Seit Jahresbeginn ist die JKU Trägerin des Kepler Salon. Die Linzer Kultur der
Wissensvermittlung betritt mit dieser Partnerschaft eine Dimension, die in Europa einzigartig ist.
Anzufangen, was längst angefangen hat, ist ein leichtes Spiel. Eine Dekade ist es her, dass der Kepler Salon seine Räume geöffnet hat. Diese Öffnung war temporär für die 365 Tage des Kulturhauptstadtjahres gedacht. Mittlerweile sind es über 3 700 Tage, mehr als 1 000 Veranstaltungen mit noch mehr Vortragenden und Zehntausenden Besucherinnen und Besuchern geworden, die den offenen Kulturbegriff von Linz09 lebendig halten. Und noch viel länger steht das etwas windschiefe Haus, das sich seit 500 Jahren an sein rechtes Nachbarhaus anzulehnen scheint. Die Zuneigung hat über das halbe Jahrtausend sicher zugenommen.
Linz zugeneigt, lebte vor fast 400 Jahren zwischen 1621 und 1625 der Astronom und Mathematiker Johannes Kepler in diesem Haus und formulierte in seiner Linzer Zeit die berühmten drei Gesetze der Planetenbewegung, die erstmals eine Berechnung der Bahnen unserer Planeten möglich machten und bis heute nichts von ihrer Gültigkeit verloren haben.
Kepler war ein Universalgelehrter seiner Zeit, der offen auf die Welt agiert hat und sich in vielen unterschiedlichen Disziplinen auf höchstem Niveau bewegte. Ganz im Sinne ihres Namenspatrons gehören Interdisziplinarität und Offenheit gegenüber der Gesellschaft zum Naturell des Salons, wie auch zu den Grundsätzen, denen sich die Johannes Kepler Universität seit ihrer Gründung im Jahr 1966 verschrieben hat. Mit dem Kepler Salon und der Johannes Kepler Universität haben sich zwei Institutionen gefunden, deren Finden nicht nur im gemeinsamen Namensgeber, sondern in ihrer ureigenen Erfindung grundgelegt wurde.
Die Salons des 18. und 19. Jahrhunderts formierten sich immer um eine adelige oder bürgerliche Frau (an dieser Stelle sei auf den glücklichen Zufall verwiesen, dass auch „die Universität“ weiblich ist). Salonveranstaltungen fanden jeweils am gleichen Wochentage statt, so ist der Montag im Kepler Salon seit jeher Hauptspieltag. Wer einmal eingeladen war, war es immer, darüber hinaus stand es den Gästen frei, selbst neue Personen mitzubringen.
Neben den Stammgästen wurden auch durchreisende Besuchende und Gelehrte empfangen. Bei einem Salon handelte es sich nicht um einen Klub oder Verein, hier wurden keine Mitgliedslisten geführt oder Mitgliedsbeiträge eingefordert. Was Sie aber nicht abhalten soll, Mitglied unseres Unterstützungsvereins „Freunde Kepler Salon“ zu werden.
Im Idealfall gehörten die Gäste verschiedensten Gesellschaftsschichten, Lebens- und Berufskreisen an, ist in „Der Berliner Salon des 19. Jahrhunderts“ von Petra Wilhelmy zu lesen. Der Salon war ein Ort der Geselligkeit, aber „dem Anstand und der Dame des Hauses verpflichtet“. Die Bedeutung des jeweiligen Salons war an dem gesellschaftlichen Einfluss ablesbar, hatte jedoch immer eine kulturelle Anziehungskraft. In den Salons entstand ein Freiraum, der von Satzungen und ideologischen Dogmen unabhängig und tolerant war. Politische und materielle Interessen hatten hier keinen Platz, der Salon existierte um seiner selbst willen und war zweckfrei. Im Vordergrund stand das Ziel, sich gegenseitig zu respektieren, zu fördern und zu bilden.
Dieser Tradition folgend wird man auch im Kepler Salon im Halbkreis zum Platznehmen in Augen- und Ohrenhöhe mit den anderen Besuchenden eingeladen. Es gibt kein Gefälle zu den Menschen, die berufen zu und aus ihren Themenfeldern sprechen, diese zum Diskurs bringen. Zu trinken gibt es, wir sind ja bekanntlich ein Lusthaus. Wenn man zeitgerecht da ist, ist die Gefahr, nur einen Stehplatz zu ergattern, relativ gering. Der Kepler Salon ist ein Spielraum der Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, ist ein Territorium fürs Denkbare und Undenkbare, das per se nicht immer gleich auf die nächstmögliche Verwertbarkeit schielt.
Der Kepler Salon ist ein Ort, an dem man noch träumen darf, wie es der Philosoph Thomas Mohrs auf den Punkt gebracht hat. Ziel ist, das Verständnis für Wissenschaft im weitesten Sinn, in der Öffentlichkeit und im Dialog mit der Bevölkerung zu fördern.
