Erhöhte Kohlendioxid-Konzentrationen in der Luft treiben den Klimawandel an. Aber kann man das Gas nicht aus der Luft holen und als Rohstoff verwenden? An der JKU gibt es dazu verschiedene Vorstöße.
412,6 ppm. Das war der höchste CO2-Wert, den man 2018 am Mauna-Loa-Observatorium auf Big Island, Hawaii, aufzeichnete. Ppm steht für parts per million, Teilchen pro eine Million. Liegt der CO2-Gehalt bei 412 ppm, kommen auf eine Million Luftmoleküle 412 CO2-Moleküle. 2016 lag der Höchstwert noch bei 409 ppm, 2015 bei 405 ppm. Man sieht: Da verändert sich etwas. 1958, als die Messreihe begann, zeigte die Skala gerade 313 ppm, damals regte sich keiner über das Gas Kohlendioxid auf. 2013 war das schon ganz anders: Da wurden erstmals 400 ppm erreicht, was für Schlagzeilen sorgte, wies die Marke doch deutlich auf das Menschheitsproblem Klimawandel hin.
Die politische Bereitschaft, die Emissionen global konsequent zu senken, fehlt aber offenbar immer noch. Trotz all der unheilvollen Klimaszenarien. Ein Klimagipfel reiht sich an den nächsten, mit höchstens mäßigen Fortschritten. Und wir als Konsumentinnen bzw. Konsumenten tun uns auch schwer, aufs Autofahren, Fliegen und Fleischessen zu verzichten.
Ausweglose Lage? Vielleicht nicht ganz, denn JKU-Forscher überlegen, was man Nützliches mit dem ungeliebten CO2 anfangen kann.
Wie sich das „schlechte“ zu einem „guten“ Gas machen ließe. Etwa beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Solar und Wind bringen unregelmäßige Stromeinspeisungen, weil die produzierten Mengen wetterabhängig sind. Was dazu führt, dass die Anlagen vorübergehend mehr produzieren, als verbraucht werden kann. Daher entsteht die Notwendigkeit, den überschüssigen Strom zu speichern. Aber wie? Ein Lösungsansatz ist unter dem Schlagwort „Power to X“ zusammengefasst. Das X steht für flexible Einsatzmöglichkeiten von umgewandeltem Strom. Umgewandelt in gasförmige Energieträger (Power-to-Gas), in flüssige Kraftstoffe (Power-to-Fuel) oder in Wärme (Power-to-Heat). Auch die Umwandlung in Chemikalien für die Industrie (Power-to-Chemicals) ist möglich. Johannes Lindorfer vom Energieinstitut an der JKU sieht drei Vorteile von Power-to-X: die „positive Systemdienstleistung“ durch langfristige Speicherung von großen Mengen elektrischer Energie besonders in Überschusszeiten. Die Verlagerung des Energietransports auf das Gasnetz, wodurch sich ein Teil des Stromnetzausbaus vermeiden lässt. Und „Carbon Capture and Utilization“ als Schritt zur CO2-Kreislaufwirtschaft. Hier wird das Gas recycelt und bewegt sich in geschlossenen Kreisläufen. Das ist gut fürs Klima.
Bei Power-to-Gas wandelt man elektrische Energie in speicherbares Gas um, in Wasserstoff oder Methan. Methan ist praktischer, da es direkt uneingeschränkt in das bestehende Erdgasnetz gespeist oder in gasbefeuerten Kraftwerken verstromt werden kann. Lindorfer arbeitet an einem Projekt, bei dem CO2 aus Industrieabgasen oder Biogasen mittels Katalysator zu Methan gemacht wird. Katalytische Methanisierung nennt sich das. Der Prozess verläuft so: Mit Strom, in der geplanten praktischen Anwendung dem überschüssigen erneuerbaren Strom, spaltet man Wasser per Elektrolyse in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff. Der Wasserstoff lässt sich zusammen mit dem CO2 aus den Zementwerkabgasen oder der Biogasanlage in Methan (CO4) verwandeln. Fertig ist das synthetische Erdgas, das sich wie herkömmliches im Erdgasnetz speichern und transportieren lässt. Die Montanuniversität Leoben betreibt die Versuchsanlage zur Umwandlung von CO2 zu Methan, Lindorfer bewertet das Verfahren ökologisch und ökonomisch. Grundsätzlich funktioniert der Prozess, jedoch gibt es bei der flächendeckenden Nutzung allgemein eine ökonomische Barriere. „Die CO2-Moleküle sind stabil. Angesichts dieser thermodynamischen Einschränkung erfordert jedes Verfahren, egal ob chemisch, elektrokatalytisch oder fotokatalytisch getrieben, einen signifikanten Energieaufwand.“ Damit CO2-Recycling auch wirklich die Emissionen senkt, muss die dafür benutzte Energie erneuerbar sein. Für den kommerziellen Einsatz braucht es schlichtweg noch bessere Verfahren. An denen wird unter Beteiligung des JKU-Energieinstituts in nationalen und internationalen Projekten gearbeitet. Beim Projekt „HydroMetha“ geht es um die Co-Elektrolyse von Wasser und Kohlendioxid in Festoxidzellen. Eine noch junge Technologie, die mit der katalytischen Methanisierung kombiniert werden soll. Ziel: die optimale Integration von bisher getrennten Verfahrensschritten. Das, so Lindorfer, erhöhe potenziell die Effizienz und damit auch die Wirtschaftlichkeit.
