Manchmal, in schlechten Nächten, träume ich vom Krieg. Ich träume davon, was meine Eltern verloren haben: ihr Geschäft, ihre Arbeit. Ich träume von meiner Stadt, dem Lachen auf den Spielplätzen meiner Kindheit. Dem Bäcker, dem Geruch in den Straßen, dem Basar und den Gebeten in der Moschee. Von einer Stadt, die es nicht mehr gibt, von Erinnerungen an Ecken, die Panzern und Granaten gewichen sind. Vom Feuer, das den Basar vernichtet hat.
Als Kinder und Jugendliche kannten wir Flüchtlinge. Es waren Menschen aus dem Irak, die vor dem Krieg nach Syrien geflohen sind. Da denkt man nicht, wie schnell man selbst in so einer Situation sein kann. Natürlich haben wir in Aleppo im Frühling 2011 ferngesehen. Viele waren auf der Straße. Nie hätten wir gedacht, dass nur wenige Monate später aus den Protesten ein Bürgerkrieg wird.
Die ersten Angriffe auf Aleppo und auf unsere Universität waren schockierend. Wir konnten nicht glauben, dass Syrer auf Syrer schießen. Genauso wenig, wie schnell sich das Leben ändert. Aus den Träumen meiner Generation von einem guten, schönen, freien Leben wurde das Gefühl, dass es keine Hoffnung mehr gibt. Dass Überleben der letzte Traum ist, der einem noch bleibt. Ein Traum, der aber wie ein nicht endender Albtraum aussieht. Menschen verlieren Geld, Arbeit und Hoffnung. Das Leben dominieren schlaflose Nächte, gefolgt von hoffnungslosen Tagen, gefüllt mit schrecklichen Erlebnissen.
2015 habe ich mich entschieden, Aleppo und Syrien zu verlassen. Ich wollte mein Herz, meinen Kopf und meine Gedanken nicht dem Krieg geben. Ich wollte nehmen, was mir der Krieg gelassen hat, und es in die Welt tragen. Ich wollte wieder träumen. Groß träumen. Träumen von morgen und nicht von gestern.
2017 habe ich an der JKU mein Masterstudium Molecular Biology begonnen und 2020 abgeschlossen. Das Borealis-MORE-Stipendium der JKU half mir finanziell, aber auch mental. Jetzt arbeite ich als Doktorandin am Institut für Biophysik.
Ich trage ein Kopftuch. Es steht für meine Religion und meine Heimat und für eine Generation junger Syrerinnen und Syrer. Wir haben viele verloren. Ich träume von einem Syrien, in dem das entscheidet, was in unseren Köpfen entsteht. Einem Syrien der Wissenschaft, der Offenheit, des Respekts und des Glaubens an unsere gemeinsame Zukunft. Es ist ein großer Traum – aber es ist ein Traum für morgen. Ich träume davon, dass wir es schaffen.
Die Wissenschaft, darüber kann es keine zwei Meinungen geben, ist eine aufregende Sache. In jeder Ausgabe widmen wir ihr deshalb die letzten Zeilen. Dieses Mal spricht Hadil Najjar, die ihr JKU Studium mit Unterstützung eines Borealis-MORE-Stipendiums absolviert hat. Es richtet sich an Studierende mit Fluchthintergrund.
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