Der JKU-Mathematiker Günter Auzinger ist Österreichs bester Science Slammer – und fährt im Juli zur Europameisterschaft nach Frankreich.
Die großen Fragen der Menschheit – wo kommen wir her, wo gehen wir hin und wer geht mit – scheut der Forscher nicht. Wie er mögen viele darüber nachdenken, allein Günter Auzinger, Mitarbeiter am JKU-Institut für Industriemathematik, versteht es jedoch auch, darüber verständlich und unterhaltsam zu reden, genauer zu slammen.
Im Kurzvortragsturnier ScienceSlam erreichte der 44Jährige nach nur einem Anlauf auf der Linzer Posthobühne den Staatsmeistertitel. In Wien stach er die Konkurrenz mit seinem Thema „Hausrat im Weltall“ locker aus. Darin treten neben Auzinger auf: ein Meteoritensplitter im Knie, ein Kochtopf mit Deckel, der ein Teleskop verkörpert, ein Wäscheständer als Lichtwellenbeuger und eine Außerirdische in spektakulärem Grün.
Doch von Anfang an: Industriemathematik und Alien, das scheint auf den ersten Blick weiter entfernt zu sein als eine Registrierkasse von Alpha Centauri. Und doch kommen sie zusammen, nämlich im Projekt der European Southern Observatory (Europäische Südsternwarte, ESO) namens „Mathematical algorithms and software for EELT adaptive Optics“. Die ESO baut derzeit am größten Teleskop der Welt, dem Extremely Large Telescope (ELT) in Chile und hat dabei ein Problem: Es sieht schlecht, nämlich unscharf, trotz fast 40 Meter Spiegeldurchmesser. Und hier kommen die Mathematiker an der JKU mit einer Software ins Spiel, die dem Fernrohr eine Brille aufsetzt, quasi eine Gleitsichtbrille mit elektronischem Millionenfocus.
Auzinger, erklären Sie bitte genauer! „Durch Temperaturunterschiede entstehen Turbulenzen in der Luft. Kältere oder wärmere Regionen wirken wie Sammel- oder Streulinsen und stören damit den Lichtweg. Man kennt das Phänomen, wenn man im Winter aus dem Fenster hinausschaut. Befindet sich darunter der Heizkörper, flimmert die Luft.“ Erklären kann er, der Auzinger, alle Achtung! Also weiter: „Durch gewiefte Algorithmen lässt sich dieses Flimmern korrigieren und es entsteht ein wesentlich schärferes Bild. Ein perfekt scharfes Bild entsteht nie. Man betreibt Schadensbegrenzung.“ Damit ist auch das Wesentliche der Industriemathematik gesagt, würde Auzinger nicht zu ergänzen wissen: „Die mathematischen Probleme, mit denen wir uns auseinandersetzten, heißen im Fachjargon Lösung von inversen und schlecht gestellten Problemen.“ Das muss jetzt aber auch noch erklärt werden. „Man will Probleme lösen, die nach strenger Definition gar keine Lösung haben. Also formuliert man die Frage solcherart um, dass man ein Ergebnis bekommt, bei dem der Fehler möglichst gering ist. Oft sind Messdaten durch Fehler verrauscht, die sich in normalen Algorithmen verheerend auswirken können. Die Fehler würden extrem aufgeblasen werden. Und damit versuchen wir in unserem Spezialgebiet klarzukommen.“ Alles klar, bis auf eine Frage: Was zieht einen derart arg spezialisierten Fehlerminimierungsberechner auf die Showbühne?
Das eine habe mit dem anderen nichts zu tun, sagt der Mathematiker. „Gerade der Science-Slam ist völlig anders als mein berufliches Umfeld.“ Da werde in Diskussionen und Vorträgen sehr ernst, technisch, trocken und lange geredet. Ein Science-Slam hingegen sei populärwissenschaftlich, „man spricht vor einem Laienpublikum, man muss das Thema extrem vereinfachen. Und es ist sinnvoll – um die Leute mitzunehmen –, dass man etwas Unterhaltsames hineinbringt.“ Und das tat Auzinger vor fast 900 Wissenschaftsinteressierten in einem Zelt auf dem Wiener Heldenplatz, wo die Science-Slam-Staatsmeisterschaft kürzlich stattfand. Dort referierten mehr oder weniger humorige Kollegen, die sich mit innovativer Brotteigbehandlung auseinandersetzten, mit Hightech-Sporthosen oder der Lösung von kognitiven Konflikten unter sozialen Affen. Der Linzer überzeugte mit der ausdruckstanzstarken Darstellung von Lichtdehnung und -stauchung, die er auch auf einem umfunktionierten, hochgestellten Wäscheständer nachvollziehbar darstellte. Ohne Korrektur dieser Lichtwellen wäre jene Schärfe im Teleskopblick auf Exoplaneten nicht gegeben, die Aufschluss darüber erteilen könnte, ob dort Leben möglich wäre. Ja, es ist schon so im Leben: Nur wer scharf hinschaut, erkennt das Wesentliche – nämlich, ob wir alleine sind im Universum oder nicht. Glaubt Auzinger an Aliens, vielleicht an ein solches Alien, das in seiner Show auftritt? „Da muss ich als Wissenschafter klar sagen: ,Ich weiß es nicht.‘ Der einzige wissenschaftlich vertretbare Standpunkt ist der agnostische, solange nicht etwas bewiesen oder widerlegt ist.“ Hinlänglich bewiesen ist, dass unter der grünen Maske des Bühnenaußerirdischen Auzingers Freundin Sandra steckt.
