In vielen Teilen der Welt ist es keine Selbstverständlichkeit, dass aus überall vorhandenen Wasserhähnen sauberes Trinkwasser strömt. Ein neuartiges mikrofluidisches Gerät, das an der JKU gemeinsam mit Partnern entwickelt wird, soll weltweit für eine bessere Wasserqualität sorgen.
Österreichs Wasserversorgung ist beinah paradiesisch – sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht: egal, wann und wo: Wenn man den Wasserhahn aufdreht, fließt praktisch immer kühles, köstliches und sauberes Trinkwasser heraus. Dank der Alpen und der vielen Flüsse, die das ganze Land durchziehen, gibt es viele Quellen und reichlich Grundwasser. Laut Statistiken nutzen wir in Österreich gerade einmal drei Prozent des natürlichen Süßwasserdargebotes. Praktisch unser gesamtes Trinkwasser stammt aus Quellen und Grundwasser – nur bei extremen Verbrauchsspitzen wird zum Beispiel in Teilen von Wien aufbereitetes Uferfiltrat aus der Donau zugemischt. Das bedeutet aber nicht, dass das für alle Zeiten so bleiben muss. Denn der Klimawandel bringt neue und wachsende Probleme – die zum Teil bereits jetzt spürbar sind. Vor allem die Zunahme von Dürreperioden und Hitzewellen macht den Wasserversorgern Sorgen.
So lagen im Jahr 2018 die Niederschläge zeitweise und in manchen Regionen (etwa in Oberösterreich oder im nördlichen Niederösterreich) um gut die Hälfte unter den Normalwerten. Auch die Zahl der Hitzetage nimmt stark zu – laut Prognosen von Klimaforschern werden sie von derzeit rund 20 pro Jahr auf 50 und mehr bis zum Jahr 2100 zunehmen. Wasserversorger spüren das derzeit vor allem in Gebieten mit hohem Anteil von Einfamilienhäusern: Immer mehr Haushalte haben Gartenbewässerungsanlagen und eigene Pools – und wenn diese im Frühsommer alle gleichzeitig befüllt werden, treten Verbrauchsspitzen auf, die an die Kapazitätsgrenzen der Wasserleitungen gehen.
Allerdings: Noch können diese Herausforderungen von den Wasserversorgern bewältigt werden – wenn auch mancherorts nur mit Hilfe von Aufrufen, sparsam mit dem kostbaren Nass umzugehen. Wenn es in Zukunft noch heißer und trockener wird, wird es zwar zu keinen großflächigen Wasserengpässen in Österreich kommen, doch in manchen Regionen werden Nutzungskonflikte zwischen Haushalten, Industrie und Landwirtschaft größer werden.
Sehr gut ist derzeit auch die Qualität des österreichischen Trinkwassers. Dank der großen Investitionen in den vergangenen Jahrzehnten sowohl in die Reinigung von Abwasser als auch in die Aufbereitung von Trinkwasser ist die Wasserqualität im internationalen Vergleich hervorragend. Das bestätigen nicht nur die Alltagserfahrung, sondern auch die systematischen Analysen, die die Österreichische Agentur für Ernährungssicherheit (AGES) regelmäßig durchführt. Laut dem aktuellen Lebensmittelsicherheitsbericht wurden im Jahr 2018 insgesamt 908 Trinkwasserproben untersucht. Und obwohl sich darunter auch mehr als 100 „Verdachtsproben“ (wo Probleme vermutet wurden) befunden haben, wurden nur 19 Proben (2,1 Prozent) als für den menschlichen Verzehr ungeeignet befunden.
Zwei Millionen Todesopfer
Wie anders ist das in anderen Teilen der Welt. Laut einer aktuellen Statistik des World Resources Institute (WRI) lebt fast ein Viertel der Weltbevölkerung in Ländern mit extremem Trockenheitsrisiko. In 17 Staaten sei die Situation bereits so kritisch, dass schon in kurzer Zeit kein fließendes Wasser mehr verfügbar sein könnte. Am schwersten betroffen davon sind Staaten im Nahen Osten, etwa Israel, der Libanon oder Saudi-Arabien, sowie in Nordafrika – etwa Libyen. Aber auch in manchen dicht besiedelten Regionen wie etwa in Indien oder Südafrika genüge schon eine kleine Dürre, um eine ernsthafte Wasserkrise auszulösen, so die WRI-Experten. Österreich liegt in der WRI-Statistik übrigens auf Rang 134 und zählt damit zu der Gruppe von Ländern mit den niedrigsten Trockenheitsrisiken.
