Der Italiener Sergio Canavero will den Kopf eines schwerkranken Menschen auf den Körper eines hirntoten Spenders transplantieren.
„Was ist der Körper, wenn das Haupt ihm fehlt?“ William Shakespeare, „König Heinrich VI.“
„Um dem Kopf neues Leben zu ermöglichen, muss man ihm einen neuen Körper geben.“ Sergio Canavero, italienischer Neurochirurg
Theo Kelz, der Polizist, dem 1994 eine Briefbombe beide Hände weggerissen hat, hat seit 18 Jahren die Hände eines Verstorbenen. Der Bayer Karl Merk lebt seit 2008 mit zwei unterhalb des Schultergelenks transplantierten Armen. Beide Operationen, die eine durchgeführt an der Uniklinik Innsbruck, die andere von Ärzten der Münchner Klinik rechts der Isar sowie der Klinik Memmingen, haben nebst den Pionierarbeiten des Franzosen Jean-Michel Dubernard viel Aufsehen in der Fachwelt ausgelöst.
Im Vergleich zu dem Plan, mit dem Sergio Canavero, Neurochirurg aus Turin, seit mittlerweile mehr als zwei Jahren hausieren geht, sind das Fingerübungen. Canavero will, so kündigt er es zumindest an, den Kopf eines schwerkranken Menschen auf den Körper eines hirntoten Spenders setzen.
Unter „Kopftransplantation“ firmiert das Vorhaben (auch wenn es genau genommen eine Körpertransplantation ist, schließlich bekommt ja der Kopf einen neuen Körper). Dem Italiener bringt es regelmäßig Schlagzeilen, was dem Verkauf seiner Bücher – das jüngste nennt sich „Medicus Magnus“ – nicht abträglich ist.
Wie wahrscheinlich ist es, dass innerhalb des nächsten Jahrzehnts der Kopf eines körperlich schwer kranken Menschen auf den Körper eines hirntoten Patienten transplantiert wird? Wo sind die medizinischen Schwierigkeiten, wo die rechtlichen und ethischen Hürden? Und wer wäre denn der Kopf mit seinem neuen Körper? „Ich halte es für nahezu ausgeschlossen, dass eine solche Operation von einem seriösen, in der neurochirurgischen Community angesehenen Team an einer renommierten Universität durchgeführt werden wird“, sagt Andreas Gruber, Professor für Neurochirurgie an der Medizinischen Fakultät der Linzer Johannes Kepler Universität.
Was nicht heißt, dass die Operation nicht stattfinden wird. Denn: „Es ist möglich, dass sich in einem Land, das sich an allen ethischen und medizinischen Vorgaben vorbeibewegt, ein wissenschaftliches Zentrum profilieren will und sich dort ein Glücksritter- Team findet“, sagt Gruber – unabhängig davon, wie niedrig die Erfolgsaussichten einer solchen Operation sind.
Immer wieder verschoben
Sein Vorhaben hat Canavero bisher von Mal zu Mal verschoben: Die erste Deadline, die sich der Turiner gesetzt hat, ist verstrichen. 2017 wollte er die Operation mit einem Team von rund hundert Experten in China durchführen. Es kam nicht dazu. Alles, was Canavero und sein Forschungspartner Ren Xiaoping von der Universität Harbin im Nordosten Chinas 2017 vorweisen konnten war, die Operation an zwei Leichen vorgenommen zu haben. In einer 18-Stunden-OP wurde der Kopf einer frischen männlichen Leiche auf den Körper einer anderen gesetzt. Einen lebenden Patienten, der seinen Kopf auf einen neuen Körper setzen lässt, hat Canavero derzeit nicht.
Lange Zeit galt der russische Programmierer Valeri Spiridonov als der erste Kandidat, der einen neuen Körper bekommen sollte. Spiridonov, 33, leidet an spinaler Muskelatrophie, einer Krankheit, die jene Nervenzellen im Rückenmark absterben lässt, die für die Bewegung und letztlich sogar für die Atmung verantwortlich sind. Die Muskeln verkümmern, im Endeffekt ersticken solche Patienten oft.
„Das wäre in der Theorie natürlich ein Fall, für den die Operation infrage kommt“, sagt der Linzer Professor Gruber. Doch Spiridonov ist seit Ende des Vorjahres als Patient gestrichen.
Warum? Das begründete Canavero einmal damit, dass „die Russen nicht für ein neues Leben für Spiridonov zahlen wollen“, ein andermal damit, dass der Kopf des Russen ja gar nicht auf einen chinesischen Spenderkörper passe.
Wie auch immer: Nun soll ein Chinese gesucht werden, der seinen Kopf einem anderen (chinesischen) Körper aufsetzen lassen will.
Bevor es so weit ist, planen Canavero und Ren Xiaoping noch einen Zwischenschritt: Sie wollen die Transplantation bei zwei hirntoten Patienten mit schlagenden Herzen durchführen, wie Canavero sagt – bevor in der finalen Stufe ein lebender Patient den Körper eines hirntoten Spenders erhalten soll.
