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Ich fühl ich fühl was du nicht fühlst

Emotionen gibt es, seit es uns Menschen gibt. Die Forschung dazu ist aber noch erstaunlich jung, dafür umso vielfältiger. Gefühle stehen nicht erst seit der Dauerkrise hoch im Kurs. Aber was genau passiert eigentlich, wenn wir fühlen, wie wir uns fühlen?

Von Martin Steinmüller-Schwarz

Gefühle

Haben Sie heute schon gelächelt? Was löst dieser Satz aus? Lässt er Sie kurz innehalten – und dann vielleicht lächeln? Kommt vielleicht ein bisschen Ärger hoch, denn was geht uns denn an, ob Sie schon gelächelt haben oder nicht? Oder lesen Sie einfach darüber hinweg und es passiert: Nichts? Willkommen in der Welt der Emotionen.

Gefühle gehören zum Menschen und sobald unsere Vorfahren ihre Gedanken in Buchstaben gießen konnten, schrieben sie auch über Gefühle. „Singe den Zorn, o Göttin, des Peleiaden Achilleus, beginnt Homer seine Ilias, und damit eines der ältesten und einflussreichsten Werke der abendländischen Literatur. Über 350-mal kommen „Zorn“ und „zornig“ übrigens in der Bibel vor. „Freude“ und „sich freuen“ bringen es aber auch auf über 300 Nennungen, sie liegen also gar nicht allzu weit abgeschlagen. Auch die Grundformen unseres Theaters, die Komödie und die Tragödie, spielen ganz bewusst mit unseren Gefühlen. Die Komödie soll uns zum Lachen bringen und uns dabei etwas lehren. Die Tragödie wiederum soll uns durch unangenehme Gefühle führen und so für Katharsis sorgen, für Reinigung. So beschreibt es jedenfalls Aristoteles im vierten Jahrhundert vor Christus. Der griechische Universalgelehrte war auch einer der ersten, der versuchte, Emotionen zu beschreiben und einzuordnen.

Bis Emotionen so richtig in den Fokus der Wissenschaft treten, sollten aber noch fast zweieinhalb Jahrtausende vergehen. Bei wem die moderne Emotionsforschung ihren Anfang nahm, ist umstritten. An Williams James und seinem 1884 erschienen Aufsatz „What is an emotion?“ kommt man allerdings nicht vorbei. Mit seiner These, dass Gefühle durch körperliche Veränderungen ausgelöst werden und nicht umgekehrt, liefert der amerikanische Psychologe bis heute Diskussionsstoff. Manchen gilt er sogar als ein Vorläufer des Behaviorismus, jener Forschungsrichtung, bei der uns heute vor allem Pawlow und sein Hund einfallen. James selbst hätte einer solchen Einordnung wohl vehement widersprochen, hatte der Behaviorismus mit Gefühlen doch wenig bis nichts am Hut. Eine behavioristische Prophezeiung aus den 1930er-Jahren lautete sogar, dass der Gefühlsbegriff ganz aus der psychologischen Forschung verschwinden würde.

Diese Vorhersage hätte von der Realität nicht weiter weg sein können. Gefühle sind in den vergangenen Jahrzehnten in der Wissenschaft wieder richtig groß geworden, und zwar nicht nur in der Psychologie. Philosoph*innen arbeiten sich ebenso daran ab, wie Historiker*innen. Die Soziologie nimmt sich ihrer genauso an wie die Ethnologie oder die Kommunikationswissenschaft.

Der Emotion fehlt die Definition
Das breite Interesse an Gefühlen weist auf ein kleines Manko hin: Eine einheitliche Theorie der Emotionen gibt es bisher nicht. Auch eine zwischen den Forschungsrichtungen anerkannte Definition, was Gefühle genau ausmacht, fehlt. „Es gibt in der Wissenschaft nur den Versuch einer Kategorisierung, was alles eine Emotion sein kann, aber keine Definition, sagt Julia Zuber. Die promovierte Psychologin war nach ihrem Studium mehrere Jahre lang in der Forschung tätig. Zurzeit arbeitet sie als Klinische Psychologin in der psychologischen Studierendenberatung an der Johannes Kepler Universität Linz und ist als Lektorin an der JKU, der Fachhochschule Hagenberg und an der Uni Wien tätig.

