Der Sandfisch ist ein faszinierendes Tier. Vor Tausenden Jahren galt er als Aphrodisiakum, dann faszinierte seine Fähigkeit, durch Sand schwimmen zu können, als wäre es Wasser. Jetzt aber könnte er wegen seiner Nase das Vorbild eines neuen Partikelfilters geworden sein. Und bloß deswegen, weil er sich vor einer JKU-Forscherin so lange im Sand versteckte.
Seinen ungewöhnlichen Namen verdankt der Apothekerskink der Heilwirkung, die ihm im Altertum nachgesagt wurde. Der Körper der Echse, die im lockeren Wüstensand Nordafrikas und Saudi-Arabiens beheimatet ist, wurde zu Pulver zerrieben und in Apotheken als Mittel gegen verschiedenste Krankheiten, aber auch als Aphrodisiakum verkauft. Die alten Ägypter wiederum verwendeten das einbalsamierte Tier häufig als Grabbeigabe.
Heutzutage wird der Apothekerskink meist Sandfisch genannt – eine Bezeichnung, die ihm im Grunde genommen gerechter wird. Denn die etwa 20 Zentimeter große Echse hat eine bemerkenswerte Art, sich fortzubewegen: Sie schwimmt durch den Sand wie ein Fisch im Wasser. Die charakteristischen Bewegungen des Tieres führen dazu, dass sich der Sand wie eine Flüssigkeit verhält, wodurch die Echse erstaunliche Geschwindigkeiten erreicht. Ein Phänomen, das ihren Bewegungsapparat für die Wissenschaft besonders interessant macht.
Um diesen genauer untersuchen zu können, findet sich im Institut für Medizin und Biomechatronik der Johannes Kepler Universität (JKU) ein Sandfisch-Terrarium. Als Mechatronikerin Anna Stadler vor fünf Jahren als Universitätsassistentin an das Institut kam, war sie gespannt auf die Tiere: „Der Sandfisch ist aufgrund seiner Art, sich zu bewegen, in der Bionik sehr berühmt“, sagt sie. Doch was sie sah, war – nichts. Denn die wechselwarmen Tiere verbringen 98 Prozent ihrer Zeit eingegraben im Sand und kommen nur an die Oberfläche, um Nahrung zu sich zu nehmen oder auszuscheiden. „Anfangs fand ich die Tiere eigentlich langweilig.“
Mit der Zeit jedoch begann Stadler sich zu fragen, wie die „untergetauchten“ Echsen überhaupt atmen können, ohne an Sandkörnern zu ersticken. „Manche Echsenarten haben beispielsweise ein Gewebe in ihren Nasenflügeln, das anschwillt und den Nasengang verschließt, so dass die Tiere zum Beispiel im Sand problemlos bauen können“, erklärt Anna Stadler. Die lange Zeit, die der Sandfisch unter der Oberfläche verbringen kann, lässt sich damit aber nicht erklären: „Nachdem tatsächlich niemand zu wissen schien, wie genau die Atmung des Sandfisches funktioniert, haben wir begonnen, das zu erforschen.“
Die Möglichkeit, die oberen Atemwege des Sandfisches genau zu untersuchen, eröffnete sich für die Forschenden durch einen Zufall: „Das Zoologische Forschungsmuseum Alexander Koenig im deutschen Bonn hält viele Sandfische. Als eine der Echsen verstarb, konnten wir das Exemplar übernehmen und eine ausführliche Histologie erstellen.“ Der Kopf des Tieres wurde dazu in feine Scheiben geschnitten, die Gewebeschnitte danach unter dem Mikroskop digitalisiert und am Computer wieder zusammengesetzt. Da der Nasengang des Sandfisches nur etwa elf Millimeter lang ist, wurde mit einem 3D-Drucker ein achtfach vergrößertes Modell gebaut.
Der Avocado-Trick
„Wir waren überrascht“, sagt Stadler. „Der Nasengang des Sandfisches hat nämlich keine besonderen Eigenschaften. Anschwellendes Gewebe haben wir in den Nasenflügeln zwar gefunden – das ist allerdings verkümmert und kann Sandpartikel nicht ausreichend abhalten.“ Auffallend sei jedoch die Form des Sandfisch-Nasengangs: Anfangs hat der Kanal einen runden Querschnitt, vergrößert sich dann aber zu einer Art Kammer, um im weiteren Verlauf wieder schmäler und rund zu werden, bis er in die Luftröhre mündet.
