Das logische Denken ist die Voraussetzung für die technischen Errungenschaften, die den Fortschritt bedeuten. Jetzt drohen Maschinen darin besser zu werden als Menschen es sind. Die Philosophin Sophie Reyer denkt über mögliche Folgen nach.
Denk mal logisch! Wie oft hat man das schon in der Schule gehört? Und zugegeben: Manch einer von uns musste bei diesem Satz wahrscheinlich schon mit acht Jahren die Augen verdrehen. Von klein auf wissen wir alle, dass unser Gehirn trotz unseres Verstands nicht selten von falschen Annahmen und Schlüssen ausgetrickst wird. Dadurch, dass beispielsweise die Straße nass ist, folgt nicht zugleich, dass es regnet. Und auch, wenn man sich der Analyse unserer menschlichen Gefühle annähert, wird umso stärker klar: Wir Menschen bestehen nicht nur aus kognitiven Fähigkeiten - auch das Irrationale ist ein wichtiger Aspekt unseres Lebens.
Personen mit geringeren logischen Fähigkeiten laufen eher und öfter Gefahr, im Leben zu scheitern. So können Fehler beim logischen Denken tragische Folgen haben — der Unfall von Tschernobyl beispielsweise ging auch auf das Konto „unlogischer“ Schlussfolgerungen beim Personal der Leitzentrale. Aber: Wieviel bringt es, wichtige Aufgaben wie die Leitung einer Kernzentrale an Künstliche Intelligenz auszulagern? Wird ein Roboter tatsächlich logischer handeln und entscheiden als wir Menschen? Und macht das uns Menschen dann vielleicht überflüssig?
„Bevor man beantworten kann, ob KI den Menschen im ,logischen Denken‘ schlagen kann, muss man erst einmal klären, was man mit ,logischem Denken‘ überhaupt meint“, sagt Manuel Kauers, Mathematiker und Leiter des Instituts für Algebra an der Johannes Kepler Universität in Linz. Je nachdem, auf welche der verschiedenen Möglichkeiten einer Definition man sich festlegt, hänge ab, ob der Computer oder der Mensch die Nase vorn habe. „Grob kann man sagen: Je enger man die Definition fasst, desto größer ist der Vorteil für den Computer“, sagt Kauers.
Beim Schach etwa gelten sehr starre Regeln, so dass der Gestaltungsspielraum für kreative Ideen stark eingeschränkt ist. Man kann beispielsweise nicht einfach neue Figuren hinzuerfinden. In solchen Situationen sei laut Kauers der Computer nicht mehr zu schlagen. Das andere Extrem finden wir aber zum Beispiel bei Problemstellungen in der mathematischen Forschung. „Hier gelten die Regeln der Logik, aber diese Regeln erlauben so viele Freiheiten, dass ein Mensch mit seiner Erfahrung, Intuition und Kreativität Probleme lösen kann, die derzeit noch weit außerhalb der Reichweite von Künstlicher Intelligenz liegen“, so Manuel Kauers.
Standardisierte Abläufe können Roboter besser
Dort, wo die Regeln und Aufgaben überschaubar sind, könnte Künstliche Intelligenz den Menschen aber bald ersetzen. Das betrifft nicht nur einfache Tätigkeiten: Vielleicht wird es in Bälde sogar keine Polizist*innen oder Anwält*innen mehr brauchen, wenn erst eine gute App erfunden ist, der es gelingt, die Gehirnregionen und deren Wellen genau zu messen. Denn beim Lügen verwenden wir andere Regionen in unserem Kopf, als wenn wir die Wahrheit sagen. Noch sind wir nicht so weit, aber wenn MRTs als Lügendetektoren fungieren, braucht es dann noch Kriminalbeamt*innen? Braucht es noch Lehrer*innen, wenn ihre digitale Version nie die Aufmerksamkeit verliert, jede Antwort genau festhalten und die Dauer der Beantwortung akribisch genau dokumentieren kann? Braucht es noch Ärzt*innen, die in den fünf Minuten, die sie für eine Diagnose Zeit haben, auch Fehler machen, wenn eine Künstliche Intelligenz viel verlässlicher ist?
Manch eine These besagt, dass Algorithmen Mediziner*innen, aber auch Apotheker*innen weit übertreffen würden, jedoch fehle es einem Roboter an Empathie. Was jedoch ist Empathie? Weiß ein Gerät, das in Sekundenschnelle meine gesamte DNA und alle meine biometrischen Daten analysiert, nicht viel rascher Bescheid über meine biochemischen Prozesse – und somit über meine Gefühle?