Die ultimative Rettung
Käme auch ein Patient mit Krebs infrage, der seinen Körper gegen einen neuen austauschen lässt, wie Canavero meint? Ein neuer Körper als ultimative Rettung bei unheilbaren Krankheiten? „Nein, bei Krebs wäre das sinnlos“, sagt Gruber. „Bei Krebs zirkulieren die Zellen ja.“
Die Operation selbst beschreibt Canavero sehr detailliert. Spender und Empfänger sitzen seinen Vorstellungen zufolge fixiert in Metallgestellen in einem Operationssaal mit mindestens 200 Quadratmetern. Weil viele Schritte parallel erfolgen müssen, brauche man ein Team von hundert Experten, sagt Canavero. Bei der Dauer der Operation liegen Canaveros Angaben zwischen 13 und 36 Stunden.
Die Schwierigkeiten sind mannigfaltig. Da wäre einmal das Problem, dass der Kopf bei aller Fingerfertigkeit der Operateure eine beträchtliche Zeit ohne Blutzufuhr und damit ohne Sauerstoff auskommen müsste.
Canavero will das lösen, indem er den Kopf des Patienten auf zwölf Grad Celsius abkühlt. Durch die reduzierte Temperatur benötigen die Zellen weniger Energie und damit auch weniger Sauerstoff. „Es gibt Erfahrungswerte, dass ein Gehirn tatsächlich bis zu 45 Minuten ohne Blutzufuhr auskommen kann“, sagt der Linzer Neurochirurg Gruber. „Das Gehirn hält das aus – mit vielen Medikamenten.“ Aber in dieser Dreiviertelstunde müsse man es schaffen, den Kopf abzusetzen und mit dem neuen Körper zu verbinden.
Canavero will den Kopf des Patienten zwischen fünftem und sechstem Halswirbel mit einem scharfen Schnitt von seinem alten Körper abtrennen und dem Spenderkörper aufsetzen. „Dazu muss man alle vier großen Halsschlagadern durchtrennen, den Kopf kanülieren – und letztlich mit dem Blutkreislauf des neuen Körpers verbinden“, sagt Gruber. Selbiges gilt für Speise- und Luftröhre (hier hat man mehr Zeit), alle Nerven und natürlich auch für die Wirbelsäule und das Rückenmark.
Und bei der Verbindung des Rückenmarks sieht Gruber die allergrößte Schwierigkeit. Canavero will das mit Polyethylenglykol (PEG) bewältigen, das die durchtrennten Nervenenden zusammenwachsen lassen soll. Anschließend soll der Patient drei Wochen im künstlichen Koma liegen, um Bewegung bei der Phase der Wiederverbindung der Rückenmarksnerven zu verhindern.
Was erwartet den Patienten, wenn er dann aufwacht?
„Ich schätze die Chance auf 90 Prozent, dass der Empfänger des neuen Körpers überleben und auch gehen können wird“, sagte Canavero im Vorjahr.
„Warum heilt er nicht Gelähmte?“ Neurochirurg Gruber hält es dagegen für so gut wie ausgeschlossen, dass der Patient sich später wieder bewegen kann. „Wenn die Verbindung des Rückenmarks so einfach ginge, dann würde doch ein vernünftiges Forschungskonsortium einmal damit beginnen, die Technik bei Querschnittgelähmten einzusetzen“, sagt er. „Wenn Canavero zu wissen glaubt, wie man das Rückenmark wieder verbindet, warum heilt er dann nicht Zigtausende Querschnittpatienten, bevor er anfängt, Köpfe abzutrennen?“
Tatsache sei leider, dass man trotz intensiver Forschung noch keinen Weg gefunden habe, getrenntes Rückenmark wieder zu verbinden. „PEG funktioniert bei Ratten, aber nicht bei Menschen.“
Es gebe einen Fall aus Polen, bei dem es gelungen sei, das Rückenmark mithilfe von Nervenzellen aus der Nase wieder zu verbinden. „Das ist aber bisher der einzige berichtete Fall in der Literatur“, sagt Gruber.
Canavero wischt solche Einwände stets mit der Behauptung weg, bei seinen Patienten durchtrenne er das Rückenmark ja mit einem klaren, scharfen Schnitt. Es werde also nicht wie bei einem Unfall nachhaltig geschädigt. Das mache das Zusammenwachsen einfacher. „Das ist nicht einmal ansatzweise wissenschaftlich belegt“, sagt Gruber.
Das Fazit des Linzer Neurochirurgie- Professors: „Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird der Patient querschnittgelähmt bleiben und mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Operation einen Schlaganfall erleiden.“ Welche Auswirkungen der Schlaganfall, bedingt durch die Unterbrechung der Blutversorgung des Gehirns, hat, sei unvorhersehbar.
Wer ist der Kopf am neuen Körper?
Sollte der Patient überleben und sein Bewusstsein behalten, wer wäre denn dieser Kopf mit dem neuen Körper?