Eine Stolperfalle stellen dabei schon die Begrifflichkeiten dar. „In der Wissenschaft ist das Wort Gefühl nicht eine richtige Beschreibung. Man würde immer von einer Emotion sprechen, sagt Zuber. Das Gefühl sei eben nur ein Teil der Emotion, die „subjektive Empfindung. Daneben passierten im Körper aber mehr, „sei das jetzt auf neuronaler Ebene oder dass zum Beispiel das Herz schneller schlägt. Und für all das zusammen „brauchen wir eigentlich einen größeren Begriff. Das wäre dann die Emotion.

Die Voraussetzung dafür ist wiederum ein äußerer Reiz oder ein Gedanke, ein Auslöser, sozusagen, der dann eine Reaktion in Form einer Expression hervorrufe, so Zuber. Das kann Mimik wie ein Lächeln oder die sprichwörtliche Zornesfalte sei, aber auch eine bestimmte Bewegung oder ein Laut. Überdies sei eine Emotion immer kurzlebig: „Es ist uns nicht möglich, dass wir das über ein paar Stunden aufrechterhalten. Emotionen empfinden wir nur für ein paar Minuten, so die Psychologin.

Emotionen sind also sehr komplexe Phänomene. Das macht sie besonders, sorgt aber zugleich dafür, dass sie sich schwer fassen lassen und dass zu einer ganzen Reihe an grundlegenden Fragen keine Einigkeit herrscht. Wo nehmen Emotionen genau ihren Ausgang? Was kommt zuerst: die körperlichen Veränderungen oder das Gefühl? „Die Antworten darauf hängen auch ein bisschen davon ab, in welche Forschungsrichtung man schaut, sagt Zuber.

Wie das in der Wissenschaft üblich ist, setzen sich manche Ansichten stärker durch als andere und geben manche Forschungsrichtungen eher den Ton an. In der Emotionsforschung führt etwa gerade kaum ein Weg an der Neurowissenschaft vorbei. Die Zeit, in der Emotionen in der Wissenschaft so richtig an Bedeutung gewannen, markiert auch den Aufstieg der Hirnforschung. Der wiederum ging Hand in Hand mit neuen technologischen Entwicklungen. Anfang der 1970er-Jahre wurde der Magnetresonanztomograph, kurz MRT, erfunden. Im gleichen Jahrzehnt kam auch die Positronen-Emissions-Tomographie (PET) erstmals zum Einsatz.

Mit dem MRT kann die Sauerstoffsättigung von Gewebe sichtbar gemacht werden. Die PET wiederum zeigt mithilfe eines leicht radioaktiven Kontrastmittels wie stark der Stoffwechsel beziehungsweise die Blutzufuhr in einem Gewebe ist. Auf das Hirn umgelegt, waren die Überlegungen nun recht simpel: Regionen mit starker Aktivität brauchen mehr Sauerstoff und haben einen schnelleren Stoffwechsel. Somit müsste sich direkt nachweisen lassen, welche Teile des Hirns in welchen Situationen aktiv sind.

Wie so oft, wenn eine neue Methode auf die wissenschaftliche Bühne kommt, waren die Erwartungen groß. Endlich würde man unser Denken und Fühlen messen und entschlüsseln können. Tatsächlich versuchten Forscher*innen anfangs, komplexe Hirnfunktionen an klar eingegrenzte Hirnstrukturen zu binden. Das ließ sich medial gut verkaufen, wurde der Wirklichkeit aber nur wenig gerecht. Am Ende war es aber die Neurowissenschaft selbst, die mit ihren bildgebenden Verfahren zeigte, dass das Hirn eine Spur komplexer funktioniert.

Lange Zeit habe die Idee vorgeherrscht, dass für jede Emotion ein bestimmter Ablauf, ein „Survival Circuit“ im Hirn anspringe. „Also dass wir bestimmte Kreisläufe zwischen den Arealen haben, die für bestimmte Emotionen zuständig sind. Davon ist man aber schon weggegangen, sagt Zuber. „Was man weiß, ist dass es wirklich bestimmte Areale gibt, die für Emotionen wichtig sind, die aber trotzdem mit anderen verknüpft sind.