Die Veranstaltungen sind dem Prinzip eines „public understanding of knowledge“ verpflichtet und unterscheiden sich damit dezidiert von Fachsymposien, Fachvorträgen und universitären Konferenzen. Ohne ambitionierte Ansprüche preiszugeben, sollte wissenschaftliches Forschen und Arbeiten populär und unterhaltsam vermittelt werden. An diesem Ort des freien Ideenaustauschs kann Lernen in der unmittelbaren Begegnung zum puren Vergnügen ausarten.
Ist der menschliche Körper noch zeitgemäß? Wem oder was ist zu glauben? Was sehen wir und nehmen es doch nicht wahr? Was ist der Ursprung allen Forschens? Wie kommunizieren wir? Sind Kunst und Wissenschaft Zwillinge oder einander unähnliche Geschwister? Das sind die sechs Urfragen, die bei der Formatentwicklung vor Etablierung des Salons vor mehr als einem Jahrzehnt gestellt wurden. Seither wurden diese Fragen in vielen Variationen und Abwandlungen gestellt.
Im kommenden Quartalsprogramm fragen wir etwa den Cembalobauer Martin Pühringer, wie ein Baum klingt. Ein Podium mit Stadt- und Verkehrsplanern, was die Stadt der Zukunft braucht. Und nicht nur was Disruption ist, sondern was sie mit sich bringt. Zu dieser Themenstellung kommt es erstmals im neuen Format „Weit über Linz“ (6. Mai), bei dem mit dem Bruckner Orchester Linz mehr als siebzig Vortragende am Podium sein werden. Und dafür kommt der Salon seinem gelegentlichen Bedürfnis nach, die Rathausgasse zu verlassen, um in dem Fall im Festsaal der JKU sein Format aufzuschlagen. Das heimische Spitzenorchester wird unter der Leitung seines Chefdirigenten Markus Poschner die „Nullte“ Sinfonie von Anton Bruckner spielen, davor gibt es einen wissenschaftlichen Impulsvortrag zum Thema und danach wird der Diskurs eröffnet, was Disruption mit der Sinfonie des Genius loci zu tun hat. Lassen Sie sich von der Bezifferung der Sinfonie nicht täuschen, sie ist 1869 zwischen der „Ersten“ und der „Zweiten“ entstanden und wurde vom Schöpfer „annulliert“.
Kurz vor Quartalsende (26. Juni) ist mit Florian Scheuba ein renommierter österreichischer Kabarettist im Salon zu Gast. Scheuba forscht amüsant und unterhaltsam faktischen Verhältnissen nach, die so absurd sind, dass man sie nicht erfinden kann. Er geht der Frage nach, was Wahrheit bedeutet, warum es sich lohnt, für sie einzustehen, und warum Lüge keine Meinung ist. Er schlägt eine Neudefinition vor: Wahrheit ist kein für Menschen erreichbares Ziel, sondern eine Richtung. Es ist mit ihr ein bisschen so wie mit dem Erdkern. Technisch ist es uns bislang nicht möglich, bis zum Erdkern vorzudringen. Aber wir wissen: Wenn wir es versuchen wollen, müssen wir nach unten graben. Und nicht nach oben.
Und zu Beginn des Quartals kommt am 1. April einer der Initiatoren des Kepler Salon wieder nach Linz: Ulrich Fuchs war stellvertretender Intendant der Kulturhauptstadt Linz09 und stellt sich gemeinsam mit Rektor Meinhard Lukas der Frage, wie eine Kulturhauptstadt Linz im Jahr 2019 beschaffen sein müsste.
Eigene Veranstaltungsformate der JKU werden den Wissensraum Kepler Salon künftig immer wieder erweitern. Ethische Diskurse über die Wissenschaftsentwicklung sind dabei ebenso in Planung wie Dialoge mit der Politik und Anregungen zu gesellschaftspolitischen Debatten.
Darüber hinaus arbeiten wir daran, eine eigene Programmschiene für Kinder wieder aufzunehmen und zu entwickeln. Der Kepler Salon bildet eine Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Kultur. Die beiden sind eng miteinander verbunden und befruchten sich gegenseitig. Österreich mit seinen kulturellen Spitzenleistungen ist ein Magnet für kulturinteressierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler: Kultur zieht Wissenschaft an – und umgekehrt.
Wir blicken gemeinsam einer vitalen Zukunft als Ort der Aufklärung entgegen. Die neue Verbindung bringt uns nicht nur diese Programmzeitung – die künftig als Teil der Kepler Tribune erscheinen wird – und viele Impulse, sondern wird den unverwechselbaren Spirit in und um den Salon erhalten. Der Kepler Salon wird weiterhin ein Lusthaus des Wissens, des respektvollen, vielstimmigen Diskurses sein und für programmatische Vielfalt und offenen Zugang stehen. Gehen wir in medias res, wir sind längst mittendrin.
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