Ziemlich schlecht ist es folglich um die Versorgung vieler Menschen mit sauberem Trinkwasser bestellt. Zwar hat sich der Anteil der Bevölkerung, die Zugang zu sicherem Wasser haben, in den vergangenen 15 Jahren von 61 auf 71 Prozent erhöht, doch immer noch mangelt es knapp 800 Millionen Menschen selbst an grundlegendsten Infrastrukturen für eine Versorgung mit sauberem Wasser. So hat laut UNO beispielsweise ein Drittel aller Grundschulen dieser Welt keine Wasserleitungen, um auch nur basalen hygienischen Anforderungen genügen zu können. Und drei Milliarden Menschen haben zu Hause kein Waschbecken, wo sie sich mit Seife waschen könnten. Die Folge ist, dass alljährlich fast zwei Millionen Menschen aufgrund von Wasserverunreinigungen sterben – häufig an durch Fäkalverunreinigungen übertragenen Infektionskrankheiten wie Cholera oder Typhus.
Durch die galoppierende Klimaerwärmung ist zu erwarten, dass die Wasserversorgung in vielen Regionen der Welt noch prekärer wird. Dazu kommt noch, dass der globale Wasserbedarf bis zum Jahr 2050 Schätzungen zufolge um die Hälfte steigen wird. Das liegt zum einen am Bevölkerungswachstum und am zunehmenden Wohlstand breiter Schichten, zum anderen aber auch an der erforderlichen Ausweitung der Lebensmittelherstellung – so werden beispielsweise für die Produktion von einem Kilo Schweinefleisch gut 5.000 Liter Wasser verbraucht. Aber sauberes Wasser wird überall benötigt – und die Tendenz steigt. Wir brauchen Wasser nicht nur zum Trinken, für die Hygiene oder zur Lebensmittelproduktion, auch 90 % aller herkömmlichen Stromerzeugungsmethoden funktionieren nicht ohne Wasser. Durch höheren Strombedarf werden Kraftwerke in den nächsten Jahrzehnten ein Fünftel mehr Kühlwasser benötigen als heute. Aus all diesen Gründen scheint es sehr schwierig, dass die in den „Nach-haltigen Entwicklungszielen“ der UNO formulierten Ziele erfüllt werden können. Im Ziel Nummer 6 hat sich die Weltgemeinschaft vorgenommen, dass bis 2030 ein „allgemeiner und gerechter Zugang zu einwandfreiem und bezahlbarem Trinkwasser für alle“ erreicht werden soll. Einem aktuellen Fortschrittsbericht zufolge werden das 60 Prozent der Staaten, in denen es Probleme gibt, nicht schaffen.
Boom der Wasser-Technologien
Ohne moderne Technologien wäre die Situation freilich noch viel dramatischer: Vielen Staaten gelingt es heute schon nur mit extrem hohem Aufwand, ausreichend sauberes Trinkwasser bereitzustellen. In den Staaten am Arabischen Golf zum Beispiel wäre ein modernes Leben ohne die sehr teure und energieaufwendige Entsalzung von Meerwasser und den Einsatz von Umkehrosmose undenkbar. Ein extremer Fall ist der Stadtstaat Singapur: Dort wird neben Wasserimporten aus Malaysia, Entsalzungsanlagen und großen Reservoirs, in denen Monsunregen aufgefangen wird, auch das Abwasser so weit aufgereinigt, dass es wieder als Frischwasser genutzt werden kann. Dieses „Newater“ genannte Wasser macht heute bereits 40 Prozent des Trinkwassers der 5,5-Millionen-Metropole aus; um von Lieferungen aus dem benachbarten Malaysia unabhängig zu werden, soll der Newater-Anteil sogar auf 55 Prozent gesteigert werden. Hochtechnologie soll auch in Südafrika helfen: Heuer im Frühjahr wurden Pläne publik, dass Eisberge aus der Antarktis „eingefangen“ und mit großen Schiffen an die afrikanische Küste geschleppt werden sollen, um die dürrebedingt praktisch leeren Grundwasserspeicher zu entlasten.
Darüber hinaus gibt es auch viele neue Ideen und Innovationen. So haben findige Studierende aus den USA ein Verfahren entwickelt, um Feuchtigkeit aus der Luft zu holen: Dabei treibt Wind eine Turbine an, die feuchte Luft in ein mehrere Meter unter die Erde reichendes Rohr transportiert, wo es kühler ist und die Feuchtigkeit als flüssiges Wasser kondensiert. Eine spannende Innovation kommt auch aus Österreich: Das Start-up-Unternehmen „Helioz“ hat ein einfaches Gerät konstruiert, mit dem der Erfolg von UV-Desinfektion kontrolliert werden kann. Dabei wird Wasser in alte Plastikflaschen gefüllt, die in die Sonne gelegt werden. Das (von Solarenergie gespeiste) Messgerät sagt, wenn genügend UV-Strahlung die Bakterien oder Viren im Wasser abgetötet hat.
