Das Wissenschaftsmagazin „Nature“ ist die weltweit wichtigste Fachpublikation im Gebiet der Naturwissenschaften. Von rund 100.000 eingereichten Studien werden jedes Jahr im Bereich Physik nur rund 40 veröffentlicht. Zwei davon stammen von Physikern der JKU Linz.
Zu viele Fotos auf dem Smartphone lähmen das System? Wenn der Markt die Arbeiten zweier Linzer Physiker aufgreift, wäre das Problem gelöst. Ihre neuartigen Materialien könnten der Entwicklung von Bauelementen dienen, die größere Speicher und energiesparende Transistoren ermöglichen. Dem renommierten Fachjournal „Nature“ waren diese Entdeckungen gleich zwei Publikationen wert.
Einer der beiden Beiträge stammt von Arthur Ernst, dem Vorstand der Abteilung für Vielkörpersysteme, und dreht sich um die theoretische Vorhersage dieser neuen Klasse von Materialien. Der andere wurde von Gunther Springholz und seinem Team von der Abteilung für Halbleiter- und Festkörperphysik verfasst und erläutert das Experiment, mit dem sich die Theorie bestätigen ließ.
Elektronen sind winzige Teilchen mit zahlreichen Eigenschaften. In der heutigen Elektronik kommt allerdings nur eine einzige Elektroneneigenschaft zum Einsatz, nämlich die Ladung. Ladung überträgt Strom. Doch die beiden Linzer Physiker wollen in der Stromübertragung neue Wege gehen und dabei den Eigendrehimpuls des Elektrons, auch Spin genannt, nutzen. „Den Spin kann man sich wie eine winzige Version der Erdrotation vorstellen. Ähnlich wie sich die Erde um ihre eigene Achse dreht, dreht sich das Elektron aus sich selbst heraus. Und ähnlich, wie die Erde an den Polen stabil ist, hat auch der Eigendrehimpuls eines Elektrons eine Ordnung“, erklärt Ernst. Das Elektron ordnet sich in allen Materialien durch den Spin. Diese besondere Eigenschaft verleiht dem winzigen Teilchen Magnetismus. „Wenn wir den Spin einschalten, ergibt das einen stabilen Magnetismus in bestimmten Materialien, und das wiederum gibt der Elektronik einen größeren Freiheitsgrad“, sagt Ernst.
Stabiler Magnetismus
Halbleiter sind Festkörper, deren elektrische Leitfähigkeit zwischen Leitern und Nichtleitern liegt. Sie kommen in nahezu allen elektronischen Geräten zum Einsatz. Die sparsamen Transistoren der Zukunft benötigen jedoch magnetische Halbleiter, die unter anderem Strom durch die Manipulation des Spins leiten können. Allerdings sind nur wenige magnetische Halbleiter bekannt. Sie lassen sich zwar aus herkömmlichen Halbleitern durch die gezielte Dotierung mit magnetischen Elementen, wie etwa Mangan, Eisen oder Kobalt herstellen. Jedoch sind solche Materialien in der Regel nicht stabil.
Was ist zu tun, um eine klimaneutrale Elektronik zu erhalten? Die Lösung nennt sich topologisch magnetische Halbleiter. Topologie ist ein Teilgebiet der Mathematik, das sich mit den Eigenschaften von Strukturen beschäftigt. Die in der Studie untersuchten topologischen Isolatoren weisen in ihrem Inneren andere Eigenschaften auf als an der Oberfl äche. Als Isolatoren leiten sie im Inneren keinen Strom, verhalten sich aber an der Oberfl äche nahezu wie perfekte Leiter, die den Strom fast verlustfrei transportieren.
Isolierend und leitend zugleich
Wie ist es möglich zu isolieren und doch zu leiten? „Wenn wir topologisch magnetische Halbleiter auf eine bestimmte Art und Weise anschneiden, wird einzig die Oberfl äche leitend, und dieser Strom fl ießt ungestört. Wenn wir dann auch noch eine Schicht von magnetischen Atomen, wie Eisen, Nickel, Kobalt oder Mangan, einbauen, entsteht eine gute, äußerst stabile magnetische Legierung“, erläutert Ernst. Der Schlüssel dazu ist der Spin, mit dem sich im Halbleiter eine metallische Mangan-Schicht erzeugen lässt. „Wir mussten ein magnetisches Feld einschalten, damit die Elektronen ihre eigene Ordnung schaff en und somit magnetisch werden. Die Ordnung der Manganschicht und aller anderen Atomschichten darüber und darunter ist dauerhaft“, sagt Ernst.
So weit die Theorie. Gunther Springholz und sein Team unterzogen sie dem Praxistest. Springholz ist in Physikkreisen dafür bekannt, „jeden Halbleiter backen“ zu können. Seine Reinmaterialproben sind weltweit begehrt. „Wir mengten topologischen Materialien magnetische Atome bei – und ganze Schichten wurden magnetisch, was das elektronische Verhalten des Materials verändert. In diesem Zustand kann der Strom widerstandsfrei geleitet werden, wodurch keine Energie verloren geht“, bestätigt Springholz: „Das senkt den Stromverbrauch.“
Das Prinzip funktioniert in unterschiedlichsten Materialien. Doch revolutionäre Veränderungen sind selten. „Die LED-Energiesparlampe aus Galliumnitrid wurde 1991 in Japan erfunden, und es dauerte 20 Jahre, bis sie den Massenmarkt erreichte“, nennt Springholz ein Beispiel für eine derartige Revolution. Was seine eigene Perspektive betriff t, gibt er sich bescheiden. „Es ist unwahrscheinlich, dass wir mit unserer Arbeit reich werden, denn von der Grundlagenforschung zur Anwendung ist es ein weiter Weg: Neben der Funktionalität sind am Markt vor allem auch Herstellungskosten, Verfügbarkeit, Effi zienz und Nachfrage ausschlaggebend.“
Publikationen als Karriere-Turbo
In der Grundlagenforschung, die nach Neuem strebt, entscheidet nicht der Markt, sondern die Qualität. Wer seine Arbeiten veröff entlichen will, muss strengen Qualitätskriterien standhalten. „Nature“, das meistzitierte Fachmagazin mit acht Millionen Leserinnen und Lesern, veröff entlicht in Physik bloß 30 bis 40 Studien von insgesamt 100.000 im Jahr. „Um einzureichen, muss man alle Experimente machen, die gemacht werden können, und das Thema aus allen relevanten Perspektiven beleuchten“, berichtet Ernst.
Für Forschende bedeutet eine Publikation in einem exzellenten Fachjournal so etwas wie die Welt. Der eigene Name in „Nature“ ist ein Karriere- Turbo in einem Berufsumfeld, in dem wissenschaftliche Zitationen die Währung sind. Gleichzeitig ist damit die Katze aus dem Sack. „Als wir sie erstmals publizierten, war unsere Idee neu. Jetzt haben wir Beachtung, aber auch Konkurrenz: Andere Teams nutzen unsere Ideen“, erklärt Ernst. Sowohl Ernst als auch Springholz verweisen in ihrer Vita auf je ein paar Hundert Publikationen.
Die beiden Linzer Forscher beschreiten den Weg zur grünen Mikroelektronik. Ihre Spin-Transistoren wären kleiner als heutige Chips. Sie könnten in gleicher Zeit mehr Arbeitsgänge vollziehen und dabei weniger Energie verbrauchen. Heute benötigen Supercomputer aufwändige Kühlsysteme, um nicht heiß zu laufen. In Zukunft könnten sie ohne Klimaanlage einen kühlen Kopf bewahren.