Rechtlich ist die Sache klar. Der Kopf lebt fort, wie Reinhard Resch, Experte für Medizinrecht an der Linzer Kepler Uni, erklärt. Und ob Schulden oder Vermögen: Der Kopf behält, was er vorher hatte. Beim Spender des Körpers tritt dagegen der Erbfall ein.
Und als wer würde sich der Kopf am neuen Körper fühlen? „Kognitiv und motorisch wäre es derselbe Mensch“, sagt Neurochirurg Gruber. „Von seinen Empfindungen kann man das aber nicht notwendigerweise behaupten.“
Lustig, grantig, cholerisch oder depressiv – der Gefühlshaushalt eines Menschen wird zu einem beträchtlichen Teil vom Hormonsystem des Körpers gesteuert. „Ein anderer Körper hat andere Drüsen, der Patient ist dann plötzlich in einer ganz anderen Emotionalität drinnen“, sagt Gruber.
Kreuzworträtsel und Gefühle
Nehmen wir ein Beispiel: „Wenn es um das Lösen von Kreuzworträtseln geht, wird der Patient das ähnlich gut bewältigen wie früher“, sagt Gruber. „Den Namen des Flusses in Afrika mit drei Buchstaben wird das Gehirn reproduzieren können“, sagt Gruber. „Die Frage, ob der Patient aber schneller grantig wird oder stoisch nach fehlenden Wörtern sucht, kann man nicht mehr eindeutig beantworten.“
Michael Rosenberger ist römisch- katholischer Priester und lehrt an der Katholischen Universität Linz Moraltheologie. Wie sieht er die Frage, ob der Kopf am neuen Körper noch derselbe Mensch ist?
„Wie das jemand von außen sieht, ist nicht relevant“, sagt Rosenberger. „Entscheidend ist, wie sich dieser Mensch dann selbst fühlt – und ich kann mir nicht vorstellen, dass der Kopf am neuen Körper sich als der Mensch empfindet, der er einmal war.“ Der menschliche Geist sei ja nicht durch das Gehirn allein bestimmt, sagt auch Rosenberger. „Das wissen wir aus der Hirnforschung. Sondern durch das permanente Wechselspiel zwischen Gehirn und Körper.“
Selbst wenn der Eingriff also technisch machbar wäre: „Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch eine solche Operation psychisch verkraftet und damit umzugehen lernt, halte ich für äußerst gering“, sagt Rosenberger. „Allein schon deshalb erscheint mir ein solcher Eingriff nicht zu verantworten.“
Der Gruselfaktor
Dass Canavero mit seiner Geschichte so viel Raum findet – vom Boulevard bis zu europäischen Qualitätsmedien –, liegt auch am Gruselfaktor, den die Abtrennung eines Kopfes und dessen Verpflanzung auf einen neuen Körper mit sich bringt. Warum löst gerade diese Operation bei so vielen Leuten ein solches Unbehagen aus?
„Unsere Moralvorstellungen sind gesellschaftlich geprägt“, sagt Johann Bacher, Leiter des Instituts für Soziologie an der Linzer Johannes Kepler Universität. „Mit dem in diesen enthaltenem Verständnis der Einheit von Geist und Körper und der Antwort auf die Frage, wie weit der Mensch in die Schöpfung eingreifen darf, passt diese Operation für viele nicht zusammen.“ Das könne sich zwar ändern, „aber empirisch nicht so rasch“, sagt Bacher. Sind das nur westliche Vorbehalte? „Nein, das kann man durchaus universell sehen“, sagt er. „Bei Naturvölkern wird die Ablehnung von medizinischen Eingriffen sogar stärker sein als bei technisch fortgeschrittenen Gesellschaften“, sagt Bacher. Aber selbst im fernöstlichen Kulturkreis, wo Canavero die Operation durchführen will, würde sein Vorhaben als Grenzüberschreitung empfunden.
Tatsächlich ließ zuletzt auch der Vorsitzende des chinesischen Komitees für Organverpflanzungen, Huang Jiefu, wissen: „Wir werden niemals erlauben, dass solche klinischen Versuche in China ausgeführt werden.“ Die Operation sei „technisch unmöglich und verstößt gegen chinesische Gesetze und Vorschriften.“
In Österreich wäre eine solche Operation ein Fall fürs Strafrecht, sagt der Linzer Medizinrechtler Reinhard Resch. „Sie würde den Tatbestand des Mordes beziehungsweise des Mordversuchs erfüllen.“ Lege artis – also den Regeln der Heilkunst entsprechend – wäre eine Kopftransplantation keinesfalls. Angesichts der Tatsache, dass es so gut wie keine Vorstudien gibt, nähme der Operateur den Tod des Patienten billigend in Kauf – daher Mord.
Tatsächlich sei eine Kopftransplantation bisher nicht einmal bei Tieren erfolgreich durchgeführt worden, sagt Neurochirurg Gruber.