Das neue EU-Rekordbudget soll die Volkswirtschaften der Union nach der Pandemie nicht nur wiederbeleben, sondern auch für künftige Missionen startklar machen. Aber wie können die Universitäten davon profitieren?
Füllhörner waren in der Antike trichterförmige Körbe, in die Früchte und Blumen gefüllt wurden. Irgendwann wurden sie zum Symbol für Überfluss und pralles Leben; wenn über jemanden das Füllhorn ausgeschüttet wurde, wurde sie oder er reich beschenkt. Schon allein deshalb ist es unzutreffend, das Wort im Zusammenhang mit dem neuen, größten EU-Budget aller Zeiten (siehe Factbox) zu bemühen, wie das in den letzten Monaten immer wieder getan wird. 750 Milliarden Euro allein für den Wiederaufbauplan Next- GenerationEU sind zwar eine spektakuläre Summe. Sie sind aber nicht etwa Ausdruck reicher Ernte, sondern eher Treibstoff für eine gigantische Reanimiermaschine, „eine Antwort auf die Gesundheits- und Wirtschaftskrise“, so Marc Fähndrich, Leiter der wirtschaftspolitischen Abteilung der EU-Kommissionvertretung in Wien.
Schaffung von Arbeitsplätzen
Die Mittel sollen den schwer getroffenen Volkswirtschaften der Union helfen, nach Ende der Corona-Pandemie möglichst rasch wieder auf die Beine zu kommen und sich zugleich neu auszurichten, um im Kampf gegen den Klimawandel sowie im weltweiten Rennen um Digitalisierung mithalten zu können. Die wichtigste Komponente von NextGenerationEU ist dabei die 672,5 Milliarden Euro schwere sogenannte Aufbau- und Resilienzfazilität, in der sowohl Kredite als auch Zuschüsse bereitstehen. Vorgesehen ist, dass 37 Prozent des Geldes in Maßnahmen für Klimaschutz fließen, 20 Prozent in Digitalisierung. Der große Rest ist für Gesundheit, Bildung und andere Bereiche zweckgewidmet. Der erhoffte Effekt laut EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen: enorme Investitionen, die Millionen von Arbeitsplätzen schaffen würden, sei es im Bereich Klimaschutz oder beim Ausbau der digitalen Infrastruktur. Eben haben die entscheidenden Wochen begonnen. „Derzeit geht es darum, gute Projekte zu finden. Das ist eine Holschuld der Mitgliedstaaten“, erklärt Fähndrich. In Österreich, das sich im heftigen Tauziehen bei den Budgetverhandlungen im Sommer in der Gruppe der sogenannten „Sparsamen Vier“ befunden hatte, geht es um drei Milliarden Euro.
Bis 30. April wird die österreichische Regierung ihren nationalen Konjunkturplan einreichen; am 26. Februar endete die öffentliche Konsultation zu diesem Thema. Je früher eingereicht wird, umso früher können die Mittel wirksam werden: 13 Prozent der Zuschüsse werden als Vorauszahlung ausgeschüttet, „das wären im Fall Österreichs rund 400 Millionen Euro“, sagt Fähndrich.
Ziel: Digitale Souveränität
Eine fertige Projektliste gibt es noch nicht: Hinter den Kulissen ist zu hören, dass das türkis geführte Finanzministerium tendenziell bremst, während im grün gelenkten Klimaschutzministerium eine Reihe von konkreten Projektideen vorliegt, vom Bahnausbau bis zur Sanierung öffentlicher Gebäude. Mit Blick auf Italien ist die öffentliche Zurückhaltung in Österreich durchaus nachvollziehbar. Dort werden besonders absurde Details des nationalen Recovery Plans – vom Wasserspeicherbecken zur Beschneiung von Skigebieten bis zur Gartensanierung von Schlössern – bereits tagtäglich in den Tagesmedien zerpflückt. In Deutschland, das rund 22 Milliarden Euro aus dem Wiederaufbaufonds erhalten soll, wird vorab bemängelt, dass drei Viertel des Geldes nicht in neue, sondern schon in davor beschlossene Projekte gesteckt werden sollen.
Wie kann aber der Forschungsbereich vom Wiederaufbaufonds profitieren? Zum einen ganz simpel mit Projektideen, die den EU-Kriterien entsprechen und vor der Einreichfrist Ende April schon ausgereift genug sind. Es ist etwa naheliegend, dass die in Oberösterreich geplante neue Technische Universität die Gunst der Stunde nützen könnte. Bisher sind nur die im Oktober 2020 präsentierten Absichtserklärungen bekannt (lesen Sie dazu auch die letzte Ausgabe der Kepler Tribune), aber keine Details zu den Strukturen und zum Standort – und schon gar nicht zur Finanzierung.
