Besser kann es erst dann werden, wenn wir wieder einander begegnen, findet Vea Kaiser. Der angebliche Generationenkonflikt sei nämlich die Äußerung eines viel tiefer liegenden Problems.
Wenn man im 21. Jahrhundert als Frau regelmäßig Texte mit Meinung veröffentlicht, ist man Shitstorms gewohnt. Doch jener, in dessen Mitte ich mich im Sommer wiederfand, überraschte mich sehr, denn es wüteten ausschließlich betagte Menschen gegen mich – und das mit einer Aggressivität, wie ich sie zuvor noch nicht erlebt hatte. „Sturmverursacherin“ war eine locker-flockige Samstags- Kolumne über Vorstadtverkehr, in der ich nebenbei anmerkte, mich vor unsicher wirkenden Autofahrern fortgeschrittenen Alters zu fürchten. Diese Angst ist autobiografisch fundiert: Meine Großväter lenkten noch PKWs, als sie weit jenseits der Fahrtüchtigkeit waren. Ich erlebte, wie nachlassende Sehkraft, vergessene Hörgeräte, altersbedingte Überforderung brandgefährliche Situationen erzeugten. Ein Auto ist nicht nur Fortbewegungsmittel, sondern kann bei fahrlässiger Handhabung zur tödlichen Waffe werden, wie man regelmäßig den Nachrichten entnehmen muss. Dennoch war meine ältere Leserschaft empört. Noch nie schlug mir solcher Hass entgegen, noch nie forderten so viel e Menschen die Absetzung meiner Kolumne, noch nie zuvor wurde ein generelles Publikationsverbot für mich verlangt. Und noch nie zuvor bekam ich so viel Beifall und Zustimmung von Menschen meines Alters und jünger.
Nach vielen Jahren als Kolumnistin bin ich gewohnt, dass verschiedene Themen diametral entgegengesetzte Reaktionen hervorrufen können – doch dies war das erste Mal, dass ich einen Marianengraben zwischen Alt und Jung erlebte. Die zustimmenden Reaktionen gingen weit über meine Kritikpunkte hinaus und forderten sogar, älteren Verkehrsteilnehmern das Autofahren zu verbieten, denn ältere Autofahrer würden gedankenlos Strecken fahren, die man dem Klima zuliebe besser mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder zu Fuß bewältigen sollte, zudem steuerten sie häufiger spritfressende PKWs, und eine Zuschrift meinte sogar festgestellt zu haben, dass ältere Autofahrer trotz stillstehendem Fahrzeug oft den Motor laufen ließen, um Klimaanlage oder Heizung zu verwenden.
Es waren nur zwei Zeilen, die zweihundert Reaktionen hervorriefen und mich die volle Wucht eines allgegenwärtigen Themas spüren ließen, des angeblichen Konflikts zwischen der Generation Nachkriegskonsum und der Generation Fridays for Future. Auf Podien, in öffentlichen Diskussionen, der medialen Berichterstattung und Zeitdiagnostik wird dieser Konflikt problematisiert: Die Großelterngeneration baute Europa wieder auf und wolle nun den durch harte Arbeit erwirtschafteten Wohlstand genießen, Kreuzfahrten machen, täglich günstiges Fleisch futtern, die Freiheit des individuellen Personenverkehrs ausnützen. Die Enkelgeneration sähe sich jedoch mit der dadurch verursachten Zerstörung des Planeten konfrontiert und verlange eine sofortige Kehrtwende. Daraus ergibt sich die große Frage, wie soll man diese scheinbar unvereinbaren Interessen miteinander versöhnen?
In dieser Diskussion wird der Zuspitzung zuliebe jedoch völlig ignoriert, dass nicht alle jungen Menschen Greta Thunberg so toll finden wie die tägliche Aluminiumdose Energydrink oder Fast-Fashion-Fetzen-Shoppen bei Zalando und nicht alle Älteren mit dem SUV zum Arzt fahren, sondern nicht wenige bei der Anti- Atomkraft-Bewegung oder für den Umweltschutz aktiv waren, als sich Gretas Eltern noch nicht einmal kannten. Machen wir uns nichts vor: Umweltbewusstes und umweltschädigendes Verhalten findet sich in allen Altersgruppen. Doch anstatt das eigentliche Problem zu thematisieren, und zwar, dass die breite Masse der Bevölkerung ihr Konsumverhalten radikal ändern muss, um die globale Erwärmung zu stoppen, wird Umweltschutz zum Generationenkonflikt erklärt, weil das Ausspielen von Alt gegen Jung starke Gefühle erzeugt, wie ich anlässlich meines Kolümnchens erleben durfte. Gefühle, die vom eigentlich Notwendigen ablenken: einer sofortigen, gesamtgesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kehrtwende.
Vielleicht ist dieser angebliche „Generationenkonflikt“ vielmehr Äußerung des eigentlichen, viel tiefer liegenden Problems: eines fehlenden Verständnisses der Generationen füreinander, da die Generationen kaum noch miteinander zu tun haben. Über Jahrtausende hinweg prägte die Großfamilie unsere Gesellschaft: Die Älteren schufen für die Jüngeren, als Dank pflegten die Jüngeren später die Älteren. Kleinkind und Greis lernten unter einem Dach ganz natürlich, dieselbe Sprache zu sprechen, die Bedürfnisse der anderen zu verstehen. Wo soll dieses Verständnis füreinander in Zeiten der Klein- und Patchworkfamilie, der Individualisierung, der Vereinsamung, der Abkapselung der Lebensbereiche herkommen?
Es ist leicht, ein Lenkverbot für betagte Autofahrer zu fordern, wenn man nicht weiß, wie beschwerlich eine rolltreppenlose U-Bahn- Fahrt mit kaputter Hüfte ist oder wie groß die Angst vor einem funktionsunfähigen Lift. Welch unüberwindbares Hindernis zwei Stufen, wie weit der Heimweg mit einem vollen Einkaufstrolley sein können. Es ist immens schwer, der Zukunft fremder Kinder zuliebe auf Billig-Fleisch zu verzichten, wenn das tägliche Grillhühnchen oder der warme Leberkäs im Leben mit der kaum Deutsch sprechenden Pflegekraft den Höhepunkt des Tages darstellen. Die Welt der anderen nicht zu sehen, deshalb die anderen nicht zu verstehen, erzeugt jenen Furor, den auch ich erlebte: das fast hilflose Hinausschreien der eigenen Interessen aus Angst, sonst nicht wahrgenommen zu werden.
Doch dort, wo das tiefer liegende Problem verortet ist, findet sich vielleicht auch der Ausweg: Indem die Generationen einander wieder begegnen, einander in den Bedürfnissen wahrnehmen. Wir Jüngeren müssen die täglichen Schwierigkeiten der Älteren verstehen, um für diese Lösungen zu finden, auf dass die Älteren diese Lösungen der Zukunft der Jüngeren zulieb e annehmen können. Es wird nur gemeinsam gehen, nicht gegeneinander. Und das gilt nicht nur für Alt und Jung, sondern auch für Stadt und Land, Global und International, Mann und Frau, Tier und Mensch. Denn egal, wie viele und wie vielgestaltig wir sind, Erde haben wir alle nur eine.