Die Möglichkeiten einer digitalen Welt könnten unsere Trauerarbeit nachhaltig verändern. Was wäre, wenn wir geliebte verstorbene Menschen in einer virtuellen Welt wiedertreffen könnten? Oder wenn gar wir selbst unseren Tod selbstbestimmt überdauern könnten? Der Traum vom ewigen digitalen Leben birgt jedoch nicht nur Hoffnung, sondern auch Gefahr.
Der Tod ist das Ende. Es ist die eine Gewissheit, auf die wir Menschen seit Hunderten von Jahren bauen. Wir leben, wir sterben. Wir selbst, alle von uns geliebten Menschen, alle Lebewesen. Es ist eine furchterregende, bittere Wahrheit, der wir uns stellen müssen und womit wir lernen müssen umzugehen. Was aber, wenn sich der Tod austricksen lassen würde? Wenn uns Technologien dabei helfen könnten, unser Leben zu verlängern? Oder zumindest: Wenn wir es schaffen, dass die geliebten Menschen um uns herum ihren Tod überdauern können?
2020 sorgte in Südkorea die TVShow „Ich traf dich“ für Aufmerksamkeit: Eine Mutter traf darin mithilfe von Virtual Reality (VR) ihre 2016 an einer unheilbaren Krankheit verstorbene siebenjährige Tochter. Im Finale setzte sich die Mutter Jang Ji-Sung ein HTC Vive Headset auf, trug berührungsempfindliche VR-Handschuhe und traf so in einem virtuellen Garten eine digitale Kopie ihrer Tochter Nayeon. Das virtuelle Mädchen war so programmiert, dass es im Gespräch in Echtzeit reagierte, Stimme und Äußeres waren Nayeon nachempfunden. Über Monate hinweg hatten die Entwickler sämtliche Informationen über Nayeon gesammelt, mittels Motion- Capture-Aufnahmen gelang es ihnen, die Art der Bewegungen exakt nachzustellen.
Die Grenzen sind fließend
Tatsächlich kann Virtual Reality erstaunlich echt werden. „In gut gemachten VR-Umgebungen sorgt die sensomotorische Integration dafür, dass mehrere Sinne gleichzeitig angesprochen werden. Im Vergleich etwa zum Fernsehen glaubt unser Gehirn dann viel eher, dass wir tatsächlich dort sind und tatsächlich mit jemandem reden“, sagt Martina Mara, Professorin für Roboterpsychologie an der JKU Linz. Virtual Reality sei ein sehr effektstarkes Medium, Menschen würden darauf auch physisch reagieren – wenn etwa Menschen, die Höhenangst haben, in der VR auf einem hohen Turm stehen, kann man ihre Angst messen, sie glauben und empfinden, als wären sie tatsächlich in beängstigender Höhe. „Wenn ich also in dieser virtuellen Welt Menschen treffe, die in der realen Welt tot sind, kann es sich so anfühlen, als wären sie noch da. Das kann unter Umständen schön sein“, sagt Mara. Anfangs zumindest. Denn die Gefahr bestehe, dass man sich von dieser Welt nicht so leicht lösen kann. Die Eindrücke werden mit ins reale Leben genommen, die Grenzen werden fließend.
Sich einer veränderten Welt stellen
In der Trauerarbeit heißt es, das Anerkennen der Wirklichkeit, wie sie ohne den geliebten Verstorbenen sein wird, sei nach einem Todesfall am schwersten. Sie wird erschwert, wenn der Mensch plötzlich stirbt, wenn die Lücke im Leben abrupt geschlagen wird. Doch für jeden Hinterbliebenen ist es schwierig, sich einer veränderten Welt zu stellen, in der der Verstorbene keinen Platz mehr hat oder in der ihm ein neuer Platz eingeräumt werden muss.
Es ist eine schöne Vorstellung, dass kein Abschied mehr genommen werden muss – wir bekommen trotz eines Todesfalls noch alle Antworten, die wir suchen, und erhalten jeden Trost und Austausch, den wir uns wünschen und den wir brauchen. Kann also etwa Virtual Reality unsere Trauerbewältigung verändern? Oder zögert sie das Unvermeidliche nur hinaus?