Mit CO2 lässt sich also etwas machen, jedoch ist es ein träges Gas. Man braucht einen Katalysator, um es ordentlich zum Reagieren zu bringen. Metalle wie Gold, Silber oder Kobalt sind zwar effiziente Reaktionspartner, aber auch teuer. Günstigere Alternativen wie Eisen reagieren dagegen nicht so effizient. Einen billigen und gleichzeitig effizienten Katalysator zu entwickeln, das will Philipp Stadler vom Institut für Physikalische Chemie an der Johannes Kepler Universität Linz schaffen. Er und seine Kollegen arbeiten an Elektrokatalysatoren, die ganz ohne Metalle auskommen, aber genauso gute Dienste beim Beschleunigen der elektrochemischen Reaktion leisten wie Gold, Silber und Co. Die Systeme basieren auf synthetischen Polymeren, genauer Melanin-ähnlichen Polymeren, die aus Dopamin hergestellt werden. „Dopamin ist ein einfaches biogenes Amin, bekannt auch als Glückshormon“, so Stadler. Man versucht, die Polymere schrittweise zu verbessern, sodass sie irgendwann Platin oder Gold ersetzen können. Grundsätzlich lässt sich aus Dopamin leicht ein leitfähiges Polymer machen, jedoch gibt es eine Schwierigkeit: Die Polymerkatalysatoren müssen ähnlich viele aktive Reaktionszentren an der Oberfläche haben wie die Metalle. Nur dann werden sie zu guten Reaktionsbeschleunigern. „Momentan sind wir bei zehn Prozent angelangt“, so Stadler. Wohlgemerkt, zehn Prozent Oberflächenaktivität im Vergleich zu Silber. Es geht darum, an die Besten heranzureichen. Dazu muss die funktionelle Dichte der Polymere noch gesteigert werden.
Stadlers Forschung zielt auf die Umwandlung von CO2 mittels Elektrokatalyse. In seinen ersten Arbeiten machte er aus dem Gas Ameisensäure. „Ein C1-Produkt mit hohem Anwendungspotenzial. Es lässt sich als Wasserstoffträger in adaptierten Brennstoffzellen einsetzen.“ Aber Ameisensäure ist ein wenig begrenzt, fügt Stadler hinzu. Es handelt sich nach CO2 um das niedrigste Produkt in der C-Kette, die molekulare Verbindungen mit nur einem Kohlenstoffatom umfasst. Neben Ameisensäure (HCOOH) gehören Formaldehyd (CH2O), Methanol (CH3OH) und Methan (CH4) dazu. Stadler schweben höherwertige Produkte vor. Sogenannte Cn+1-Produkte, die mehr als ein Kohlenstoffatom haben. Dazu zählt Ethanol (C2H5OH), genau wie Glucose (Traubenzucker, C6H12O6). Die Cn+1-Produkte könnten für mehr Nachhaltigkeit in industriellen Produktionsprozessen sorgen.