Eine zentrale Rolle spielt dabei das limbische System – ein evolutionär sehr alter Teil des Hirns. Dort sitzt unter anderem die Amygdala, zwei kleine mandelförmige Strukturen. „Die hat lange Zeit als Angstzentrum gegolten, ist aber wie man inzwischen weiß, für andere Emotionen zuständig, sagt Zuber. Doch für eine richtig vollwertige Emotion reicht die Amygdala allein nicht aus. Dazu braucht es etwa auch noch den Präfrontalen Cortex, ein Bereich in der Hirnrinde und damit ein relativ junger Teil unseres Hirns. „Der Präfrontale Cortex gibt die Information dazu, wie das zu bewerten ist, was wir gerade erleben.“

Mit anderen Worten: Welcher Art und wie stark wir eine Emotion erleben, ist einem komplexen neuralen Zusammenspiel geschuldet. „Wenn jemand richtig große Angst vor Spinnen hat, dann feuert seine Amygdala: Achtung, Achtung da ist eine Spinne. Genauso feuert auch der Neokortex, wo wir eben überlegen, was das für ein Reiz ist, sagt Zuber. Nun gibt es Möglichkeiten, diese Angst über eine Therapie abzulegen. Allerdings: Ein Hirnscan würde weiterhin zeigen, dass der Anblick einer Spinne die Amygdala in Aufruhr versetzt. „Aber der Neokortex arbeitet jetzt noch stärker. Er hat dazugelernt, dass etwas eine neue Bewertung bekommt. Die Angst wird dadurch anders bewertet und anders verarbeitet.

Emotionen und rationales Denken sind kein Gegensatz
Dazu passt die Annahme, dass sich Emotionen im Laufe eines Lebens weiterentwickeln. Kaum jemand würde mittlerweile noch bestreiten, dass Menschen grundlegende Emotionen wie die Angst bereits von Geburt an mitbringen. Auch vielen Tieren spricht die Forschung inzwischen solche Basisemotionen zu.  Im Laufe seines Lebens würden sich beim Menschen aber noch komplexere Emotionen entwickeln, sagt Zuber. „Emotionen wie Schuldgefühle oder Scham haben wir nicht von Anfang an, sondern sie kommen erst später im Leben dazu. Und die erfordern, dass wir im Gehirn noch weitere Strukturen bilden, damit wir sie empfinden können, sagt Zuber.

Emotionen und rationales Denken mögen lange als Gegensatzpaar gegolten haben. Inzwischen hat sich die Wissenschaft von diesem Grundsatz verabschiedet. „Nahezu alle Denkprozesse des Menschen sind von Gefühlen beeinflusst, fasst es Zuber zusammen. Emotionen scheinen Entscheidungen nicht nur zu beeinflussen. Sie könnten sogar eine Grundlage dafür darstellen, dass wir überhaupt Entscheidungen fällen können.

Einer, der diese Überzeugung seit Jahrzehnten vertritt, ist António Damásio. Mit seinen populärwissenschaftlichen Büchern hat der US-portugiesische Neurowissenschaftler internationale Bestseller gelandet. Laut Damásio – und mit dieser Ansicht ist er nicht allein – sind Emotionen für Menschen überlebenswichtig. Ohne sie wäre unser soziales Zusammenleben nicht möglich, so der Neurowissenschaftler. Sogar unser Bewusstsein gründet für Damásio in Gefühlen. Auch deshalb denkt er in seinem jüngsten Buch ganz zum Schluss über „fühlende Maschinen“ nach.

Dass Computer Gefühle haben, ist im Moment vor allem Stoff für Hollywood-Filme. Was die Forschung aber bereits jetzt versucht, ist Künstlicher Intelligenz einen Umgang mit Emotionen beizubringen. Dazu gehört, dass Computerprogramme die Emotionen eines menschlichen Gegenübers erkennen können. „Affective Computing“ heißen sowohl die Forschungsrichtung als auch die entsprechenden Technologien.

Geprägt hat den Begriff die MIT-Forscherin Rosalind Picard. Die Informatikerin stützte sich dafür auf die Arbeiten des US-Psychologen Paul Ekman, der von bestimmten Basisemotionen ausgeht. Laut Ekman spiegeln sich diese Emotionen überall auf der Welt in der gleichen Art und Weise in der Mimik der Menschen wider. In Picard Ansatz sollen Computer diese Gesichtsausdrücke nun automatisch entschlüsseln und  so auf die dahinter liegenden Emotionen schließen.

Erkennen Maschinen Gefühle?
Inzwischen geht es nicht mehr nur um Mimik. Analysiert werden Stimme, Körperhaltung, Puls und alles, was sich sonst noch so an körperliche Reaktionen zeigt. Zugleich passiert aber „ganz viel einfach textbasiert, sagt Markus Schedl. Er ist Professor am Institute of Computational Perception der JKU und leitet die „Human-Centered AI Group“ am LIT AI Lab. Es geht in seiner Arbeit also auch viel um die Interaktion von Mensch und Computer. Diese findet heutzutage immer noch in vielen Bereichen in schriftlicher Form statt - zum Beispiel, wenn Nutzerinnen und Nutzer mit Chatbots kommunizieren. Und dass ein Computer erkennt, ob sein Gesprächspartner*innen genervt oder ärgerlich wird, ist auch von wirtschaftlichem Interesse.