Die britische Science-Fiction- Serie „Black Mirror“ thematisiert auf düstere Art und Weise die Auswirkungen von Technik und Medien auf die Gesellschaft und den Einzelnen. In der Folge „Be right back“ (dt. „Wiedergänger“) stirbt Ash, der Freund von Martha, bei einem Autounfall. Ihr wird mittels einer neuen Technologie Hilfe in der Trauer versprochen, die Spuren, die Ash in der digitalen Welt hinterlassen hat, sollen sein digitales Abbild erschaffen, das für Martha weiter ansprechbar bleibt. Aus seinen E-Mails, Videos, Posts in sozialen Netzwerken wird eine digitale Kopie erbaut, mit der Martha chatten und kommunizieren kann. Bald gibt es eine Version, die wie er sprechen kann, und schließlich einen Roboter, der so aussieht wie Ash. Martha lässt sich auf die Täuschung ein, bis schließlich Grusel und Zweifel überwiegen.
Denn was eintreten kann, wenn die Ähnlichkeit zu täuschend echt wird, nennt die Forschung den Uncanny-Valley-Effekt. Bis zu einem gewissen Grad steigt bei Menschen das Wohlgefühl, je lebensechter künstliche Figuren wirken. Roboter oder animierte Figuren in Videospielen und Virtual Reality werden mit steigender Menschenähnlichkeit als immer positiver wahrgenommen und können bis zu einem gewissen Grad angenehm auf den Menschen wirken.
Doch ab einem gewissen Zeitpunkt kippt das: Denn egal, wie menschenähnlich Roboter oder auch Reproduktionen verstorbener Menschen sein mögen, echt sind sie nicht. Und damit weichen sie immer auch vom Original ab. Werden die künstlichen Figuren zu lebensecht und lassen sich nicht mehr auf den ersten flüchtigen Blick von realen Menschen unterscheiden, sinkt die Akzeptanz und sie werden als gruselig beschrieben, sagt Mara. „Dieser Effekt tritt ein, weil keine Reproduktion dem Original je ganz gerecht werden kann. Es ist wie ein Wackelbild: Manchmal lässt man sich auf die Simulation ein und dann holt es mich durch einen allzu mechanischen Wimpernschlag oder eine kleine Unstimmigkeit wieder ein.“
Jede Menge digitaler Spuren
Gerade bei Menschen, die man sehr gut kennt und deren Gestik und Mimik sehr vertraut sind, bemerken wir kleinste Abweichungen, wie etwa abgehacktes Gestikulieren, sofort. Das Hin- und Hergerissensein zwischen „Schau, Opa lächelt mich an“ und „Ach nein, das ist er ja gar nicht“ kann zu einem Unwohlgefühl und einer Verstärkung des Gruseleffekts führen. Bei „Black Mirror“ verbannt Martha die Maschine Ash schließlich auf den Dachboden, um sie nur bei Bedarf zu sehen. Am Ende der Folge steht sie am Fuß der Leiter zum Speicher, während ihre Tochter, die sie mit Ash zu Lebzeiten gezeugt hatte, mit der KI-Version ihres Vaters spricht.
Der mögliche Trost, den es in der Trauer so geben könnte, ist also wenn, dann nur von kurzer Dauer. Es hat nämlich einen Grund, warum Trauer so verläuft, wie sie es tut. Dass sie hart durchzumachen und schwer auszuhalten ist, dass sie in Wellen verläuft, in denen man mit sich selbst mehr Geduld aufbringen sollte, als sie einem gemeinhin von der Gesellschaft zugestanden wird. Trauer hört nicht auf, doch sie ändert sich. Die Gefahr, die vorgegaukeltes Weiterleben von geliebten Menschen birgt, ist, dass der Schmerz versteckt immer da ist – denn niemand und auch kein noch so perfektes Programm kann einen echten Menschen ersetzen. Man weiß also immer um den Tod dieses Menschen, beginnt aber nie, sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen. Doch die Möglichkeit des digitalen Überlebens gilt schließlich auch für jeden Einzelnen und so gibt es den Wunsch, dass nicht die geliebten Menschen weiterleben sollen, sondern man selbst.
