Wenn sich Wissenschaft und Kunst begegnen, herrscht nicht selten erst mal Ratlosigkeit. Was haben diese beiden Disziplinen miteinander zu tun? Das Ars Electronica Festival auf dem JKU Campus zeigt genau das ziemlich eindrucksvoll.
Was hat ein Kunstfestival wie jenes der Ars Electronica auf dem Campus der Johannes Kepler Universität (JKU) zu suchen? Die Annahme, es gebe keine dummen Fragen, muss hier revidiert werden. Nichts ist logischer als die Umarmung einer wissenschaftlichen und einer künstlerischen Institution, auch wenn deren Annäherung mitunter bizarr erscheint. Bizarr insofern, weil sich Bildung in der vermeintlich modernen Zeit auf die isolierte Produktion ökonomisch relevanter Kräfte spezialisiert hat. Sie ignoriert konsequent, was JKU-Rektor Meinhard Lukas und sein Amtskollege Gerald Bast von der Wiener Universität für angewandte Kunst vor zwei Jahren in ihrem Manifest „Innovation durch Universitas“ formuliert haben. Nämlich eine Rückbesinnung auf den „uomo universale“ der Renaissance, den Universalmenschen, der in unbestreitbar logischer Verschmelzung von Wissenschaft und Kunst einerseits umfassende Bildung, andererseits schöpferische Kraft, humanistische Haltung und die Fähigkeit zur Kritik anstrebte. Alle Kenntnis vereint, um der Ursache der Dinge auf die Schliche zu kommen.
Von 8. bis 12. September öffnet sich diese verheißungsvolle Symbiose aus Wissenschaft und Kunst zum zweiten Mal auf dem JKU Campus und was sich während dieser fünf Tage unter dem Titel „A New Digital Deal“ offenbart, ist nichts Geringeres als eine Reihe von Versuchsanordnungen, von Handlungsmöglichkeiten wie Handlungsfähigkeiten, um die Schieflagen gegenwärtiger Entwicklungen zu reparieren. Und parallel zu den Utopien mit realen Grundierungen internationaler Künstler*innen werden sieben Projekte von Wissenschaftler*innen des Linz Institute of Technology (LIT) – von der beruhigenden Wirkung des Klangs bis zur auf Bakterien basierenden Verfärbung von Textilien – mögliche Impulse zur Bewältigung unserer Erlebniswelt anstoßen.
Eine Vermählung als Glücksfall
„Die Ars Electronica orientiert sich im zweiten Jahr der Corona-Pandemie, in dem die Digitalisierung unserer Welt, unserer daran geknüpften Hoffnungen und Befürchtungen abermals eine intensive Steigerung erfahren hat, auch an den eigenen Wurzeln“, sagt Gerfried Stocker, der künstlerische Direktor der Ars Electronica. Dieser Satz klingt nach Widerspruch zur Zitat-Überlieferung des Architekten Frank Lloyd Wright aus den 1930er Jahren: „Ich werde den verdammten Rückspiegel aus dem Fenster werfen, denn ich will nicht wissen, woher ich komme, sondern wohin ich gehe.“ Die Fortsetzung der Anekdote will es so, dass dieser Visionär, dessen Bauwerke mit der Landschaft verschmolzen, tatsächlich so verfuhr: Er riss den Rückspiegel heraus.
Das ökologisch bewusstere und gegenüber Datensicherheit wie der Wahrung der Persönlichkeitsrechte sensiblere Denken stellt den ungebremsten Vorwärtsdrang der Technikgeschichte infrage. Die Idee des Fortschritts um des Fortschritts willen wird mit einem langfristigeren Zeitbegriff angereichert, mit der Lehre von einer Welt, die man nachfolgenden Generationen erhalten muss. Technik und Naturwissenschaft werden gleichsam nach dem Verursacherprinzip für ihre gesellschaftlichen Folgewirkungen zur Rechenschaft gezogen. Der Rückspiegel ist wieder dran.
Und weil es gerade in Zeiten der Krise darum geht, die Kunst als eine Möglichkeit zu begreifen, in die Wirklichkeit einzugreifen, ist deren Vermählung mit der Wissenschaft ein Glücksfall. Im Bestreben um ein Mehr an Humanität, ein Mehr an Toleranz, ein Mehr an Gerechtigkeit. Genau das mag der peruanische Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa gemeint haben, als er Folgendes über Literatur sagte: Ihre „bloße Existenz ist schon eine Manifestation von Rebellion“. Sofern wir Rebellion in diesem Fall als Zäsur und Rückbesinnung auf eine gemeinsame Gestaltung einer gesellschaftlichen Entwicklung begreifen, dann gerne – und unbedingt. Die Aufgabe der Kunst besteht eben nicht darin, einen Blick auf unangenehme Wahrheiten zu werfen, ohne dass es uns wehtut. Sie ist kein von Anmut und Ästhetik getriebener Weichzeichner. Sie ist das Brennglas. Und sofern sich der kritische Impuls, der die klassische Avantgarde grundierte, in relevanten Gesellschaftsschichten einer missverstandenen Elite verbraucht haben mag, dann muss er aufs Neue herausgearbeitet werden. Am besten Arm in Arm mit der Wissenschaft.
Eine Lücke schließt sich
Nichts ist beglückender, als wenn sich diese beiden Äste zu einem neuen, festen Stamm verwinden. Auf diese Weise verbinden sich deren Genauigkeit, Anstrengung, Konzentration zu einer Haltung, die jener Bequemlichkeit und Egomanie entgegenschlägt, zu der wir ansonsten verführt sind. Bildung ohne ästhetische Erziehung, ohne Fantasie, in der Utopien Konturen gewinnen, ist keine Bildung. Nur diese Gesamtheit ermöglicht uns, mit den Widersprüchen und Abgründen des Menschen in einer menschlichen Weise umzugehen. Möglicherweise hat es Friedrich Schiller geahnt, wohin wir schlittern würden, als er die Kunst und die Wissenschaft als „edelste Werkzeuge“ des Menschen adelte. Nur an ihnen könne sich Bildung als Menschwerdung entfalten.
Kunst ist Kritik und entwickelt sich von ihrer individuellen Entstehung zum kollektiven Verständigungsprozess. Die Wissenschaft vermag es, diese Lücken zwischen Hoffnungen und Befürchtungen beim Nachdenken über Gegenwart und Zukunft zu schließen.
Wie war das eingangs? Was ein Kunstfestival auf einem Uni-Campus zu suchen hat? Was für eine saudumme Frage!