innen hätten sich mit einem Exoskelett am Körper fremd gefühlt, kompetenter zwar, aber auch unmenschlicher und kälter. Den Beobachtenden ging es ähnlich. Selbst- und Fremdwahrnehmung überschnitten sich also. Einige Studienteilnehmer*innen hätten sich selbst spaßeshalber als „Robocop“ oder „Cyborg“ bezeichnet, wären aber auch öfter gefragt worden, ob sie sich verletzt hätten. Siedl sagt auch, dass sich rein körperlich nicht alle mit den Exoskeletten wohlgefühlt hätten. „Man muss Arbeitsvorgänge langsamer ausführen, das kommt bei den Träger*innen nicht immer so gut an, weil sie sich in den Bewegungen eingeschränkt fühlen.“ Es stellt sich nun die Frage, inwiefern der Nutzen von Exoskeletten für Arbeitnehmer*innen auch diese potenziellen negativen Effekte überwiegt.
Auch Alfio Ventura hat ein gewisses Unwohlsein empfunden, als er ein Exoskelett am Arm trug. Er war Teilnehmer eines weiteren Experiments von Siedl, in dem Menschen mit der sogenannten Ironhand Aufgaben verrichten mussten. Die Ironhand trägt man wie einen Handschuh. In den Fingerkuppen sind druckempfindliche Sensoren verbaut, die den Griff erkennen, den die tragende Person ausführt. Der Griff wird in den richtigen Momenten verstärkt. Alfio Ventura musste Kisten tragen, eine Schraube eindrehen und nieten. Die Ironhand habe sich dabei angefühlt wie ein ganz normaler Gartenhandschuh, sagt er, und gebracht habe ihm die zusätzliche Kraft in der Hand nur beim Nieten etwas. „Manchmal hatte ich aber das Gefühl, dass meine Hand etwas verkrampft und zusammengedrückt wird, und zwischen meiner Bewegung und der Kraftzufuhr gab es immer ein kurzes Delay“, sagt er. „Das hat sich nicht so gut angefühlt.“
Die Forschung zu Exoskeletten ist noch jung, ihre Verwendung befindet sich erst im Anfangsstadium. Es wird also noch lange dauern, bis junge, körperlich fitte Menschen wie Alfio Ventura einen wirklichen Nutzen daraus ziehen können und Exoskelette auch abseits von Schwerstarbeit, Militär und dem medizinischen Bereich gängig sind. Angst haben müssen wir vor den zweiten Gelenken nicht. Von Ironhand zu Iron Man ist es ein weiter Weg. Es bedarf also noch viel Forschungsarbeit, um die negativen Aspekte von Exoskeletten zu erkennen und zu diskutieren.