Die meisten Menschen hinterlassen mittlerweile jede Menge digitaler Spuren, es gibt Facebook, Twitter, Instagram, Xing, LinkedIn, Google, YouTube, TikTok, Flickr, die unterschiedlichsten Clouds, Partnervermittlungsbörsen, Jobbörsen, Willhaben, Paypal, Amazon, eBay und so weiter, Tausende von Datenpunkten, die uns überdauern werden. Einige Startups werben mittlerweile damit, dass sie den Menschen aus diesen Daten nachempfinden und ihn so alle Zeit überdauern lassen können.
Was soll die KI lernen?
Sie sammeln die Daten noch zu Lebzeiten, ja, der digitale Nachlass lässt sich so bewusst steuern, schließlich kann man selbst entscheiden, welche Nachrichten, welche Fotos, welche Videos das eigene Bild ausmachen sollen – und welche man lieber weglässt. Realistischer macht es das digitale Ebenbild jedoch nicht, sagt Mara. „Theoretisch müsste man Alltagssituationen nehmen und einbinden, aber wer filmt etwa schon den ganzen Tag einfaches alltägliches Leben?“
Außerdem gäbe es hier noch einen ganz anderen – viel wesentlicheren – Punkt zu bedenken: die persönliche Weiterentwicklung. Kaum ein Mensch bleibt in seiner Entwicklung stehen. Meinungen ändern sich, Sichtweisen werden überdacht, Freunde und Ansprechpersonen ausgewechselt. „Künstliche Intelligenz, wie sie hier diskutiert wird, lernt auf Basis sozialer Daten“, sagt Uli Meyer, Leiter der Abteilung für Soziologie mit den Schwerpunkten Innovation und Digitalisierung an der JKU. „Das können etwa Chats, Postings auf Social Media oder andere mediale Spuren von Verhalten sein. Und die Erfahrung ist, dass solche Systeme dabei Dinge mitlernen, die zwar durchaus in den Daten repräsentiert sind, von denen wir aber eigentlich nicht möchten, dass Maschinen sie lernen.“
Hier gibt es Erfahrungen mit Künstlicher Intelligenz, die auf Basis sozialer Daten weiterlernen würden, das seien dann allerdings keine erfolgreichen Erfahrungen, erklärt Meyer. So geschehen etwa mit Tay, einem Bot von Microsoft, die vom Unternehmen ins Netz gestellt wurde, damit sie von jungen Menschen lernt, wie man sich so als 18- bis 24-Jähriger unterhält. Das Ergebnis: Nach 24 Stunden auf Twitter musste Tay deaktiviert werden, weil sie sich in ein rassistisches Scheusal verwandelt hatte.
Instrumente des Erinnerns
Ähnlich die Erfahrungen mit einem Software-Algorithmus bei Amazon, der 2014 dabei helfen sollte, die fähigsten Bewerber*innen zu finden. Der Algorithmus wurde mit den Datensätzen der bisherigen angenommenen Bewerber trainiert und das waren in den Jahren davor vorwiegend Männer, woraus die Künstliche Intelligenz logisch folgerte: Bewerbungen von Frauen sind automatisch schlechter zu bewerten.
„Wir müssen uns fragen: Wie kriegen wir solche Systeme dazu, moralisch und ethisch angemessen zu agieren? Was ist, wenn ein System unangemessenes Verhalten erlernt und sich danebenbenimmt?“, sagt Meyer. Seine Idee für das digitale Weiterleben geht weg vom Persönlichen, stattdessen könnten Chat-Bots etwa Instrumente des Erinnerns und Bewahrens sein, virtuelle Zeitzeugen einer Epoche. So könnte historisch wertvolles Wissen überleben. Jang Ji-Sung sagte nach der Virtual-Reality- Erfahrung, das virtuelle Treffen mit der Tochter habe ihr dabei geholfen, Abschied zu nehmen. Für sie sei ein Traum wahr geworden. Vielleicht sollte es ein Traum bleiben.