Inmitten dieser Sommertage fällt es mir gar nicht leicht, mich auf ein Thema für diesen Text zu fokussieren. Mehrere Themen bringen sich ins Spiel, die ich im nächsten Moment als irrelevant oder wenig tragfähig verwerfe. Wenn es nichts zu sagen gibt, soll es doch ein Leichtes sein, sich dem Schweigen hinzugeben, denke ich mir. Wie sehr wünsche ich mir tagtäglich, dass die vielen selbstermächtigten Expertinnen und Experten stillhalten, die von der Wohnzimmercouch aus nicht nur Fußballteams trainieren, sondern ein Impfexpert*innentum an den Tag legen, das mit vielen Meinungen und noch mehr Verschwörungstheorien gewaschen ist. Der Unterschied zwischen Meinung und Wissen ist so wenig bekannt wie der zwischen Klima und Wetter, glaube ich. Es geht aber nicht um Glauben, sondern um Wissen. Das Blatt ist leer, die Gestaltung von unserem geschätzten Grafiker Erwin Franz längst in Form gebracht, die nur mehr mit Inhalt gefüllt werden will. Der Druck eines Redaktionsschlusses wirkt meist beruhigend auf mich, da ich weiß, bis dahin ist es geschafft, da es danach zu spät wäre. Leere Seiten brauchen nicht gedruckt zu werden. Man braucht dieser Logik nur zu folgen, dann kann Druck zum Sog werden, wenn man sich hinsetzt und zu schreiben beginnt. Der Komponist Balduin Sulzer sagte: „Wenn eine Muse kommt, verjage ich sie sofort. Sie hält mich nur vom Arbeiten ab.“ Die einzig sinnvolle Inspiration sei ein Aufführungstermin. Musikerinnen und Musiker, die seine Stücke uraufgeführt haben, wissen, wovon ich schreibe. Die Tinte war oft noch nicht trocken und die Zeit zum Üben knapp. „Konzentriere dich endlich auf eine Sache!“, ist eine Ansage, die ich in jungen Jahren zu hören bekam. Ich wusste aber schon damals, dass ich am aufmerksamsten bin, wenn mehrere Dinge synchron laufen. Die einzige Voraussetzung ist, dass die Dinge mich interessieren, etwas angehen. Jede, jeder ist anders veranlagt, da muss man (meist) selbst draufkommen, auch wenn es bis heute nicht normal scheint, ein vielfältiges berufliches Dasein zu leben, ohne der Oberflächlichkeit verdächtigt zu werden. „Ich konzentriere mich auf alles!“, hat Heinz Holliger – angesprochen auf seine Vielkönnerschaft – reagiert. Der 82-jährige Musikuniversalist ist als Oboist, Komponist, Dirigent, Pianist oder als Lehrer auf der ganzen Welt höchst wirksam zu erleben. Freilich kreist er in einem vor allem klingenden Kosmos (meine eigene Grundveranlagung in diesem Feld kann ich auch in diesem Text nicht verschweigen), aber die Meisterschaft, die er in so vielen klingenden Aggregatzuständen hörbar macht, ist von genialischer Einzigartigkeit. Warum mich dieser Satz berührt, ist, weil er die Konzentration in den Mittelpunkt rückt, eine Fähigkeit, die er mit seinen vielen entwickelten Talenten offensichtlich auf alles, was ihn angeht, anzuwenden vermag. Konzentration ist eine willentliche Fokussierung auf Bestimmtes, um eine Aufgabe zu lösen, um etwas zu erreichen. Zumindest die Erwachsenen brauchen offensichtlich immer einen Nutzen. Wenn wir Kinder beim Spielen beobachten, verfolgen diese nicht unbedingt einen. „Was habt ihr heute im Kindergarten gemacht?“, fragte ich vergangenen Tages meine Tochter. „Gespielt haben wir!“, antwortete sie mit verwunderter Selbstverständlichkeit. „Was habt ihr gespielt?“, fragte ich weiter. „Einfach gespielt!“, sagte sie. Da hat sie mich Erwachsenen ertappt, sofort nach dem Nutzen und Zweck zu fragen. Kinder nennen die Dinge beim Namen, nicht beim Nutzen. Wer spielt, spielt einfach. Mehr geht nicht, mehr braucht es nicht. Kinder haben das Vermögen, sich erfüllen, von den Möglichkeiten ansprechen zu lassen, ohne per se ein Ziel vor Augen zu haben oder auf eine Lösung abzielen zu müssen. Es ist ein ungeheuer wertvolles, menschliches Grundvermögen, das in jeder, in jedem von uns angelegt ist. Es heißt, den Schwerpunkt in sich zu finden. Immer öfter beobachte ich Erwachsene, die ihren Kleinkindern ihre Smartphones unter die Nase halten. Mir brennt dabei das Herz, weil damit die menschliche Souveränität, sich mit sich selbst zu beschäftigen, aufs Spiel gesetzt