„Schauen wir uns die Hauptprodukte der heutigen chemischen Industrie an: Plastik, Verbundstoffe, Medikamente. Fast alles hängt letztendlich am Erdöl.“ Stadler will mittels nachhaltiger Elektrokatalyse die Schaffung einer separaten Rohstoffquelle auf Basis von CO2-Umwandlungen vorbereiten. Aus den Cn+1-Produkten könnten, wenn das klappt, von fossilen Quellen unabhängige Industriezweige hervorgehen. Plastik ohne Erdöl. Und es geht noch weiter: Vorstellbar sind für Stadler auch künstlich hergestellte Kohlenhydratfragmente bis hin zum Traubenzucker. Künstlich hergestellter Traubenzucker – das wäre die Basis einer künftigen ganz neuen Nahrungsmittelproduktion, die nicht so viel Anbaufläche verbraucht wie die heutige. „Das ist natürlich eine mutige Ansage“, so Stadler. Aber realistisch sind sie schon, die Nahrungsmittel, deren Produktion mit der Umwandlung von CO2 beginnt. Das im Jänner 2019 gestartete Forschungsprojekt heißt entsprechend „Artificial Food“, also künstliches Essen.
2014 gelang Günther Knör vom Institut für Anorganische Chemie der JKU etwas Bemerkenswertes: die künstliche Fotosynthese. Fotosynthese bedeutet, dass unter direkter Einwirkung von Licht energiereiche chemische Substanzen gebildet werden. Grüne Pflanzen nutzen Sonnenlicht, Kohlendioxid und Wasser und machen daraus Glucose und andere organische Stoffe, die sie für ihr Wachstum brauchen. Sauerstoff geben sie dabei als „Abfallprodukt“ an die Umgebung ab. Ohne diesen genialen Umwandlungsprozess gäbe es kein höheres Leben auf der Erde. Was sich draußen in der Natur seit fast vier Milliarden Jahren abspielt, schafften Knör und Kollegen drinnen im Labor mit künstlich hergestellten Substanzen. „Wir konnten erstmals zeigen, dass dieselbe energiespeichernde Lichtreaktion wie bei der natürlichen Fotosynthese auch in der unbelebten Natur möglich ist.“ Wie bei den Pflanzen bildete sich bei der künstlichen Fotosynthese das Molekül NADH, der primäre Energiespeicher. „Es ist die biologische Variante des Energieträgers Wasserstoff“, erklärt Knör. Das im Labor gewonnene NADH lässt sich vielseitig einsetzen. Durch Folgereaktionen mit Kohlendioxid zum Beispiel für die klimaneutrale Gewinnung von erneuerbaren Treibstoffen wie Methan oder Alkoholen. Knör: „Tageslicht reicht aus, um diese zu erzeugen. Wir haben hier echte solare Treibstoffe.“ Die künstliche Fotosynthese eignet sich noch für etwas anderes: die Freisetzung von solarem Wasserstoff und dessen effiziente und umweltfreundliche Nutzung. Aber das ist nicht unbedingt die beste Variante. Geht man Umwege und bindet den Wasserstoff an CO2, um flüssige Treibstoffe zu erhalten, so haben diese zwar eine geringere Energiedichte, sind dafür aber leichter verwendbar.
Der Durchbruch von 2014 zeigte noch etwas: Die Energieausbeute mit synthetischen Foto-Katalysatoren kann weit höher sein als in der Natur. Knör: „Bei der künstlichen Fotosynthese von NADH wird ein außergewöhnlich großer Anteil der eingestrahlten Energie direkt in Form von chemischen Bindungen gespeichert. Die maximale Speichereffizienz der Lichtreaktion ist mit fast 80 Prozent sogar etwa doppelt so hoch wie im natürlichen Fotosystem I der grünen Pflanzen.“ Eine derart hohe Effizienz kommt vor allem deshalb zustande, weil im künstlichen Fotosystem möglichst wenige Zwischenschritte eingebaut sind. Dadurch wird ein deutlich geringerer Anteil des eingestrahlten Lichts ungenutzt als Wärmeenergie an die Umgebung abgegeben. Das Verfahren verbessert sich laufend. Als Katalysator nimmt man mittlerweile nicht mehr das begrenzt verfügbare Edelmetall Rhodium, sondern ausreichend vorhandene Rohstoffe, Silizium- und Eisen-Verbindungen. Auch an der Langzeitstabilität wurde gefeilt. Der relativ empfindliche Naturstoff NADH lässt sich mittlerweile durch viel robustere Substanzen ersetzen, die sich dennoch ganz ähnlich wie NADH als universeller Wasserstoffüberträger eignen. Im Moment versucht Knör, die Lichtreaktionen der grünen Pflanzen anders als in der Natur, wo es zwei gekoppelte Systeme gibt (Fotosystem I und II), mit nur einem Fotosystem zu erreichen, um so die Effizienz nochmals zu verdoppeln. „Das wäre der nächste größere Forschungserfolg auf dem Gebiet der künstlichen Fotosynthese.“