„Die Kammer hat, im Gegensatz zum restlichen Kanal, einen ovalen Querschnitt. Sie ist unten spitz und oben bauchig, ähnlich einer Avocado“, erklärt Stadler. Nasenschleim und Haarzellen, die sich in der Kammer befinden, dienen wie beim Menschen dazu, Fremdpartikel abzufangen. Doch wie genau gelingt es, dass die feinen Sandpartikel im Schleim haften bleiben und nicht mit dem Atemstrom in die Luftröhre gelangen? „Als wir versuchten, die Atmung experimentell nachzuahmen, ist uns schnell klargeworden, dass wir Hilfestellung brauchen, um die Strömungen im Nasengang korrekt simulieren zu können.“
Unterstützung fand Stadler in Michael Krieger vom Institut für Strömungslehre und Wärmeübertragung. „Der Sandfisch war mir kein Begriff“, sagt er. „Das Vorhaben hat trotzdem sofort mein Interesse geweckt.“ Gemeinsam erstellten die Forschenden eine Simulation der Atmung, die zeigte: Es ist die avocadoförmige Kammer, die dem Sandfisch die Filterung von eingeatmeten Partikeln ermöglicht. Wesentlich ist dabei die Art, wie die Echse im Sand ein- und ausatmet. Ganz langsam, über zwei Sekunden lang, wird die Luft eingesogen, um sie dann in nur 40 Millisekunden ruckartig wieder auszublasen. „Durch die niedrige Atemgeschwindigkeit in Kombination mit dem verformten Strömungskanal wird die Schwerkraftabsetzung genutzt“, erläutert Krieger.
Die Avocadoform der Kammer hat dabei zwei Effekte: Einerseits kommt es durch ihren plötzlich größeren Querschnitt zu einem Druck- und Geschwindigkeitsabfall der eingeatmeten Luft, wodurch sich der darin enthaltene Sand absetzt. Andererseits führt die leichte Deformation des Strömungskanals nach unten, also die „Spitze“ der Avocado, zu Querströmungen, die die Absetzung von Partikeln an der Nasengangswand begünstigen. „Um die so gefilterten Sandkörner wieder loszuwerden, hustet der Sandfisch sie gewissermaßen durch die Nase wieder aus.“
Mit diesem aerodynamischen Filtersystem kann die Echse Sandpartikel mit einer Größe von 0,1 bis 0,5 Millimeter abscheiden. In Computersimulationen zeigte sich, dass sogar 70 Mikrometer bzw. 0,07 Millimeter kleine Partikel aus der Atemluft gefiltert werden können. „Irgendwann haben wir uns gefragt, wie man dieses relativ simple System anpassen kann, damit es für noch kleinere Partikel funktioniert“, erinnert sich Krieger. „Unsere Recherchen und Berechnungen ergaben, dass es durch Modifikationen sogar möglich wäre, Kleinstpartikel von fünf Mikrometern Durchmesser zu filtern.“
Patent auf die Echsenatmung
Letztendlich ist aus einer im Sand eingegrabenen Echse nicht nur Anna Stadlers Doktorarbeit, sondern auch das Patent einer „Vorrichtung zum Filtern von Partikeln“ entstanden. Gängige Filtersysteme arbeiten mit Membranen oder Fasern, in denen sich Partikel aus der Luft verfangen und die regelmäßig gereinigt und getauscht werden müssen. „Es kann dadurch zum Beispiel passieren, dass Pilzsporen hängen bleiben, die dann in der Raumluft verteilt werden“, erläutert Stadler. Das auf der Sandfisch-Atmung basierende System kommt hingegen komplett ohne Membran aus und arbeitet nur mit der Kammer, deren Inhalt man einfach in die Außenluft ausblasen kann. „Man könnte die Kammer in regelmäßigen Abständen ausblasen oder auch mit Sensoren arbeiten“, meint Stadler. Erhöhte Lebensdauer und verringerte Wartungskosten wären das Ergebnis.
„Unser biologisches Modell, die Echsennase, haben wir abstrahiert, vereinfacht und ergänzt“, sagt Stadler. Der Einsatz nachhaltiger Materialien würde für sie das System abrunden. Verwendungsmöglichkeiten fänden sich genug – von der Wohnraumbelüftung über Industrieanlagen bis hin zur Medizintechnik und der Automobilindustrie. „Das Patent ist dahin natürlich nur der erste Schritt.“