wird. Zweijährige sitzen auf ihren Hochstühlen und starren wie betäubt auf die kleinen Bildschirme. Ihre Eltern haben ihnen dieses Narkotikum verabreicht, um in Ruhe gelassen zu werden. Ich weiß von meinen eigenen Töchtern, wie angezogen sie von diesen Gerätschaften sind und mit welcher leichthändigen Selbstverständlichkeit sie damit umgehen. Doch letztlich ist dies in dieser Absicht eine Freiheitsberaubung, die sie um die Möglichkeit des Spielens bringt. Der Spielraum ist jener Ort, in dem wir die Welt erfahren, wo Fantasie sich zu entfalten beginnt, wo das Staunen zu Hause ist. Es ist der Ort, wo man Langeweile auszuhalten beginnt, um in Eigenbewegung zu geraten. Wir müssen diese Räume für uns Menschen unter Naturschutz stellen, denn dort erfahren wir, dass die Möglichkeiten in uns liegen, die wir später im „Ernstfall“ einmal brauchen, um Herausforderungen und anderen Problemstellungen begegnen zu können. Der Ernst des Lebens – wenn es ihn denn wirklich gibt – beginnt nicht erst mit dem Eintritt in die Schule, sondern mit der Geburt. Der Ernst der Kinder beim Spielen ist ein ernster, der nicht genug ernst zu nehmen ist. Dieser Ernst zielt nicht in erster Linie auf Unterhaltung ab. Spielen heißt, die Welt und ihre Möglichkeiten zu erobern. Da geht es nicht um ein Warum, nicht um ein Was oder Wie. Zu fragen, was habt ihr heute gespielt, ist, wie danach zu fragen, was hast du heute geatmet? Spielen gehört zur Grundeinstellung des Menschen. Wir kommen alle spielbereit auf die Welt, erobern uns diese spielerisch, indem wir Dinge mit den noch zu kurzen Armen in Bewegung setzen. Etwas später ziehen wir uns den Stuhl heran, meist nicht, um auf die heiße Herdplatte zu greifen. Wir öffnen Küchenkästen, ziehen die Töpfe heraus, bauen Burgen im Sand, spielen Verkaufen mit imaginären und realen Freundinnen und Freunden oder lesen laut Bücher vor, obwohl wir noch lange gar nicht lesen können. Fürs Erzählen eigener Geschichten reicht das beobachtete Ritual, in einem Buch zu blättern. Spielen ist keine Frage des Könnens, sondern des Tuns. Es ist Zustand, Tätigkeit und eine Art von Energie. In diesem Energiefeld ist man ganz bei und mit sich, ist von sich und den Möglichkeiten und Unmöglichkeiten erfüllt, die man in sich hat, um dann die zu ergreifen, die einen umgeben. Wobei diese alles andere als offensichtlich oder sichtbar sein müssen. Sich mit etwas zu beschäftigen, sich von etwas erfüllen zu lassen. Das kann alles sein. Das ist der Ernst des Lebens, der uns angeboren ist. Mit der Zurverfügungstellung eines kleinen Bildschirms wird der innere Schwerpunkt ins Außen gelenkt. Es ist eine Ablenkung, die noch dazu ohne eigenes Zutun unterhält. Es ist eine sehr teure Unterhaltung, die wir uns da leisten, denn sie geht auf Kosten eines grundlegenden Vermögens unserer Kinder. Die Fähigkeit, mit sich zu sein und vieles in sich zu finden, um mit der Welt in Dialog zu gehen. Es ist unfassbar, was damit leichtfertig, vermutlich höchst unbewusst angerichtet wird, wenn diese Möglichkeiten an elektronische Geräte abgegeben werden. Die Welt braucht diese Möglichkeiten mehr denn je, und wir Menschen erst recht.
Im Kepler Salon erwarten Sie im vierten Quartal „singende Mäuse und quietschende Elefanten“ oder die Frage, wie wir die Energiewende schaffen können. Christine Haiden bringt mit „Drei Bücher klüger“ ein neues Format in den Kepler Salon: Drei Gäste stellen je ein Buch vor, das sie in jüngster Zeit klüger gemacht hat. Sie können mit dem Inhalt übereinstimmen oder ihn gänzlich ablehnen, jedenfalls hat er sie aber angeregt, über etwas nachzudenken. Und neben vielen anderem, auf das es sich zu konzentrieren lohnt, wollen wir den 450. Geburtstag von Johannes Kepler feiern. Unser Namenspatron und prominenter Vormieter in der Rathausgasse 5 feiert am 27. Dezember seinen 450. Geburtstag, daher wollen wir ihm alle Montagabende im Dezember widmen, nicht aber vorrangig in dem Sinne, ihm und seinem Werk unmittelbar auf der Spur zu sein, sondern vor allem wie wir als Menschen des 21. Jahrhunderts mit seinem Leben, Wissen und seiner Haltung in Resonanz gehen.