Schwierige Detektion von Keimen
Auch wenn die Technologien zur Wasseraufbereitung heute bereits recht ausgereift sind: Es gibt weiterhin ungelöste Problemfelder. So gelangen auch in Europa immer wieder Krankheitserreger in unser Trinkwasser – zwischen den Jahren 2000 und 2013 wurden europaweit 1.039 epidemische Ausbrüche solcher Krankheiten gemeldet. „Diese Zahl zeigt, dass es sich um ein weltweites Problem handelt und nicht nur auf Entwicklungsländer beschränkt ist“, sagt Medina Hamidović, derzeit Dissertantin und Assistentin am Institute for Communications Engineering and RF-Systems der Johannes Kepler Universität Linz. Eines der Probleme ist es, dass manche Krankheitserreger sehr widerstandsfähig gegen herkömmliche Wasserdesinfektionsmittel sind. Viele dieser Mikroorganismen können überdies nur sehr schwer detektiert und untersucht werden. Hier setzt die Forschung von Hamidović und ihren akademischen und industriellen Partnern in Großbritannien an: Entwickelt werden sogenannte „mikrofluidische Systeme“, die rasch und billig herstellbar sind und mit denen solche Keime und die Wirkung von Desinfektionsmitteln einfach und schnell untersucht werden können. Dabei handelt es sich um Netzwerke von kleinsten Kanälen auf Mikrochips – sogenannte „Labs-on-a-Chip“-Systeme –, durch die einzelne Tropfen geschleust werden, in denen die zu untersuchenden Proben bzw. mögliche Wirkstoffe eingekapselt sind. Weiterbewegt werden die Wassertröpfchen durch einen Strom biokompatibler Öle. Der Clou an der Sache ist, dass aufgrund des kleinen Tröpfchenvolumens biochemische Reaktionen in den Tröpfchen sehr schnell und einfach nachweisbar sind. „Mit diesem Wissen werden wir einen Weg finden, die Krankheitserreger in unseren Wassersystemen zu deaktivieren“, sagt die Forscherin. Kleinste Tröpfchen auf einem Chip Die Kunst dabei ist es, die Tröpfchen in der richtigen Reihenfolge und zur richtigen Zeit zu jenen Orten zu bringen, an denen Reaktionen stattfinden bzw. wo die entsprechenden Analysen durchgeführt werden. Hamidović kombinierte dazu medizinisches und technisches Know-how der JKU mit dem ihres Kooperationspartners, der Heriot-Watt-Universität in Schottland. „Wir versuchen, unser Wissen über konventionelle IKT-Systeme zu nutzen und es auf die mikrofluidische Domäne zu übertragen, um mikrofluidische Systeme zu optimieren und zu verbessern“, erklärt Hamidović.
Entwickelt wurden beispielsweise Verfahren, mit denen sehr gezielt Tröpfchen in jeder gewünschten Größe hergestellt werden („droplet on demand“). Überdies wurde ein neues Herstellungsverfahren für mikrofluidische „Labs-on-a-Chip“ aus speziellen Kunststoffen ersonnen: Diese können nun in acht Minuten gefertigt werden und kosten lediglich ein Euro pro Stück. Damit ist das System auch für eine Großserienproduktion geeignet.
Nach zweijähriger Forschungsarbeit gelang es, ein mikrofluidisches System zu optimieren, in dem ein Wassertropfen ausreicht, um Krankheitserreger binnen zwei bis drei Stunden verlässlich nachzuweisen. Herkömmliche Systeme weisen eine Verarbeitungszeit von mehreren Tagen auf und benötigten Hunderte Liter Wasser; außerdem kosten die Geräte mehrere Tausend Euro pro Stück – das ist für viele Entwicklungsländer nicht finanzierbar.
Erste Prototypen der neuen mikrofluidischen Geräte wurden bereits eingehenden Tests unterzogen. „Wir sind sehr erfreut über die Ergebnisse der ersten Experimente“, verrät Hamidović. Bis Frühling 2020 soll ein industrietauglicher Prototyp fertig sein, bis Ende nächsten Jahres werden die Industriepartner, vor allem die zwei größten Wasserlieferanten Großbritanniens, das System testen. 2021 soll schließlich ein adaptiertes System weltweit zugänglich gemacht werden. Für ihre Arbeit wurde Hamidović für den Women-in-Technology-Preis der USA nominiert.
Für Mikrofluidik gibt es sehr viele mögliche Anwendungen, etwa Drogenscreening, DNA-Analysen oder Zelluntersuchung. „Wir konzentrieren uns auf den Einsatz von Mikrofluidik für einen besseren Umgang mit Wasser, da der Mangel an Trinkwasser in der Tat eines der größten globalen Probleme des 21. Jahrhunderts ist“, so die Forscherin. Sie ist überzeugt, mit ihrer Arbeit einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit von Trinkwasser zu leisten:
„Dieses neuartige mikrofluidische System bedeutet einen großen technologischen und medizinischen Fortschritt und wird uns helfen, neue Desinfektionsmittel zu finden und somit weitere Krankheitsausbrüche aufgrund von verunreinigtem Wasser zu verhindern.“