Wenn Martin Schagerl über Gewichtsprobleme nachdenkt, ist seine Lösung nicht einfach „abspecken“. Am Institut für Konstruktiven Leichtbau an der JKU Linz entwickelt er neue Technologien, die Maschinen wie Flugzeuge, Autos oder sogar Windräder leichter und damit effizienter machen. Vorbild ist dabei nicht selten die Natur.
Viel Raum, wenig Wand. Nach diesem Prinzip bauen Bienen ihre Behausung in der klassischen Wabenstruktur. Auch Bäume sind „Meister der Mechanik“: Sie optimieren ihre äußere Form durch Rundungen und Verstärkungen so, dass sich bei Sturm die Biegespannung gleichmäßig über die Oberfläche verteilt. Und in ihrem Inneren sorgen gerichtete Fasern für Festigkeit.
Die Natur macht es vor, wie mit minimalem Einsatz von Material und raffinierter Konstruktion leicht und dennoch äußerst stabil gebaut werden kann. Dieses Prinzip von Effizienz spielt auch bei der menschlichen Ingenieurskunst eine Rolle. Nicht erst, seit der Klimawandel einen schonenden Umgang mit materiellen und energetischen Ressourcen dringender macht. „Der Leichtbaugedanke war schon immer da – man erinnere sich nur an die dünnen Bleche der Ritterrüstungen. In den letzten Jahrzehnten ist die Disziplin Leichtbau vor allem getrieben von Anwendungen in Luft- und Raumfahrt, denn Raketen oder Flugzeuge heben schlicht nicht ab, wenn sie zu schwer sind“, erläutert Prof. Dr. Martin Schagerl, Leiter des Instituts für Konstruktiven Leichtbau der JKU Linz.
Zusätzlich gilt dort, wie im Transportwesen allgemein: Je leichter Flugzeuge oder Autos sind, desto weniger Sprit oder Strom verbrauchen sie für den Antrieb. Mit der Entwicklung von Elektroautos, deren Batterien eine hohe Last bedeuten, bekommt die Leichtbauforschung wieder neuen Schub. Auch in anderen Branchen erhofft man sich durch weniger Gewicht einen Mehrwert: Leichtere Windkraftanlagen produzieren bei gleichem Wind mehr Strom, und leichtere Maschinen und Roboter in der industriellen Produktion verbrauchen weniger Energie. Bei alledem sei „leicht“ natürlich ein sehr relativer Begriff, sagt Schagerl: „Was für ein Auto als leicht gilt, kann für Flugzeuge viel zu schwer sein.“
Wenn Martin Schagerl von Gewichtsproblemen spricht, lautet seine Lösung nicht einfach „abspecken“. Sein Ansatz ist komplexer, ganzheitlicher: Die Entwicklung neuer leichterer Materialien verlangt nach angepassten neuen Konstruktionen und Produktionsverfahren, und es werden entsprechende Prüfmethoden benötigt. Denn: Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Sicherheit haben auch bei hauchdünnen Wänden und filigranen Gerüsten oberste Priorität. „Die reine Werkstoffentwicklung ist z u n ä c h s t sinnfrei. Die F u n k t i o - nalität muss gewährleistet sein, und der Einsatz der oft teureren neuen Stoffe muss sich rechnen“, betont Schagerl.
Was die Materialien angeht, so ist die Vielfalt groß. Metalle spielen auch weiterhin eine wichtige Rolle, denn sie lassen sich oft gut formen und verarbeiten, etwa durch Stanzen, Biegen, Schweißen. Und sie können erstaunlich leicht und elastisch sein. Für die Raumfahrt leistet man sich teure Varianten wie Titan; in der Automobilindustrie konkurrieren neuartige höchstfeste Stähle mit Aluminiumlegierungen.
Auch Kunststoffe werden immer leistungsfähiger. Sie haben per se ein vergleichsweise geringes Gewicht und werden zum Beispiel so getrimmt, dass sie höhere Temperaturen ertragen und eine höhere Festigkeit besitzen. Eine wichtige Entwicklung dabei sind die faserverstärkten Kunststoffe wie Kohlefaserverbundwerkstoffe (CFK). Boeings Dreamliner oder der Airbus A350 bestehen zu großen Teilen daraus, ebenso die Boliden der Formel 1. Aber auch in den Pkw-Bau halten sie Einzug, etwa für die selbsttragende Karosserie des BMW i3. Die in Kunststoff eingegossenen, oft zu Matten gewebten Kohlefasern sind ultraleicht, extrem reißfest und verleihen den Materialien deshalb eine besondere Leichtbauqualität. Allerdings sind sie nicht leicht zu verarbeiten und immer noch sehr teuer. Verglichen mit Metallen, insbesondere Stahl, haben sie zudem ein Problem hinsichtlich der Nachhaltigkeit: Ihre Herstellung ist sehr energieaufwendig und das Recycling technisch noch nicht ausgereift. Alternativ wird deshalb auch am Einsatz von Naturfasern geforscht.