Die soll den Weg zu einer Treibstoffspeicherung auf Kohlenstoffbasis ebnen. Die eigentliche Funktion des Kohlendioxids werde hier aber oft noch falsch verstanden, so Knör. „Im geschlossenen Kreislauf der Erzeugung und Verwendung von solaren Brennstoffen kommt dem CO2 lediglich die Rolle eines geeigneten Trägermaterials zur Verdichtung des durch Fotosynthese gebildeten Wasserstoffs zu. Das Kohlendioxid dient hier also nur als eine Art wiederverwendbarer molekularer Behälter zur bequemeren Aufbewahrung des durch die Wasserspaltung in der Lichtreaktion gewonnenen Treibstoffs. Den leeren Behälter, also das wieder freigesetzte Kohlendioxid, sollten wir nach der Verbrennung des eigentlichen Treibstoffs dann aber nicht wie bisher wegwerfen und ungenutzt in die Umwelt ausbringen, sondern klimaneutral recyceln.“
Das Verbrennungsgas Kohlendioxid, das uns so viele Sorgen macht, könnte in Zukunft dazu dienen, Kohlenwasserstoffe oder andere synthetische Treibstoffe als Alternative zu Erdöl, Kohle und Erdgas zu erzeugen. Das alles im Rahmen einer CO2-Kreislaufwirtschaft. „Künstliche Fotosynthese spielt hier eine zentrale Rolle“, sagt der JKU-Professor. „Mithilfe von Solarenergie bewirkt sie eine Umkehrung der Verbrennungsreaktion von organischen Verbindungen und bindet so zusätzlich zu den Pflanzen überschüssiges CO2 aus der Atmosphäre.“ Bis direkte Speicherprozesse im größeren Maßstab verfügbar sind, müsse man statt der alleinigen Nutzung des Sonnenlichts aber noch für einige Zeit auf mehrstufigen Umwegen Elektrizität als Energieform für die CO2-Reduktion einsetzen.
Langfristig sieht Knör in der künstlichen Fotosynthese die „nachhaltigste und eleganteste Lösung“ des Energie- und Klimaproblems. Alle anderen Lösungen, auch scheinbar nachhaltige Verfahren mit erneuerbaren Energien, laufen über viele anspruchsvolle Zwischenstufen und erfordern technisch hohen Aufwand: Erbauen und Betreiben von Kraftwerken zur Elektrizitätsgewinnung, Stromleitungen, Produktion von Elektrolyseanlagen, Zwischenspeicherung und Transport von Wasserstoff, Bereitstellung von Katalysatoren und Reaktoren in großtechnischen Prozessen für die eigentliche Treibstoffgewinnung. „Gehen alle diese technisch aufwendigen Schritte mit in die Gesamtbilanz ein, wird klar, dass es im globalen Maßstab viel günstiger kommt, den gewünschten Treibstoff in einem Schritt an Ort und Stelle direkt bei Einstrahlung der Sonne zu ernten.“ Dafür braucht es nur die jeweiligen Katalysatorsysteme.
Bisher ist die Erzeugung von solarem Treibstoff nur im Labormaßstab möglich. Zu wenige Gruppen weltweit arbeiten laut Knör kompetent und innovativ auf diesem Gebiet, das sich noch immer im Stadium der Grundlagenforschung befindet. Eine rasche industrielle Produktion von solaren Treibstoffen in ausreichender Menge ist nicht absehbar. Sollte es aber eines Tages gelingen, die Prozesse nachhaltig im globalen Maßstab einzusetzen, wäre der Nutzen enorm. Knör: „Die Menschheit steht an einem Wendepunkt. Der allmähliche Wandel weg von der Ausbeutung begrenzt verfügbarer Ressourcen hin zu einer Kreislaufwirtschaft nach dem Vorbild der Natur ist unausweichlich. Auch wenn heute noch immer über 95 Prozent des globalen Primärenergieverbrauchs mit nicht-erneuerbaren Quellen abgedeckt werden.“