Die Prognosen, wie viele Menschen ihre Arbeit verlieren werden, weil Algorithmen oder Roboter sie ablösen werden, sind teils beängstigend. Gleichzeitig betonen die Ökonom*innen, die sie treffen, dass aber auch neue Arbeitsfelder entstehen, zum Beispiel Berufe, die digitale Welten schaffen. Doch: Nicht jede*r Allerweltsbürger*in hat den kreativen Geist, solch einen Job auch auszuführen.
Darüber hinaus wächst das Wissen dergestalt rasch an, dass die Ausführenden sich möglicherweise alle zehn Jahre völlig neu orientieren werden müssen – nur um dann vielleicht von einem noch besseren, weil neu entstandenen Algorithmus ersetzt zu werden.
Manche Wissenschaftler*innen wie der schwedische Philosoph Nick Bostom, der sich mit bioethischen Fragen beschäftigt, meinen sogar, dass die Menschheit die Degradierung im System möglicherweise gar nicht mehr erleben werde, da sie von den Algorithmen selbst bereits abgeschafft worden sei. Denn: Hat die Künstliche Intelligenz die Menschheit einmal überholt, sollte es ihr ein Leichtes sein, diese auszulöschen. Ein neuer Macht-Kampf zwischen Mensch und Maschine könnte bald schon ausarten. Es ist um einiges schwieriger, die Motivation eines Systems zu kontrollieren, das schneller denkt und intelligenter ist als man selbst. Oder?
Erinnerung – der Vorteil der Menschen
Ohne die Angst vor der Auslöschung der Menschheit bleibt die wichtigste Frage: Wenn uns die Göttin des Algorithmus bald schon beherrschen wird, was passiert dann mit all den plötzlich arbeitslosen und dergestalt unnützen Menschen? Die Definition des Begriffs „Ethik“ wird sich im Laufe der nächsten Jahrzehnte verändern, so viel ist sicher.
Doch genauso sicher ist auch, dass die letzte Schlacht noch nicht geschlagen ist. Wir Menschen haben Künstlicher Intelligenz gegenüber einen großen Vorteil: den der Erinnerung! Während wir als Kind lernen, was ein Glas ist und wie und wofür man es benutzt, fehlt Robotern dieses Erlebnis vollständig. Und mit der Fähigkeit der Erinnerung geht ein weiteres wichtiges „Tool“ einher: das der Mustererkennung. Ein Roboter wird zwar alle ihm eingespeisten Befehle brav ausführen, aber wenn er nicht weiß, wozu ein Gegenstand in einer bestimmten Situation ganz konkret gebraucht wird, einfach weil ihm die Erfahrung fehlt, dann hilft ihm all seine Rechenleistung nicht.
Freilich kann ein Algorithmus Erinnerung simulieren - jedoch nicht wahllos und nicht auf dieselbe bahnbrechende Art und Weise wie ein menschliches Gehirn. Es wird also noch ein wenig dauern, bis die KI uns Menschen endgültig abgelöst haben wird. Der Mensch selbst ist und bleibt der Schöpfer seiner Technologie und hat sie somit auch immer noch in der Hand.
Aber weiß er das denn auch?
Was den Menschen ausmacht
„Im weiteren Sinn ist das logische Denken Voraussetzung für den technischen Fortschritt, und die moderne Technik ist ihrerseits Grundlage für fast das gesamte moderne Leben, für Elektrizität, fließendes Wasser, Verkehr, Kommunikationsmedizin, Versorgung und vieles mehr“, sagt der Mathematiker Manuel Kauers. Und: „Ich glaube, dass der Gesellschaft dieser Zusammenhang durchaus bewusst ist, auch wenn sich vielleicht nicht jeder Gedanken darüber macht, wieviel Denkleistung in einem Navigationsgerät verarbeitet ist.
Spannend, so sei noch abschließend erwähnt, ist jedenfalls folgende Frage, die sich in diesem Kontext neu stellt: Was macht mich als Mensch aus, jenseits von Leib, Chemie und DNA? Ist unser genetischer Fingerabdruck schon alles? Gibt er schon die gesamte Antwort auf die Frage nach meiner Existenz? Bestimmt nicht. Und mehr an Erkenntnis kann man leider auch nicht auf Amazon bestellen. Wir müssen uns also aufmachen, eine Reise antreten, ins Offene hinein gehen und uns aufs Neue die Frage stellen: was ist der Mensch?