Prinzipiell könnte das ehrgeizige Vorhaben aber Teil des großangelegten Post-Covid-Investitionsprogramms werden. EU-Experte Fähndrich stellt klar: „Eine Anschubfinanzierung, etwa für eine neue Universität, ist möglich, aber der laufende Unterhalt kann nicht aus EU-Geldern bestritten werden.“ Weil eines der von der EU explizit angestrebten Ziele digitale Souveränität ist, könnte eine Ausbildungsstätte für Schlüsseltechnologien der Zukunft sogar besonders gute Chancen haben. Unter digitaler Souveränität definiert der österreichische Rat für Forschung und Technologieentwicklung (RFTE), der sich derzeit intensiv mit dem Thema beschäftigt, selbstbestimmtes Handeln in den zentralen Technologiefeldern, Diensten und Plattformen. Daneben und darüber hinaus werden Forschungsprojekte im universitären Bereich aber weiterhin zum allergrößten Teil aus dem regulären Budget finanziert.
Das Nachfolgeprogramm des „Horizon 2020“-Programms für die Wissenschaft heißt „Horizon Europe“ und läuft bis 2027. Es ist fast 95 Milliarden Euro schwer und mit zusätzlichen 5,4 Milliarden Euro aus NextGenerationEU gespeist, um die wirtschaftliche Erholung anzukurbeln und die EU widerstandsfähiger zu machen; außerdem gibt es eine Aufstockung um 4,5 Milliarden Euro.
Forschungsstandort Europa
Ein Fünftel von „Horizon Europe“ ist für Digitales reserviert: vereinfacht gesagt hat alles, was zur Weiterentwicklung von Highend-Forschung und Technologien in Bereichen wie Künstliche Intelligenz, Robotik, Hochleistungs- Computing oder Big Data beiträgt, besonders gute Chancen, Mittel aus den EU-Töpfen zu bekommen. Diese Digitalisierungsoffensive im Forschungsbereich ist aber nicht kurzfristig angelegt, sondern soll ihre Wirkung so richtig über die volle Laufzeit des Programms entfalten.
Denn die Wiederaufbau-Gelder sind auch deshalb nur bedingt für reguläre Grundlagenforschung mit Universitätsbeteiligung geeignet, „weil unsere Forschungsprogramme längerfristig orientiert sind“, erklärt Matthias Fink, Professor für Innovationsmanagement an der JKU Linz und Spezialist für die Forschungsschnittstelle zwischen Wissenschaft und KMUs. Oft dauere allein der Beantragungs-, Begutachtungs- und Auswahlprozess mehrere Jahre. „Von der Idee bis zur Umsetzung dauert es dann oft 2,5 Jahre und mehr“, so Fink.
Im Bereich der gesellschaftlichen Herausforderungen der digitalen Transformation seien die Vorarbeiten an der JKU aber bereits geleistet und passend ausgerichtete Töpfe aus den EU-Wiederaufbau-Geldern können für die Grundlagenforschung somit rasch genutzt werden.
Besonders attraktiv wäre dabei ein disziplinenübergreifender Blick auf digitale Geschäftsmodelle. „Damit die Forschungsmittel aus dem Wiederaufbautopf der EU nachhaltig was bewirken, darf das keine Einmalaktion sein“, mahnt Fink. Auch aus diesem Grund sei eine ordentliche Dotierung von „Horizon 2020“ und in der Folge „Horizon Europe“ aus seiner Sicht „lebensnotwendig für den Forschungsstandort Europa“.
Nachsatz: Hätten sich die „Sparsamen Vier“ im Sommer 2020 durchgesetzt, wäre es, entgegen den Ankündigungen, wahrscheinlich zu einer noch deutlicheren Kürzung der Forschungsmittel gekommen – mit beträchtlichen Auswirkungen auf die bisherigen Strukturen. „Zum Glück wurde das noch weitgehend abgewendet“, kommentiert Fink.
Ohne Glück, etwa was den weiteren Verlauf der Corona-Pandemie angeht, wird es auch trotz groß dimensioniertem Wiederaufbauplan in Zukunft ohnehin nicht gehen. Und da passt es dann doch ins Bild, dass das Gefäß der römischen Glücksgöttin Fortuna, in dem sie gutes oder schlechtes Schicksal, Glück oder Pech verteilte, Cornucopia hieß: Füllhorn.