Um Emotionen in geschriebenen Texten zu erkennen, werde - trotz aller Fortschritte im Deep Learning - zumeist ein „wörterbuchbasierter Ansatz“ gewählt, sagt Schedl. Der basiert auf Datenbanken, in denen Wörter bestimmte Emotionen zugeordnet sind. Die Aufgabe der KI ist es dann, einen Text mit der Datenbank abzugleichen und daraus auf eine Emotion zu schließen.

Ähnliche, im Grund statistische Prozesse laufen ab, wenn Computer Gefühle anhand von Mimik oder Stimme erkennen sollen. Nur dass es diesmal eben keine Wörter sind, mit denen die Programme ihre Datenbanken abgleichen, sondern etwa Laute und Bilder. Das macht die Sache nicht einfacher, wie Schedls Kollegin Emilia Parada-Cabaleiro erklärt.

Zu Beginn verwendete die Forschung etwa Material, bei dem Schauspieler*innen die Emotionen wiedergaben. Nur habe sich sehr bald herausgestellt, dass das nicht funktioniere. Denn „normale Menschen“ drückten im „echten Leben“ ihre Emotionen eben nicht so klar aus wie Schauspieler*innen, sagt Parada-Cabaleiro. Zu „natürlichen“ Daten zu kommen ist allerdings schwierig. Erkläre man Menschen, dass man ihre Emotionen aufnehme, agierten sie eben nicht mehr natürlich. „Wenn ich es ihnen aber nicht sage, dann ist das illegal, sagt die Forscherin.

Wer mithilfe Künstlicher Intelligenz menschlichen Emotionen nachgeht, der muss sich mit Datenschutz beschäftigen. Auch ethische Fragen sind nicht weit. Wenngleich in vielen Bereichen der Nutzen klar im Vordergrund stehen mag: In einer Lernsituation könnte ein entsprechendes Programm etwa erkennen, ob Schüler*innen vom Stoff unter- oder überfordert sind. Auch bei der Arbeit mit autistischen Kindern habe sich die Technologie bewährt, sagt Parada-Cabaleiro. Doch wo liegen die Grenzen solcher Anwendungen? Ab wann wird es bedenklich, etwas derart Persönliches wie Emotionen automatisch auszuwerten? Es mache schon einen Unterschied, ob es sich um universitäre Forschung handle, oder „um irgendein Unternehmen, wo wirklich beinharte wirtschaftliche Interessen dahinterstehen. Aber natürlich müsse sich auch die Wissenschaft über solche ethischen Fragen Gedanken machen, sagt Schedl.

Manchmal arbeiten die Linzer Forscher*innen selbst mit Unternehmen zusammen, etwa in Projekten, die sich mit der Gefühlserkennung in der Musik beschäftigen, einem Forschungsfeld mit speziellen Herausforderungen. Das fängt bereits bei der Frage an, über wessen Gefühle wir bei Musikstücken eigentlich reden. Ist es die Emotion, die die Komponist*innen kreieren wollten? Ist diese deckungsgleich mit der Emotion, die den Musiker*innen vorschwebte? Und was davon kommt beim Publikum an? Wobei es noch einmal einen Unterschied macht, welche Emotion ein*e Hörer*in einem Stück zuschreibt und was die Musik dann tatsächlich auslöst. Denn was Untersuchungen – auch jene von Schedl und seinen Kolleg*innen - zeigen konnten: Wie Musik empfunden wird, hat auch viel mit der Persönlichkeit zu tun. „Die Entwicklung von personalisierten oder individuellen Modellen, die Musikgeschmack, Emotionen und Persönlichkeitsmerkmale kombinieren, ist eine große Herausforderung, sagt Schedl.

Genauso groß scheinen die Möglichkeiten, die damit einhergehen: Auf uns zugeschnittene Musik, die uns durch Gefühle begleitet, uns aus Stimmungen herausholt oder neue Emotionen auslöst. Solchen Anwendungen könnten wohl die meisten etwas abgewinnen. „Wir Menschen wollen fühlen. Wer das Gefühl hat, keine Gefühle zu haben oder zu wenig zu fühlen, dem geht es ganz schlecht, sagt Julia Zuber. Und wir suchen dabei die Abwechslung. „Es ist für uns ganz wichtig, dass wir auch die Bandbreite der Gefühle ausleben, so die Psychologin.

Also, jetzt noch einmal die Frage: Haben Sie heute schon gelächelt?