Wie interessiert man Laien für Algorithmen, die Licht verbiegen, damit adaptive Optiksysteme von Großteleskopen schärfer sehen? Klingt ja so langweilig wie ein Schlafmantra, mag manch Theorieferner meinen. Und doch funktioniert das – in nicht einmal sechs Minuten und nach nur drei Wochen Vorbereitungszeit. Auzinger erzählt, wie es dazu kam: „Ein Institutskollege von mir, Kirk M. Soodhalter – er ist mittlerweile Assistenzprofessor am Trinity College in Dublin –, hat im vergangenen Jahr beim Linzer Science Slam im Posthof mitgemacht und gewonnen. Damals habe ich das erstmals live gesehen. Da habe ich mir überlegt, dass es Spaß machen würde, auch einmal mitzumachen. Dann hat mir Slam-Organisator Bernhard Weingartner eine E-Mail geschickt, ich sei aus dem Publikum heraus nominiert worden. Das waren vermutlich meine Arbeitskollegen. Ich bin also ein bisserl hineintheatert worden.“ Und dann? „In den nächsten drei Wochen habe ich mir halt irgendwas zusammengebastelt.“ Cool. Wobei anzumerken ist, dass der Herr Auzinger schon auch ein bisserl ein Rampeneber ist. „Ich bin Musiker und habe dadurch eine gewisse Bühnenerfahrung“, sagt der E-Bassist bei den „Hobotones“, einer vierköpfigen Linzer Akustik-Pop-Band mit Banjo und Balkan-Einschlag, die schon seit zwölf Jahren aufspielt und gerade eine neue CD an den Start gebracht hat. Auzingers Pop-Pseudonym lautet übrigens Snowshoe Pink. Auch cool. Zumal Auzinger auf der Bühne die Zwischenmoderationen macht. Er ist der G‘schichteldrucker, der plaudernd überbrückt, wenn wieder einmal jemand das Plektrum sucht.
Welche Hürde war für den Forscher, dessen berufliche Kommunikation vor epischer Breite nicht zurückschreckt, die höchste beim Basteln des Auftritts? „Die Reduktion des Inhalts auf sechs Minuten. Es hat keinen Spaß gemacht, weil man doch so viele faszinierende Details erzählen möchte. Dadurch sind auch ein paar Schmähs unter den Tisch gefallen, was aber nicht so weh tut. Denn der Science-Slam soll ja nicht in erster Linie ein Comedy-Programm sein. Der Hauptinhalt soll die Vermittlung von Wissenschaft sein, die Unterhaltung nur nebenher mitlaufen.“
Und umgekehrt? Übt das lustige Bühnenleben Einfluss auf die ernste Arbeit aus? „Ich versuche schon, auch in Fachvorträgen ein bisserl einen Schmäh gegen die Trockenheit einzubauen“, sagt Auzinger. Wobei es dabei nicht grundsätzlich darum gehe, dass der Vortrag lustig ist, sondern dass man eine Verbindung zu einem vollkommen unwissenschaftlichen Bereich herstellt, zu einem Beispiel aus dem Alltag vielleicht, wie eben der flirrenden Luft über dem erwähnten Heizkörper. Dazu wird Gelegenheit sein, denn auf die Linzer Industriemathematiker wartet bereits eine neue Aufgabe von universeller Bedeutung. Es geht um die Gaia-Sonde der ESA, die optisch den ganzen Sternenhimmel durchmustert. Die ESA kooperiert auch mit RICAM, dem Forschungsinstitut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften im Science-Park, um den Staub von den Sternensuch-Linsen zu bekommen. Herr Auzinger, erklären Sie bitte! „Unsere Aufgabe wird sein, dass wir aus den Daten die Verteilung von interstellarem Staub bestimmen, der in der Galaxie herumliegt. Wir rechnen ihn dann aus den Daten heraus, damit die Beobachtungen außerhalb der Galaxie besser korrigierbar sind.“
Bleibt noch zu fragen, was der Forscher für die Science-Slam-Europameisterschaft in Toulouse am 8. Juli in petto hat? Die Show darf dort zehn statt sechs Minuten dauern und muss auf Englisch gehalten werden. Es gilt zu übersetzen und zu verlängern. „Ich kann mehr ins Detail gehen“, sagt Auzinger freudestrahlend. „In Wirklichkeit stellt man den Teleskopspiegel ja nicht einfach nur nach und hurra“, erklärt er, „das muss etliche Zigtausend Mal pro Sekunde neu berechnet werden.“ Das sei eines der Details gewesen, die bei der kurzen Bühnenfassung unter den Tisch fallen mussten. Und vielleicht ist es auch ein bisserl schwierig, derart schnelle Rechenoperationen im Tanz darzustellen – ohne hochfrequenten Tremor.