Auch selbstheilende Materialien stehen in diesem Zusammenhang im Fokus. Während Stahl auch mit Dellen noch eine ausreichende Festigkeit besitzt und Risse geschweißt werden können, tolerieren Faserkunststoffverbunde Schäden, wie sie zum Beispiel bei einem Zusammenstoß entstehen, wesentlich schlechter. „Zwar ist manchmal gar keine äußere Beeinträchtigung sichtbar, aber das Material kann innen zerrüttet sein“, erläutert Schagerl. Deshalb arbeiten Forschende daran, kleine mit speziellem Klebstoff gefüllte Kapseln in die Kunststoffe zu integrieren, die im Falle einer Verletzung auslaufen und so einen Riss sofort kitten.
An Schagerls Lehrstuhl werden Methoden und Strategien zur Inspektion und Überwachung der neuen Materialien verfeinert und entwickelt. Mit Ultraschall und Röntgen lässt sich in Labor und Werkstatt, oder mit mobilen Geräten auch vor Ort, quasi ins Bauteil hineinschauen. Es soll aber auch möglich werden, die Flügel von Flugzeugen oder Windkraftanlagen permanent zu überwachen, um notfalls schon im Betrieb Alarm zu schlagen. Dazu werden die Bauteile mit einem Netzwerk aus Sensoren bestückt. Diese piezoelektrischen Elemente merken Änderungen im Vibrationsverhalten der Bauteile, wenn diese – etwa durch einen Riss – zusätzliche Belastung erfahren. Ausgerüstet mit Sender und Empfänger sowie einer kleinen Einheit zur Energiegewinnung können sich die Sensoren auch untereinander verständigen und Auffälligkeiten melden. Durch ihr Zusammenspiel soll es auch möglich werden, Schäden genau zu lokalisieren. „Eingeschränkt gibt es das schon bei Windkraftanlagen. Es könnte aber auch für die Überwachung kritischer Bauteile in Autos interessant werden“, meint Schagerl. Hier zeigt s i c h eindrucksvoll, wie beim Thema Leichtbau die unterschiedlichsten fachlichen Disziplinen ineinandergreifen – von Materialforschung über Maschinenbau, der übrigens an der JKU Linz ab kommendem Wintersemester auch als Studienfach angeboten wird, bis zu Mechatronik.
Auch die Mathematik und Informatik spielen als Querschnittswissenschaften eine wichtige Rolle. Egal, ob es sich um die Entwicklung der Materialien oder neuer Konstruktionsprinzipien handelt: Mit immer intelligenteren Verfahren der Simulation werden die Entwicklungszeiten zunehmend kürzer, denn vieles kann berechnet und muss nicht mehr probiert werden.
Apropos Konstruktionsprinzipien: Hier zeigt sich, wie eng Simulation und Natur verbunden sind. Denn die Natur ist Weltmeisterin darin, Material sparsam einzusetzen und dennoch enormen Belastungen standhalten zu können. Bäume sind dafür ein ebenso eindrucksvolles Beispiel wie Knochen, mit ihrer löchrig-verästelten Struktur im Inneren und dem Prinzip, nur die Stellen zu verstärken, die besonders belastet sind. Mit Wachstumsalgorithmen gelangt man mit dem Computer zu vergleichbaren Formen.
Und mit der zunehmenden Perfektionierung des 3-D-Drucks stehen mittlerweile auch Fertigungsverfahren zur Verfügung, die all diese oft sehr komplexen Formen realisierbar machen. „Das ist jetzt in der Industrie angekommen“, sagt Martin Schagerl. „Damit haben wir kaum noch konstruktive Einschränkungen und eine großartige Freiheit für sehr viele Materialien, von Kunststoffen über Metalle bis hin zu Verbundwerkstoffen.“