Israel steht im Hightech-Sektor und bei Start-up-Gründungen an der Weltspitze. Ein Kommentar von Korrespondentin ALEXANDRA FÖDERL-SCHMID über die Gründe für diese Innovationskraft.
Das Beispiel Israel zeigt, dass ein kleines und von der Einwohnerzahl her mit Österreich vergleichbares Land mit acht Millionen Einwohnern zu einer Größe im Wissenschafts- und Innovationsbereich werden kann. Voraussetzung ist, dass der gemeinsame Wille vieler vorhanden ist, diesen Weg zu bestreiten. Der fehlt aber in Österreich.
Dabei könnte man von Israel, wo neuerdings auch österreichische Politiker häufiger hinpilgern, vieles lernen. Dass Israel weltweit als Start-up-Nation gilt, hat nicht nur mit gutem Marketing zu tun. Es ist eine Reihe von Faktoren, die zu diesem Erfolg beitragen. Über allem steht, dass man in den Geist investieren muss: Das gilt für die Regierung genauso wie für die Wirtschaft, die wiederum eine enge Verbindung zur Wissenschaft hat. Das bekannteste Beispiel ist Amnon Shashua, Professor für Computerwissenschaften an der Hebrew University, der auch Co-Gründer von Mobileye ist. Mobileye ist Hersteller für Fahrerassistenzsysteme, das Unternehmen wurde 2017 von Intel für 15,3 Milliarden US-Dollar gekauft. Shashua hat gezeigt, wie Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit in praktische Lösungen umgesetzt werden können. Solche Kooperationen sind ein wichtiger Erfolgsfaktor in Israel.
Dieser gemeinsame Einsatz, der auch einer Selbstverpflichtung der handelnden Akteure gleichkommt, fehlt in Österreich. Wer den inzwischen verstorbenen israelischen Präsidenten Shimon Peres erlebt hat, mit welcher Begeisterung er jedes Jahr beim Weltwirtschaftsforum in Davos von innovativen Ideen in seinem Land schwärmte und wie er junge Israelis aus dem Wissenschaftsbereich und der Start-up-Szene persönlich Vertretern der großen Tech-Firmen vorstellte, versteht: Innovation ist hier eine nationale Obsession, Forschung der Schlüssel dazu.
In Österreich gibt es zwar die rhetorischen Bekenntnisse von Politikern, aber spätestens, wenn es ums Geld geht, dann war‘s das mit der Unterstützung. Dass man in Israel nicht nur redet, sondern auch handelt, zeigen die Zahlen. Israel investiert von allen OECD-Ländern mit 4,25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts das meiste in den Bereich Forschung und Entwicklung. Österreich liegt mit über drei Prozent immerhin über dem OECD-Durchschnitt von 2,4 Prozent. Aber da ist noch beträchtlich Luft nach oben.
Was in Österreich auch fehlt, ist eine Gesamtstrategie, auf die sich die verschiedenen Akteure verpflichten. Israel hat schon früh erkannt, dass es als Land ohne Rohstoffe auf die geistige Infrastruktur setzen muss. Nach Ansicht von Aharon Aharon, dem Chef der israelischen Innovationsbehörde, wurde die Basis für die jetzige Entwicklung Anfang der Siebzigerjahre geschaffen. Als eines der ersten Länder weltweit begann Israel zudem damit, Forschung und Entwicklung zu fördern – vor allem im Risikobereich. Auch private Investoren wurden gelockt. Wurden 60 Cent investiert, gab der Staat 40 Cent als Anschubfinanzierung dazu, die nach drei Jahren zurückgezahlt werden musste. Nur eines von zehn Unternehmen schaffte das nicht.
Außerdem wurde ab den Achtzigerjahren massiv in Universitäten investiert. Auch jetzt wird Geld in die Hand genommen. Die Regierung hat für mehr Studienplätze in Computerwissenschaften 700 Millionen US-Dollar in den kommenden zwei Jahren bereitgestellt. Aber Geld ist nicht alles. Antworten auf die Frage, was man in Israel anders macht, findet man auf dem weitläufigen Campus des Weizmann-Instituts in Rechovot. Das Weizmann- Institut, eine der acht Universitäten des Landes, dessen Mitarbeiter sich der Grundlagenforschung widmen, genießt weltweit einen hervorragenden Ruf. Für Yifat Merbl, die an der Biologie-Fakultät über Immuntherapie forscht, fängt es mit den Stellenbesetzungen an: In Europa werden Wissenschaftler gesucht, die ausgeschriebene Positionen füllen können. In Israel werden Wissenschaftler identifiziert, die in ihrem Bereich Einzigartiges leisten, und dann wird versucht, eine Finanzierung für diese wissenschaftliche Arbeit zu finden. Auch für den ehemaligen Vizedekan Zvi Livneh, der sich an Fakultät für Biochemie mit personalisierter Medizin auseinandersetzt, ist die Forschungsfreiheit das Wichtigste. Er rate jungen Wissenschaftlern, ihrer Neugier zu folgen und nicht zuerst das Ziel einer kommerziellen Nutzung im Blick zu haben.
Das Jahresbudget des Weizmann-Instituts von rund 200 Millionen US-Dollar kommt zu einem Drittel vom Staat, ein beträchtlicher Anteil stammt aus Lizenzgebühren. Um die Vermarktung kümmern sich nicht die Wissenschaftler, sondern Yeda, die Forschungs- und Entwicklungsfirma, die nicht direkt in die Uni-Struktur eingebunden, sondern ein eigenständiges Unternehmen im Besitz der Hochschule ist. An der Hebrew University kümmert sich die Firma Yissum um die Vermarktung wissenschaftlicher Erkenntnisse.
Das bekannteste Beispiel dieses Ansatzes – „Lasst die Wissenschaftler arbeiten“ – erzählt Yivsam Azgad gerne Besuchern, die zum Weizmann-Institut kommen: Zwei Forschungsteams mit rund 50 Personen haben sich mehrere Jahre mit dem Thema Ordnung auseinandergesetzt. Die Kritik wurde lauter, als nach mehreren Jahren noch keine Ergebnisse präsentiert wurden. Am Ende haben beide Teams unabhängig voneinander Wirkstoffe gegen multiple Sklerose entwickelt, die dem israelischen Pharmakonzern Teva und der Firma Merck Millionenumsätze bescheren.
Da schwingt auch etwas von der israelischen Mentalität mit, die nur schwer auf Österreich übertragbar ist: Wenn etwas nicht gelingt, dann sieht man das nicht als Scheitern, sondern als Chance, daraus zu lernen – und fängt noch einmal an.
Die Rolle des Militärs kann schon gar nicht auf Österreich übertragen werden. In der Armee, in der junge Männer drei Jahre und Frauen zwei Jahre ihren Dienst absolvieren müssen, werden nicht nur technische Fähigkeiten gefördert, sondern auch Studien ermöglicht. Auch das zeigt, selbst beim Armeedienst wird Wert auf Bildung gelegt. Um es auf den Punkt zu bringen: Was Österreich fehlt und was man von Israel lernen kann, ist dieses Selbstverständnis, dass Wissenschaft und Forschung Priorität haben.